In seinem überaus spannend zu lesenden Buch ‚Ich weiss, was du denkst’ erschienen bei Rowohlt 2009, beschreibt Thorsten Havener, wie unser Bewusstsein unser Denken und Handeln bestimmt.
Er beschäftigte sich mit den Zusammenhängen zwischen Psychologie und Gehirnforschung und ihm wurde rasch Folgendes klar: ‚Die Signale, die ich jetzt wahrnahm, hatte ich auch schon früher empfangen. Ich hatte sie nur nicht beachtet. (…) Ab einem bestimmten Moment hatte ich mich stärker auf das konzentriert, was mir zuvor durch meine ausgewählte Perspektive verborgen geblieben war. Durch die Veränderung meiner Sicht auf die Realität konnte ich von jetzt an Facetten der Wirklichkeit erkennen, die normalerweise von vielen unbeachtet und unausgewertet bleiben. (…) Mit dem Sehen und Erkennen ist es genauso: Man muss beides nur auf die richtigen Ziele richten.’ (Havener, S. 18)
Fazit: Man bemerkt und erkennt nur das, was man wirklich bemerken und erkennen will.
In einem Selbstversuch erklärt er, wie das funktioniert. Wenn man seine Aufmerksamkeit auf blaue Gegenstände in einem Raum richtet und nach einiger Zeit nach ihnen befragt wird, erfolgt eine mehr oder weniger vollständige Antwort. Wird man jedoch nach grünen Gegenständen befragt, fällt den meisten Menschen nichts ein. Ihr Fokus war auf die blauen Gegenstände gerichtet. Natürlich existierten die grünen Gegenstände in der Wirklichkeit, aber nicht im Bewusstsein der befragten Beobachter.
Havener formuliert eine weitere These, die für unsere Wahrnehmung entscheidend ist. ‚Unsere Erfahrungen bestimmen, was wir sehen! Abgesehen davon, dass wir Unmengen an Informationen überhaupt nicht bewusst wahrnehmen, filtern wir zusätzlich noch weitere Details aus, indem wir die Wirklichkeit durch unser Vorwissen (oder das, was wir zu wissen glauben) ergänzen oder gar zu vervollkommnen versuchen. Alles soll unseren Erwartungen entsprechen. (Havener, S. 20)
Auf der gleichen Seite gibt er folgendes Beispiel:
‚Sicherlich knenen Sie auch die Studie, in der hersuafegnuden wrude, dass die Reinehfloge der Bustchabne für uns nihct mher witchig ist.’
Die meisten Leser dieses Ausschnitts aus Haveners Textbeispiel werden die Zeilen ohne große Schwierigkeiten durchlesen und sofort verstehen können.
Wir lesen nicht mehr das, was konkret vor uns liegt, wir formen Buchstaben und Worte so um, wie wir sie aus Erfahrung kennen. Das Korrekturprogramm unseres Bewusstseins ist die Erfahrung des tausendmal Wahrgenommenen, Gelesenen, Erfahrenen und Gespeicherten.
Die gleichen Regeln und Bedingungen gelten nicht nur im Individuellen sondern ebenso im Freundes- und Bekanntenkreis, im kollegialen und im partnerschaftlichen Bereich.
Wir nehmen die Signale unseres Gegenüber oder des Partners nur noch zum Teil wahr, lassen sie einen Filter durchlaufen und ordnen sie in einen Zusammenhang, der uns durch Erfahrung eingeprägt wurde.
Bleiben wir beim partnerschaftlichen Bereich.
Ist man frisch verliebt, hört man jede auch noch so kleine Zärtlichkeit in den Worten des Partners. Jedes Berühren wird als wohlmeinendes Zeichen der Intimität erkannt.
Ist der Rausch der ersten Begeisterung aber vorbei und der Alltag mit seinen Problemen und Schwierigkeiten hat die Partnerschaft über die Jahre eingeholt, und ist die Romantik des Anfangs der Skepsis und möglicherweise des Misstrauens durch Enttäuschungen gewichen, lenken wir unsere Aufmerksamkeit und unseren Fokus auf das Negative.
Das Positive wird nicht mehr wahrgenommen, obwohl es existiert. Aber nicht in unserem Bewusstsein. Wir alle wissen, die wahre Liebe ist ein scheues Reh. Wenn wir sie finden, wenn sie da ist, ist es harte Arbeit, sie zu erhalten und zum Bleiben zu bewegen.
