Mediterranes Buffet - DALL-E @ Achim Weidner
Mediterranes Buffet – DALL-E @ Achim Weidner

Nahrungsaufnahme ist nicht immer achtsames Essen

Die Nahrungsaufnahme ist eine grundlegende menschliche Notwendigkeit, die jedoch weit über das bloße Sättigungsbedürfnis hinausgeht. In einer Welt, in der Zeit knapp ist und Stress allgegenwärtig zu sein scheint, neigen viele Menschen dazu, die Nahrungsaufnahme als reine physiologische Funktion zu betrachten, um den Körper mit Energie zu versorgen. Doch es gibt eine andere Perspektive auf das Essen, eine, die nicht nur den Körper, sondern auch die Seele versorgt – der hedonistische Aspekt der Nahrungsaufnahme.

Epikur und der positive Hedonismus

Der Hedonismus als philosophisches Konzept betont das Streben nach Lust und Freude als höchstes Gut im Leben, ein Streben, das über die reine Bedürfnisbefriedigung hinausgeht. Die Nahrungsaufnahme ist also auch ein Mittel, um die Sinne zu befriedigen und Freude zu empfinden.

Ein bekannter Vertreter des Hedonismus ist der griechische Philosoph Epikur (341 – 270 v. Chr.). Sein Ziel war, ein Leben der Glückseligkeit und des Wohlbefindens zu erreichen, indem man nach Lust und Freude strebt und Schmerz und Leid vermeidet. Er betonte die Bedeutung der Freude und des Genusses am Essen, Trinken und der Geselligkeit, was jedoch in Maßen und im Einklang mit einem ansonsten zurückhaltenden Lebensstil stehen müsse.

Epikur

Epikur - Dall-E @ Achim Weidner
Epikur – Dall-E @ Achim Weidner

Doch trotz aller Freude und Genuss ist es wichtig, ein gesundes Gleichgewicht zu bewahren. Hedonistisch zu leben bedeutet nicht, sich hemmungslos den sinnlichen Freuden und des Genusses hinzugeben, sondern vielmehr eine bewusste Balance zwischen Genuss und Vernunft zu finden. Es geht darum, sich bewusst zu sein, wie man lebt und wie es sich auf einen selbst und auf die Gesellschaft auswirkt, ohne dabei den Genuss aus den Augen zu verlieren.

Es gilt, dass das Maß aller Dinge das goldene Mittelmaß ist, die Ausgewogenheit, die Harmonie, das Gleichgewicht in all dem, was der Mensch tut, lässt und unterlässt.

Die Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse nach Abraham Maslow

Maslowsche Bedürfnishierarchie DALL-E - Wikipedia @-Achim Weidner
Maslowsche Bedürfnishierarchie DALL-E – Wikipedia @-Achim Weidner

In Zeiten von beruflichem Stress, innerer Unruhe und medialer Dauerbelastung kann aber hedonistische Nahrungsaufnahme als Teil des emotionalen Essens auch seine Schattenseiten entwickeln.

Der Haken an der Sache kann folgender sein: Nachdem man seine arbeitsreichen Tage mit Besprechungen und Tabellenkalkulationen hinter sich gebracht hat, setzt man sich hin, um unzählige Emails zu lesen und sich mit all seinen Lieblingsspeisen zu belohnen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, verdoppelt man seine tägliche Kalorienzufuhr.              In solchen Momenten ist man nicht hungrig, sondern nur ein wenig erschöpft und vielleicht ein wenig unvorsichtig bei der Selbstbelohnung. Die Belohnungsrationen steigern sich im Laufe der Zeit und es entsteht ein unerwünschter Kreislauf, man nimmt zu, der Körper verändert sich.

Man fühlt sich ständig übergewichtig und unter Umständen unattraktiv. Man probiert alles aus, um Gewicht zu verlieren – alles ohne langfristigen Erfolg. Man beginnt, all diese gescheiterten Bemühung als eigenes Versagen zu verstehen und verurteilt sich ob dieser vermeintlichen Schwäche.

