Ist es erstmal sich, dass eine Frau schwanger ist, kommt sofort die Frage: Junge oder Mädchen?
Ab der 20. Woche können per Ultraschall die äußeren Geschlechtsmerkmale feststellen und somit das Geschlecht bestimmen. Die biologische Realität ist jedoch wesentlich differenzierter. Die binäre Betrachtungsweise mit ‚entweder – oder‘ greift zu kurz.
Im Kontext der Bestimmung des Geschlechts und der sexuellen Differenzierung sind 3 Ebenen zu beachten. Diese sind erstens die Chromosomen, zweitens die Gonaden und drittens der Phänotypus.
Die Definition nach Chromosomen beruht auf der genetischen Ausstattung von 2 X-Chromosomen für das weibliche Geschlecht und die XY-Ausstattung für das männliche. Diese eindeutig binäre Struktur ist nur scheinbar eindeutig, denn innerhalb dieses Systems gibt es eine Reihe weiterer Variationen.
Es gibt zum Beispiel die XXY-Kombination wie beim sogenannten Klinefelter-Syndrom, oder eine X0-Kombination wie beim Turner-Syndrom. Beide Abweichungen in der Ausstattung haben Einfluss auf die Fruchtbarkeit, die Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale sowie die Entwicklung der Keimdrüsen. Und damit letztlich auch auf die psychische Entwicklung des Menschen.
Definiert man das Geschlecht eines Menschen nach dem Vorhandensein der Geschlechtsdrüsen, also den Hoden oder den Eierstöcken (Gonaden), bezieht man automatisch das männliche Sexualhormon Testosteron und das weibliche Sexualhormon Östrogen in die Beschreibungen mit ein. Deren Einfluss auf die Psyche der Menschen ist hinreichend dokumentiert und diskutiert.
- Die Chromosomen-Ausstattung kann man (bislang) nicht ändern.
- Die gonadale Ausstattung lässt sich zum Beispiel im Rahmen einer geschlechtsangleichenden Operation durchaus verändern.
Bleiben letztlich 2 Fragen: Die eine Frage nach dem Phänotyp und die andere Frage nach der Intersexualität.
Beim Phänotyp geht es darum, ob das äußere Erscheinungsbild des Menschen auch das innere Bild, das der Mensch von sich selbst hat, auch widerspiegelt. Hier kann die plastische Chirurgie weitgehend helfen.
Anders liegt es bei der Intersexualität, wobei die körperlichen Geschlechtsmerkmale nicht der gonadalen bzw. chromosomalen Ausstattung in Einklang stehen. Die körperlichen Geschlechtsmerkmale sind eindeutig weder der männlichen noch der weiblichen Seite zuzuordnen.
Die Geschichte der Kinder, die vorgeburtlich mit XY-Ausstattung bestimmt worden sind, aber mit bei Geburt dem weiblichen Phänotyp zugeordnet wurden, ist bekannt. ‚Angleichende‘ Operation und Erziehung entsprechend der nachgeburtlichen Kategorisierung sind heute als Misshandlung gesehen.
Akzeptieren wir die Vielschichtigkeit der menschlichen Natur im Biologischen und die Vielfältigkeit der menschlichen Erscheinung im Sozialen und Mentalen und überwinden die Einfältigkeit des Binären.
Quelle: The Multiple Meanings of Sex – Medscape – November 16, 2023
Foto: Imago // Biologische Elemente von Mann und Frau in einem Körper: das Symbol für Intersexualität.