Was aber, wenn wir unsere Aufmerksamkeit nicht mehr auf das Gemeinsame, das Verbindende, das Vertraute, das Zuverlässige konzentrieren, sondern nur darauf warten, dass der Partner etwas Falsches sagt oder das, was er sagt, wir missverstehen, weil wir es missverstehen wollen?
Nehmen wir an, Partner A bereitet alles für einen romantischen Abend zu zweit vor und ein Dreigänge Menu bei Kerzenschein mit dezenter Hintergrundmusik lässt auf mehr hoffen.
Partner B kommt nachhause, möglicherweise gestresst vom Büro und noch zu bearbeitenden Akten unterm Arm mit dem nächsten Morgen als Abgabetermin, so steht sein Sinn ganz und gar nicht nach Romantik. Er fühlt sich eher unangenehm überrumpelt als freudig überrascht und präsentiert sich hilflos, bedrängt von der Erwartung von Partner A und der des Vorgesetzten.
Seine Hilflosigkeit und die im Augenblick empfundene Ausweglosigkeit der Situation lässt ihn aggressiv werden und ungehalten macht er auf die Wichtigkeit der zu erledigenden Arbeit aufmerksam. Im gleichen Maß ungehalten und frustriert reagiert Partner A.
Hilflosigkeit und Frustration lassen den Aggressionslevel steigen und das Maß der Selbstkontrolle sinken. Dies gilt für beide Seiten.
Es ist der erste Schritt in einen Teufelskreis.
Vermeidung: Beide Partner sollen sich zurückhalten und erst über ihre Gefühle nachdenken und diese dem Partner in aller Ruhe mitteilen. Dabei gilt es, insbesondere Partner A Wertschätzung und Anerkennung für seine Bemühungen entgegen zu bringen.
Die zweite Phase der Eskalation
Die zweite Phase, die Eskalation, beginnt in der Regel mit gegenseitigen Vorwürfen, wobei sich das Maß der Aggression von Runde zu Runde steigert.
Die Partner beginnen sich gegenseitig herabzusetzen und berufen sich dabei statt auf den Ursprung des Konfliktes, auf allgemeine Regeln, Lebensweisheiten und Totschlagargumenten. Dabei verlieren beide Seiten weiter an Selbstkontrolle und versuchen den Gegner, denn das sind sie mittlerweile, zu belehren, ihm zu drohen, ihn mit Ironie oder gar Zynismus herabzusetzen und zu verletzen.
Meist beendet der, der am meisten herabgesetzt und verletzt wurde, ganz abrupt die Diskussion. Eine häufige Reaktion der Gegenseite ist dann, dass die Beziehung grundsätzlich infrage gestellt wird.
Vermeidung: In einer Partner- oder Paarberatung ist im Rahmen eines Verhaltenstrainings ein Zeichen einzuüben, dass dem jeweiligen Partner ein Stopp oder eine Auszeit signalisiert. Diese Pause ist von beiden Seiten zu nutzen, um sich ihrer eigenen Gefühle und deren des Partners bewusst zu werden.
Sie sollen sich gegenseitig nach den ursprünglich guten Absichten bzw. Problemen befragen und sich über ihre Gefühlslagen informieren. Sie sollen sich über ihre jeweiligen Körperhaltungen als Körpersprachen austauschen. Dazu sollen sie sich gegenseitig betrachten und sich in die Augen schauen.
Sie sollen mit ruhiger Stimme sagen, worum es ihnen eigentlich geht und wie sie sich jetzt fühlen.
Oft sind die Partner aber nicht in der Lage oder haben es nicht gelernt in dieser Form zu kommunizieren. In der Partner- oder Paarberatung können diese Methoden im Rahmen von Rollenspielen eingeübt werden. Der Therapeut kann dazu einen der letzten Konflikte seiner Klienten zum Anlass nehmen, ihn nachspielen lassen und dabei auch auf falsche oder gar gefährliche Verhaltensweisen aufmerksam machen.
So zum Beispiel dem Verdrängen der eigenen Absichten und Gefühle und so zu tun, als ob nichts wäre. Bekannt sind die Fragen: ‚Was ist? Haste was? Ist was los?’, verbunden mit der Antwort: ‚Nö, was soll’n sein? Alles O.K.’, wobei beide Partner sich der Tatsache bewusst sind, dass es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche erheblich grummelt und rumort.
Unverbindliche Pseudokommunikation, Heuchelei und falsche ‚Gute Miene zum bösen Spiel’ lässt die Partner sich weiter voneinander entfernen, da die Konflikte so lediglich verdrängt werden und an anderer Stelle verstärkt und maskiert wieder auftreten.
