Das ganzheitliche Menschenbild in der modernen Medizin

Störung und ihre Wirkfaktoren
Störung und ihre Wirkfaktoren

Die Verpflichtung des Arztes

Der Haus- oder Allgemeinarzt als Institution der Primärversorgung

Im Fokus stehen zunächst die körperlichen, also die somatischen Aspekte

Ein Arzt hat die Pflicht, seinen Patienten zu heilen oder seinen Leidensdruck zu mindern. Oder zumindest ihm dazu zu verhelfen.  

Dazu muss er sich zunächst einen Überblick über die äußeren Anzeichen des möglichen Leidens oder der Krankheit seines Patienten verschaffen, eine Verdachtsdiagnose (Was könnte es sein?) stellen, um über weitere Differentialdiagnosen (Was könnte es noch sein und warum kann ich es ausschließen?) schließlich zu einer begründeten Annahme, einer Hypothese  zu gelangen.

Erst diese wohlbegründete Annahme eröffnet dem Arzt den Weg zur angemessenen Therapie. Ohne gesicherte Diagnose keine zielgerichtete therapeutische Intervention.

Die Diagnose ist, zum Teil, das Ergebnis der Anamnese, also dessen, was der Patient dem Arzt auf seine Fragen zunächst mitteilt.

Der Patient wird zunächst auf seine körperlichen, also somatischen, Missempfindungen, Beeinträchtigungen oder Leiden eingehen. Eine organische Abklärung durch den Arzt erfolgt über Abhören, Abklopfen, Labortests oder Bildgebungsverfahren, je nach Krankheitsbild. Es folgen die Therapievorschläge seitens des Arztes und, mit der Zustimmung des Patienten, die entsprechenden therapeutischen Maßnahmen, die konkreten Interventionen.

Die Erweiterung des Fokus auf den psychischen Anteil

Die Somatik wird ergänzt durch die Beachtung der Psyche

Ist die Abklärung des somatischen Anteils erfolgt, erfolgt der zweite Teil des ärztlichen Bemühens, wenn nach dem seelischen Empfinden gefragt wird.

Der Arzt, der sich dem Konzept der psychosozialen Grundversorgung verpflichtet fühlt, sucht die Wechselwirkung von körperlicher und seelischer Gesundheit des Patienten zu ergründen.

Die Trennung von Körper und Seele soll aufgehoben werden, an ihre Stelle tritt ein ganzheitlicher Ansatz:  Der Mensch wird als biologisches, psychologisches und soziales Wesen wahrgenommen und als solches behandelt. Das heißt, dass nicht nur das Somatische-Körperliche, also die Biologie des Menschen, sondern auch der seelische Anteil und der Mensch als soziales Wesen, als Mitglied der Gesellschaft in das Krankheitsbild einfließen.

Körper, Seele und Umwelt stehen in permanenter Wechselwirkung miteinander und beeinflussen körperliches Empfinden ebenso wie Denken und Fühlen des Menschen.

 Diese Herangehensweise ermöglicht eine umfassende Diagnose und damit Therapie und Betreuung und berücksichtigt die Einflüsse von organischer Erkrankung, psychischer Belastung und soziale Umstände auf die Gesundheit des Patienten.

Die Schlüsselrolle des Arztes für Allgemeinmedizin

Der Arzt in der allgemeinmedizinischen Praxis spielt eine Schlüsselrolle im Konzept der Psychosomatischen Grundversorgung. Er muss nicht nur rein medizinische, sondern auch kommunikative und empathische Fähigkeiten besitzen. Er muss in der Lage sein, eine Vertrauensbasis mit den Patienten aufzubauen. Seine Kenntnisse der psychosomatischen Zusammenhänge ermöglichen ihm, die richtigen Fragen zu stellen. Er kann den Patienten besser verstehen und adäquate therapeutische Maßnahmen empfehlen.

Die Vorteile der ganzheitlichen Betrachtung und Behandlung liegen auf beiden Seiten. Durch die Integration psychosomatischer Aspekte in die medizinische Versorgung können Krankheiten besser verstanden und behandelt werden. Symptome werden auf ihren Hintergrund, ihre Ursachen hinterfragt, was zu einer besseren Patientenzufriedenheit und langfristiger Gesundheitsförderung, z.B. durch Psychoedukation führt.

Die Seele als Ursache körperlichen Leidens

In Erstgesprächen und der darauffolgenden Anamnese ist es Ziel, die körperlichen, also physischen oder somatischen Aspekte parallel zu den psychischen herauszuarbeiten. Es sollen die Hintergründe und Zusammenhänge des Symptomkomplexes erkannt, verstanden und weiter analysiert werden.

Insbesondere bei Depressionen, Schmerzsyndromen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Panikattacken und Angststörungen eröffnet die Psychosomatik eine ganzheitliche Sichtweise, da sie über die Symptomebene hinausgeht und Persönlichkeit und Lebensstil des Patienten mit einbezieht. Es können tiefere und verborgene Konflikte aufgedeckt und bearbeitet werden, Hinweise auf traumatische Erfahrungen zutage treten, Aspekte einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die zu Funktionsstörungen vielerlei Art führen können.