Hedonistisches Essen als Zeichen emotionaler Mangelerscheinungen

Eine Studie vom Januar 2024 untersuchte den Zusammenhang zwischen hedonistischem Essen, Selbstverurteilung und Selbstwertgefühl. Für niemanden überraschend stellte die Studie fest, dass höhere hedonistische Hungerwerte mit einem geringeren Selbstwertgefühl und einer erhöhten Neigung zur Selbststigmatisierung verbunden waren. Der Glaubenssatz entwickelt sich: Ich empfinde mich als zu dick, also bin ich zu dick, also bin ich unattraktiv.

Während der positive Zusammenhang zwischen hedonistischen Essen und geringem Selbstwertgefühl auf der Hand zu liegen scheint, kann, im Fall eines Kontrollverlustes, ein extrem hedonistischer Lebensstil eine Vielzahl negativer Konsequenzen mit sich bringen. Diese können sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen.

  1. Gesundheitliche Probleme: Übermäßiger Konsum von Alkohol, Drogen, fetthaltigen Lebensmitteln und anderen Genussmitteln kann zum Beispiel zu Fettleibigkeit, Herzkrankheiten, Lebererkrankungen, Diabetes und Suchtverhalten führen.
  2. Psychische Probleme: Ein ausschließlich hedonistischer Lebensstil kann zu Depressionen, Angstzuständen und damit zu einer geringeren Lebenszufriedenheit und zu einem gesteigerten Leidensdruck führen.
  3. Finanzielle Probleme: Die Verfolgung hedonistischer Vergnügen kann oft mit hohen Kosten verbunden sein. Nach außen gerichtet kann der Versuch, einen teuren Lebensstil aufrechtzuerhalten, zu Schulden und finanziellem Ruin führen.
  4. Soziale Isolation: Ein übermäßig hedonistischer Lebensstil kann dazu führen, dass man sich von Familie, Freunden und sozialen Netzwerken isoliert. Menschen, die in egoistischer und hedonistischer Weise nur nach ihrem eigenen Vergnügen streben, können nur sehr schwer langfristige und erfüllende Beziehungen aufrechterhalten. Ihre Prioritäten sind nur allzu oft oberflächlich und kurzlebig.
  5. Mangelnde persönliche Entwicklung: Ein Leben, das ausschließlich dem Vergnügen und dem Genuss gewidmet ist, kann zu einem Mangel an persönlichem Wachstum und Selbstverwirklichung führen. Ohne Herausforderungen und Ziele, die über den unmittelbaren Genuss hinausgehen, bleibt die persönliche Entwicklung oft auf der Strecke.

Ein extrem hedonistischer Lebensstil wird sich mittel- und langfristig als selbstschädigend herausstellen und Menschen davon abhalten, ein ausgewogenes und erfülltes Leben zu führen. Das menschliche Leben ist ausgerichtet auf sinnstiftende Bedeutung, Selbstverwirklichung und soziale Verbundenheit. Der Mensch ist beides, Individuum und gleichzeitig Gesellschaftswesen. So postuliert es die humanistische Psychologie.

Positive Seiten des ‚gepflegten‘ Hedonismus

Ein hedonistischer Lebensstil kann aber auch für die betreffende Person sehr positiv sein, wenn dieser Stil in einem ausgewogenen Rahmen praktiziert wird. Grundlage einer solchen Praxis ist der Begriff der Achtsamkeit als bewusste und kontrollierte Ausführung einer Handlung, die auf Genuss und sinnliche Zufriedenheit ausgerichtet ist.