Vermeidung: Die Emotional Freedom Therapy (EFT) zeigt einen Weg auf, wie diese Pause eingelegt und genutzt werden kann. Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand drücken die Handkante der linken Hand. Dabei spricht man sich leise vor, was einen bedrückt und wie man sich trotzdem verhalten wird. (‚Ich weiß, dass ich wütend bin, ich will trotzdem ruhig mit meinem Partner diskutieren und ihm meine Gefühle mitteilen.’)
Gleichzeitig sollen sich beide Partner vorstellen, was im jeweiligen anderen vor sich geht, um so die Tür zum Verständnis zu öffnen. Es können dabei eine oder mehrere Fragen an den Partner gerichtet werden, die sich um sein Befinden drehen und damit das Gefühl des Interesses und der Sorge um den anderen vermitteln.
Die Verantwortung zur Konfliktvermeidung bzw. Vermeidung eines die Beziehung schädigenden Disputs liegt auf beiden Seiten.
Erkennt ein Partner, dass er den Vorstellungen, Wünschen oder Anforderungen des anderen nicht gerecht werden kann, gilt es, trotz erkennbarer Enttäuschung erst einmal Ruhe zu bewahren und sich nicht durch mangelnde Selbstbeherrschung in den Teufelskreis fruchtloser Streitereien treiben zu lassen.
Eine Pause einzulegen, ist einfach zu erreichen mit der zuvor erwähnten EFT-Methode: wiederholt mit drei Fingern auf die Handkante (Karatepunkt) der anderen Hand drücken und drei bis viermal den gleichen Satz zu wiederholen, mit dem man sich die Spannung ein- und zugesteht, dies aber gleichzeitig verbindet mit dem unabänderlichen Willen zum Eingehen auf den Partner und zur Äußerung der Wertschätzung. (‚Ich weiß, dass ich jetzt unsicher und hin- und hergerissen bin, ich erkenne trotzdem die gute Absicht und den guten Willen meines Partners an und werde dies auch so jetzt mitteilen.’)
Dies verhindert den Automatismus ‚Wie du mir, so ich dir’ und eröffnet den Weg zur Vermeidung von Etikettierungen, Herabsetzungen und Verletzungen des Partners. (‚Es geht jetzt nicht so, wie du dir das vorstellst, du solltest vorher mal darüber nachdenken, du hättest ja auch mal was sagen können. In deiner kindischen Vorstellung meinst du, es müsse immer alles nach deinem Kopf gehen.’)
Zurückweisung (‚Es geht jetzt nicht so, wie du dir das vorstellst’), Vorwürfe (‚Du solltet vorher mal darüber nachdenken’ – ‚Du hättest ja auch mal was sagen können’) und Herabsetzung in Verbindung mit Vorwurf (‚In deiner kindischen Vorstellung meinst du, es müsse immer alles nach deinem Kopf gehen’) übertragen das selbst empfundene Gefühl der Unsicherheit, das Wissen, die eine oder andere Seite enttäuschen zu müssen, und die daraus entstehende Aggression provozieren den Partner, der sich nun gezwungen sieht, wiederum seine selbst empfundene Enttäuschung und die ihm zugefügte Verletzung aggressiv zu kompensieren oder zumindest sich zu verteidigen. Muss man, wie im gegebenen Beispiel, die Arbeit liegen lassen, hat man ein schlechtes Gewissen und kann den Abend dann ohnehin nicht genießen. Das Fiasko ist nicht aufgehoben, lediglich aufgeschoben.
Legt man dagegen eine Pause ein und konzentriert sich auf den Ansatz der konstruktiven Auseinandersetzung (‚Ich weiß, dass ich …..’), gewinnt man erstens Zeit zum Nachdenken, lässt dem Partner Zeit die erste Enttäuschung nicht wachsen zu lassen, und letztlich konzentriert man sich selbst auf die Möglichkeit der friedlichen und konstruktiven Lösungsmöglichkeit statt emotionsgeladen und unkontrolliert in den Teufelskreis zu geraten, aus dem es der Erfahrung nach kaum ein Entrinnen gibt, auf dessen Höhepunkt sogar die Partnerschaft infrage gestellt werden kann.