Funktionsstörungen, oft auch als somatoforme autonome Funktionsstörung beschrieben, ist eine psychische Störung, die zu körperlichen Beschwerden führt. Zunächst kann man eine organische Erkrankung vermuten, es lassen sich jedoch keine körperlichen Ursachen finden.

Liegt eine solche Situation vor, ist es ein Fall für einen Arzt, der sich für das Gebiet der psychosomatischen Grundversorgung weiterqualifiziert hat und auch diese Bezeichnung tragen darf.

Was den Patienten bei der psychosomatischen Grundversorgung erwartet

Die psychosomatische Grundversorgung besteht in der Regel aus drei Teilen.

  • Die Basisdiagnostik

Hier versucht der Arzt die körperlichen Beschwerden und Leiden des Patienten in deren bio-psychologisch-sozialen Kontext zu sehen und in einem Gesamtbild einzuordnen. Es ist also die Übertragung eines ganzheitlichen Menschenbildes in die praktische Medizin.

Die Ergebnisse und Erkenntnisse der Basisdiagnostik bilden die Grundlage des zweiten Teils. Es ist

  • die Basistherapie

Hier müssen Arzt und Patient zunächst eine enge und vertrauensvolle Arbeitsgrundlage und Beziehung aufbauen. Mit Zustimmung und Kooperation des Patienten werden grundlegende psychotherapeutische Interventionen durchgeführt. Ihren Anfang finden die Interventionen im dritten Teil.

  • Das psycho-soziale Versorgungssystem

Hierunter versteht man die generelle Lebenssituation des Patienten im familiären und beruflichen Umfeld, sowie im Freundes- und Bekanntenkreis. Hier lassen sich oft die Ursachen von inneren Konflikten finden, sodass die Etablierung einer Bereitschaft zur Kooperation, die Compliance, ein wesentlicher Teil einer erfolgversprechenden und erfolgreichen Therapie ist.

Schwierigkeiten und Probleme im medizinischen Alltag

Ein wesentlicher Punkt in der Durchführung der psychosomatischen Grundversorgung ist der Zeitaufwand seitens des Arztes. Die Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle, wobei der Arzt durch empathisches und aktives Zuhören die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung mitgestaltet. Er muss den Patienten motivieren, gemeinsam Therapiepläne zu erarbeiten und die erforderlichen und vereinbarten Schritte auch verantwortungsvoll einzuhalten.

Weiterhin kostet es Zeit, den Patienten über die Notwendigkeit und Wirkungsweise der Maßnahmen und Interventionen aufzuklären, was unter dem Begriff der Psychoedukation zusammengefasst wird.

Der Arzt klärt den Patienten über Stressbewältigung, gesunde Lebensführung und den Zusammenhang und die Wechselwirkung von psychischen Belastungen und körperlichen Beschwerden auf. So wird der Patient zum aktiven Teil seines eigenen Gesundungsprozesses.

Der Arzt muss aber auch bereit sein, seine Grenzen erkennen, da er kein Psychologe oder Psychotherapeut ist. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der längerfristigen Führung, Begleitung und Betreuung des Patienten.  Nur dadurch wird dessen langfristige und nachhaltige Veränderung in der Lebensführung und Lebenseinstellung möglich, was Voraussetzung der psychischen Gesundung und Gesunderhaltung des Patienten ist.

Persönliches Fazit

Wie in meinen Profilen in den Social Media zu entnehmen ist, bin Heilpraktiker für Psychotherapie. Die Zusammenarbeit mit ortsansässigen Allgemeinärzten, die Fortbildungen in der Vitos-Klinik Eichberg und die Teilnahme an der Qualifizierung zur psychosomatischen Grundversorgung der Landesärztekammer Hessen waren für mich persönlich und beruflich äußerst bereichernde Erfahrungen. 

Die Fortbildungen im Kreis niedergelassener und in Kliniken angestellten Mediziner haben meine Kenntnisse, Fähigkeiten und meine psychotherapeutische Praxis positiv beeinflusst, ebenso wie meine Wertschätzung für die Komplexität der Menschlichkeit im Kontext von Gesundheit und Krankheit, Wohlbefinden und Leidensdruck vertieft.

Es war nicht nur ein Schritt in meiner beruflichen Entwicklung, sondern es war auch eine Reise zu einem umfassenderen Verständnis von Gesundheit und Heilung in Zeiten von Unsicherheiten, Stress und Anpassungsnotwendigkeiten, eben in Zeiten eines umfassenden und grundlegenden Wandels in der Gesellschaft und der Gesellschaft selbst.

Quellen:

Dtsch Arztbl 2001; 98(38): A-2396 / B-2046 -1919