  1. Steigerung des Wohlbefindens: Ein Maß an hedonistischem Genuss kann das Wohlbefinden und die Lebensfreude erhöhen. Das bewusste Genießen von Mahlzeiten, kulturellen Veranstaltungen oder anderen Vergnügen kann kurzfristig Glücksgefühle auslösen und das allgemeine Lebensgefühl verbessern.
  2. Stressabbau und Entspannung: Hedonistische Aktivitäten können dazu beitragen, Stress abzubauen und Entspannung zu fördern. Das Ausüben von Hobbys, das Reisen oder das Verbringen von Zeit mit Freunden in angenehmer Atmosphäre kann dazu beitragen, den Geist zu beruhigen und eine Auszeit vom Alltagsstress zu nehmen.
  3. Soziale Interaktion und Verbundenheit: Hedonistische Aktivitäten, insbesondere wenn sie mit anderen geteilt werden, können die soziale Interaktion und Verbundenheit fördern. Gemeinsame Mahlzeiten, Feiern oder kulturelle Veranstaltungen bieten Möglichkeiten, Beziehungen zu stärken und neue einzugehen.
  4. Kreativität und Selbstausdruck: Ein hedonistischer Lebensstil kann dazu beitragen, die Kreativität zu fördern und den eigenen Selbstausdruck zu stärken. Das Entdecken neuer Genüsse und Vergnügen, das Ausprobieren künstlerischer und kreativer Aktivitäten oder das Reisen zu neuen Orten können die Sinne anregen und neue Perspektiven eröffnen.
Buffet - DALL-E @ Achim Weidner
Buffet – DALL-E @ Achim Weidner

Die Strategie für die positive Seite

Eine Strategie gegen unkontrolliertes, oft unbewusstes und extremes hedonistisches Verhalten ist das Konzept der Achtsamkeit.

Achtsamkeit wird beschrieben als ‚paying attention‘, bewusstes Achten, bewusste Konzentration auf eine Sache, einen Vorgang und insbesondere dem eigenen Denken und Tuns.

Im Gegensatz zum hedonistischen Essen und der vermeintlichen aber falschen Selbstbelohnung geht es beim achtsamen Essen vor allem darum, genau darauf zu achten, was man gerade isst und wie es sich auf unsere Gefühle auswirkt.

Dazu gehört in der Regel eine Kombination aus:

  1. Gründliches Verlangsamen des Essens und Kauens.
  2. Beseitigung von Ablenkung wie Fernsehen, Computer und Telefon – vielleicht sogar Essen in Stille.
  3. Essen nur bis zur körperlichen Sättigung.
  4. Unterscheidung zwischen echtem Hunger und Heißhunger.
  5. Wahrnehmung der Textur, des Geschmacks und des Geruchs von Lebensmitteln.
  6. Achten auf die Wirkung von Lebensmitteln auf die eigene Stimmung.
  7. Lebensmittel grundsätzlich wertschätzen.

Diese Kategorien lassen sich auf alle Arten und Weisen unseres Verhaltens übertragen, wobei ‚Verhalten‘ als Denken und Handeln zu verstehen ist.

Fazit

In unserer Gesellschaft, in der alles und jedes unmittelbar erworben und genutzt werden kann, kann alles und jedes in einer hedonistischen Art und Weise ge- und missbraucht werden. Unser Gehirn hat keine Zeit mehr, die Signale der Sättigung unseres Körpers und der Zufriedenheit unseres Geistes zu verarbeiten und wirken zu lassen. Infolgedessen nehmen wir oft viel mehr und viel häufiger nicht nur Kalorien zu uns, als wir für einen gesunden Lebensstil benötigen.

Wenn gedankenloses Tun ein Teil des Problems ist, dann achtsames Handeln ein wichtiger Teil der Lösung.

Quellen:

How to Cure Hedonic Eating? – Medscape – April 03, 2024.

Achtsam und bewusst essen – eine Frage der Haltung. In: https://www.bzfe.de/ernaehrung/ernaehrungsberatung/beratungspraxis/achtsam-essen-haltung-oder-methode/

Rainer Lutz: Genuss und Genießen. Selbstfürsorge in Prävention und Therapie. In: https://www.bzfe.de/fileadmin/resources/Ernaehrung_allgemein/eif_160102_genuss_und_geniessen.pdf