In der hier dargestellten Form eines Einzelereignisses scheint es nicht so schlimm zu sein. Sollte diese Art der Auseinandersetzung in einer Partnerschaft jedoch zu einem Schema, zu einem Muster, zu einer Routine des Konfliktverlaufs geworden zu sein, kann die letzte Bemerkung der Infragestellung einer Partnerschaft durch Wiederholung zu einer sich selbst erfüllenden Aussage werden. (‚Ich habe es satt mit dir.’ ‚Was soll das alles noch.’ ‚Dann gehe ich halt.’ ‚Es hat doch alles keinen Sinn mehr.’ ‚Dann geh doch.’)
Wenn der Partner erst einmal auf diesen ‚Vorschlag’ eingeht, sei es auch nur als verbale Retourkutsche, entfremden und entfernen sich die Partner von einander. Es sind unsere Erwartungen, die unsere Wahrnehmung und unser Verhalten entscheidend mitbestimmen. Erwartungen, entstanden durch wiederholt gemachte Erfahrungen in alltäglichen Konflikten und schwierigen Situationen.
Um so schlimmer und folgenreicher, sollte ein solcher Abend dazu dienen, die Stimmung in der Partnerschaft zu verbessern.
Die vorher erwähnte EFT-Methode ermöglicht diese Erwartungshaltung und so determinierte Reaktionen zu durchbrechen und neue Perspektiven zu entwickeln.
Diese Methode lässt sich in 8 Schritten umsetzen und gibt folgende Vorteile:
- Zurückhaltung: beide Seiten behalten leichte ihre Selbstkontrolle
- Zeitgewinn: beide Seiten lassen ihre Enttäuschung /Aggression nicht wachsen
- Nachdenken können: rausfinden, was man selbst will
- Konzentration: einen Weg zur produktiven Lösung suchen
- Eingehen auf den Partner: die gute Absicht erkennen und Wertschätzung formulieren
- Entspannung: Kontrolle über Wortwahl und Körpersprache
- Neue Einstellung: versuchen, einen Kompromiss zu finden, diesen klar zu formulieren und die Zustimmung des Partners zu finden.
- Versöhnlicher Abschluss: Versicherung der gegenseitigen Wertschätzung in Wort und Tat.
Bei einem Kompromiss gibt jede Seite etwas auf und gewinnt oder sichert sich ein Teil des ursprünglichen Plans. Die so gebrachten ‚Opfer’ sollten bei der Umsetzung des Kompromisses in ihrer Bedeutung aber herabgestuft werden und mit einer liebevollen oder lustigen Bemerkung übergangen werden.
Das ‚Gerettete’ sollte als gemeinsamer Gewinn gesehen und so auch formuliert werden.
Ist man in dieser Art der Konfliktbewältigung einigermaßen geübt, kann man ein ‚Opfer’ zwar erwähnen, aber durch die Betonung der gemeinsam errungenen und erarbeiteten Vorteile wird die Partnerschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Die Wahrnehmung des Gegenübers wird verändert und die eigene Reaktion ändert sich im gleichen Maß.
Ein identischer Prozess lässt sich beim und im Gegenüber beobachten. Der Teufelskreis aus negativer Erwartung und destruktiver Reaktion wird durchbrochen und kann so ins Gegenteil umgekehrt werden. Sicher nicht von heute auf morgen, aber wir alle wissen, die wahre Liebe ist ein scheues Reh. Wenn wir sie finden, wenn sie da ist, ist es harte Arbeit, sie zu erhalten und zum Bleiben zu bewegen.
Sollte sie einmal abhanden gekommen sein, bedarf es allergrößter Anstrengungen, sie wieder zu gewinnen. Ein erster Schritt ist es zu versuchen einen Konflikt auf die oben erwähnte Art zu vermeiden oder zu lösen.
Und was (möglicherweise) bringt der ‚Tag danach’?
Das, was am Vortag vorgefallen und als Problem gemeinsam gelöst wurde, sollte von einem Partner kurz angesprochen und mit einem Kompliment bedacht werden. Dieses Kompliment sollte zuerst den Partner betreffen, zum Abschluss aber auch die Partnerschaft. (‚Vielen Dank für dein Verständnis gestern. Ich glaube, dieses Mal haben wir es ganz gut hingekriegt.’)
Bestätigung des Partners und der Partnerschaft statt Herabsetzung und Infragestellung.
Es braucht einige Übung und Zeit, aber die sich schrittweise einstellenden positiven Erfahrungen des Paares oder der Partner lassen sie wieder eine Zukunftsperspektive haben statt sich in der Spirale sich immer wiederholender Vorwürfe, Beleidigungen und Verletzungen zu verlieren.