Schon immer gab es zwei Konzepte in der Medizin, Salutogen und Pathogen.
Bemühte man sich im letzteren darum, die Krankheit zu beseitigen oder das Leiden zu mindern, liegt der Fokus im ersten darauf, ein Leiden oder eine Krankheit gar nicht erst entstehen zu lassen. Dies nennt sich auch Präventiv- oder Präventionsmedizin. Dazu gehören eine Vielzahl von Strategien wie Gesundheitsförderung, Früherkennung und Verhaltensänderungen.

Die Präventivmedizin gewinnt auch deshalb immer mehr an Bedeutung, da die Gesundheitskosten steigen und die Belastungen durch chronische Krankheiten wächst. Nicht zuletzt trägt die Verlängerung unserer Lebenszeit und damit der Umfang der Altersmedizin zu den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen bei.
Die sich im 20. Jahrhundert weiter entwickelnde allgemeine Gesundheitsförderung (Public Health Bewegung), sowie die Fortschritte in der Epidemiologie und der medizinischen Technologie machten die Präventionsmedizin zu einem eigenen Zweig innerhalb der Medizin.
Die Präventionsmedizin basiert im Wesentlichen auf drei gedanklichen Modellen. Das erste ist das sogenannte Gesundheitsüberzeugungsmodell, das die Bereitschaft einer Person beschreibt, dann präventive Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine Krankheit als Bedrohung wahrgenommen und eine Therapie als wirksam akzeptiert werden.

Das zweite Modell, das transtheoretische, beschreibt die Phasen der Verhaltensänderungen, wenn Menschen ihre persönliche Verantwortung ihrer Gesundheit gegenüber erkennen und bereit sind, in Phasen ihr Verhalten tatsächlich zu ändern.

Das sozial-kognitive Modell betont die Rolle sozialer Einflüsse auf den Menschen und sein Denken, das ihn veranlasst, sich selbst gegenüber wirksam zu werden.
Allen gemeinsam ist die Tatsache, dass es im Wesentlichen um die Frage der Selbstwirksamkeit aufgrund von Selbstverantwortung geht.

Den drei gedanklichen Modellen entsprechen drei Präventionstypen. Die Primärprävention zielt darauf ab, das Auftreten von Krankheiten zu verhindern. Dazu dienen Impfungen, Gesundheitsförderprogramme und Umweltmaßnahmen.
Die Sekundärprävention beinhaltet Maßnahmen zur Früherkennung und rechtzeitiger Behandlung von Krankheiten, um deren Fortschreiten zu verhindern. Dazu gehören Screenings und regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen.

Die Tertiärprävention zielt darauf ab, die Auswirkungen einer bereits diagnostizierten Krankheit zu minimieren durch Rehabilitation und Rückfallprophylaxe.

Durch genetische Tests können Risikofaktoren frühzeitig erkannt und dadurch Maßnahmen der Primär- und Sekundärprävention entwickelt werden. So zum Beispiel im Bereich der Verhaltensänderung durch Bewegungsprogramme, Raucherentwöhnung und Ernährungsberatung. Auch sind neue Technologien zu integrieren, die auf biometrischen und genetischen Daten aufbauen.
Ein aktuelles Beispiel zum Einsatz neuer Techniken und Methoden im Bereich der Präventionsmedizin ermöglicht die funktionelle Magnetresonanztomographie im Ruhezustand. Es können neuronale Netzwerke identifiziert werden, die ein Risiko für eine Demenz anzeigen, wie zum Beispiel das Default-Mode-Netzwerk mit einem Teil des präfrontalen Kortex.

Britische Forscher konnten mit einer Genauigkeit von 82% vorhersagen, wer ihrer Probanden an Demenz erkranken würde, und das bis zu neun Jahre vor der offiziellen Diagnose. (Details in: Novel Method Able to Predict If and When Dementia Will Develop – Medscape – June 11, 2024).

Die MRT-Methode hat eine höhere Vorhersagekraft als die bisher üblichen Gedächtnistests oder strukturelle Gehirnmessungen. Die bei den traditionellen Diagnosen benutzten Analysen nach den Biomarkern Amyloid-beta und Tau sind zwar nützlich, sie sind in der Regel aber erst dann zu finden, wenn bereits Symptome der Demenz vorliegen. Menschen können jahrelang mit diesen Proteinen im Gehirn leben, ohne Symptome zu entwickeln, haben aber dann ein hohes Potenzial der Erkrankung.

Ein nicht zu unterschätzender in der Prävention von Demenzerkrankungen ist der Faktor Resilienz, definiert als die Fähigkeit des Individuums, sich von Krisen und Belastungen zu erholen und gestärkt daraus hervorzugehen.
Die Resilienzforschung als zentrales Konzept der Public Health ist ein interdisziplinäres Projekt und umfasst Psychologie, Soziologie, Epidemiologie und Gesundheitswissenschaft. Individuelle Resilienz bezieht sich auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten, Selbstwirksamkeit, Bewältigungsstrategien und soziales Eingebundensein.

Es gehört zur Grundlage des Menschenbildes der humanistischen Psychologie, die den Menschen als Element des biopsychosozialen Systems sieht, das dem Salutogenese-Modell verpflichtet ist. Gesundheitsfür- und vorsorge nimmt den gleichen Rang ein wie das Pathogenese-Modell der Wiederherstellung der Gesundheit.

Die Erarbeitung, Wahrung und Förderung der individuellen Ressourcen und die Pflege sozialer Bindungen und Interaktionen als Repräsentation der Kohärenz entspricht dem Bild der Aufklärung des Menschen sowohl als Individuum als auch als Gesellschaftswesen.

So untersuchten die britischen Forscher auch modifizierbare Demenz-Risikofaktoren wie Hörverlust, Depression und körperliche Inaktivität. Dabei fanden sie heraus, dass insbesondere die soziale Isolation einer der wichtigsten Faktoren war, der im DMN-Netzwerk beeinflusste. Sie schlossen daraus, dass die soziale Isolation eher eine Ursache als eine Folge von Demenz ist.

Hier schließt sich der Kreis zum Gesundheitsüberzeugungsmodell und dem Konzept der Primärprävention mit den entsprechenden Interventionen wie Achtsamkeitstraining, Entspannungsübungen, Verhaltensänderungen im Bereich Ernährung und Bewegung, Strategien zur Stressbewältigung, Stressreduktion und emotionale Regulierung. Psychologische Beratung und Begleitung verbunden mit adäquaten therapeutischen Interventionen können das individuelle Portfolio entsprechender Techniken sinnvoll ergänzen und abrunden.

Quellen: Novel Method Able to Predict If and When Dementia Will Develop – Medscape – June 11, 2024).

Antonovsky, A. (1987). Unraveling the Mystery of Health: How People Manage Stress and Stay Well.