‚Männlichkeit‘ als Bedrohung der Gesundheit eines Mannes: ‚Als ich mich meiner sonst so niedlichen Katze Biscuit aus einem fehlgeschlagenen Spielmanöver heraus in den Knöchel biss, wusch ich die Wunde mit Seife und Alkohol, klebte ein Pflaster darauf und machte weiter mit meinem Tag. Am nächsten Morgen, als die Stelle geschwollen war, dachte ich mir, es sei wahrscheinlich nur ein Hämatom, und machte weiter. Am darauffolgenden Tag, als die Schwellung zunahm und rote Streifen an meinem Bein heraufkrochen, rief ich dann doch meinen Arzt an.

Wann ist ein Mann ein (richtiger) Mann?
Wann ist ein Mann ein (richtiger) Mann?

Kurz gesagt: Ich landete im Krankenhaus und musste intravenös Antibiotika bekommen. (..) Ja, ich war wohl ein bisschen leichtsinnig. Aber es wirft die Frage auf, ob ich vielleicht meine offensichtliche Lymphagitis (Entzündung der Lymphgefäße) heruntergespielt habe, weil ich ein Mann bin. (…) Wir haben jetzt Beweise dafür, dass Männer ihre medizinischen Symptome oft herunterspielen – und dass dies bei ‚männlicheren‘ Männern noch häufiger vorkommt.‘

Eine Langzeitstudie über 30 Jahre begleitete 4.230 männliche Teilnehmer seit der 7. Bis 12. Klasse. ‚Die erste spannende Frage dabei war: Wie misst man die ‚männliche Geschlechtsexpression‘, das heißt, die Frage, was ‚Männlichkeit‘ eigentlich ausmacht.

Die Forscher analysierten die unterschiedlichsten Antworten auf Fragen, die eindeutig geschlechtsspezifische Verhaltensweisen widerspiegeln. Den Forschern gelang, die Antworten zu einem sogenannten ‚Männlichkeits-Score‘ zusammenzuführen. Die Autoren konzentrierten sich auf häufige Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Hyperlipidämie (erhöhte Blutfettwerte). (Vgl.  Being ‘Manly’ a Threat to a Man’s Health? – Medscape – October 29, 2024.)

‚Männer mit höheren ‚Männlichkeits‘-Scores gaben seltener zu (oder wussten es gar nicht), dass sie an einer bestimmten Erkrankung leiden. (…) Mit zunehmender ‚Männlichkeit‘ sinkt (auch) die Bereitschaft, eine bekannte Krankheit zuzugeben. (…) (Ebenso) suchen Männer mit den besagten Erkrankungen und einer höhen ‚männlichen Geschlechtsexpression‘ seltener Behandlung auf.‘

‚Ein Indianer kennt keinen Schmerz‘ und ‚Jungs weinen nicht‘: Was diese Glaubenssätze über ein (falsches) Bild der Männlichkeit aussagen. In vielen Kulturen und Generationen  existieren Sprichwörter und Redewendungen, die ein bestimmte Bild von Männlichkeit und dem ‚richtigen Verhalten eines Mannes prägen. Phrasen wie ‚Ein Indianer kennt keinen Schmerz‘ oder ‚Jungs weinen nicht‘ sind Beispiele solcher Aussagen, die tief in unserer Gesellschaft verankert sind. Diese simplen, oft als Motivation gedachten Aussagen bergen eine ganze Ideologie in sich – eine, die jedoch falsche Vorstellungen von Männlichkeit zementiert.

Das traditionelle Männlichkeitsbild: Die Aussage ‚Ein Indianer kennt keinen Schmerz‘ verweist auf das Bild des starken, tapferen Mannes, der Herausforderungen und Leiden ohne Klagen annimmt. Auch ‚Jungs weinen nicht‘ verdeutlicht, dass von Männern erwartet wird, ihre Emotionen zu verbergen, insbesondere solche, die als Zeichen von Schwäche gewertet werden könnten. Hierbei ist die Botschaft klar: Emotionen, insbesondere Trauer, Angst oder Schmerz, werden als unvereinbar mit Männlichkeit dargestellt. Diese Erziehungsideale suggerieren, dass es für einen Mann Zeichen von Schwäche und Unzulänglichkeit sei, Gefühle zu zeigen oder zuzugeben, wenn ihm etwas zu schaffen macht.

Wann ist ein Mann ein (richtiger) Mann?
Wann ist ein Mann ein (richtiger) Mann?

Historisch gesehen ist dieses Bild der Männlichkeit tief verwurzelt in patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen, die den Mann als Beschützer, Kämpfer und Versorger in den Vordergrund stellen. Dabei spielt der emotionale Aspekt eine untergeordnete Rolle, da Empathie, Verletzlichkeit und Sensibilität nicht als notwendige Attribute für die Erfüllung dieser Rollen gesehen wurden. Es wurde angenommen, dass Emotionen eine potenzielle Schwäche darstellen und Männer ablenken oder schwächen könnten – eine Annahme, die sich über Generationen hinweg in Stereotypen verfestigt hat.

Die psychischen und sozialen Folgen eines starren Männerbildes: Diese traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit haben psychische, soziale und oft auch körperliche Auswirkungen. Studien haben gezeigt, dass Männer, die stark an die Ideale einer klassischen Männlichkeit gebunden sind, häufiger dazu neigen, ihre gesundheitlichen Bedürfnisse zu ignorieren oder Symptome herunterzuspielen. Dies kann langfristig dazu führen, dass gesundheitliche Probleme rechtzeitig erkannt und behandelt werden, was zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen führen kann. Auch emotional haben diese Ideale Konsequenzen: Männer, die auf ihre Stärke und Unabhängigkeit pochen, suchen oft weniger soziale Unte3rstützung, weil sie dies als Zeichen von ‚Schwäche interpretieren.

Außerdem zeigt sich, dass diese Männer häufiger an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen leiden. Sie empfinden oft Scham, sich Hilfe zu suchen, weil sie ihre psychischen Probleme nicht mit ihrem eigenen Bild von Männlichkeit in Einklang bringen können. Die mentalen Kosten sind hoch: Suizidraten sind bei Männern weltweit signifikant höher als bei Frauen, was zu einem Teil auf die mangelnde Bereitschaft zurückzuführen ist, über emotionale Belastungen zu sprechen oder sich Unterstützung zu holen.

Die gesellschaftliche Prägung und ihre Rolle: Die Botschaft ‚Jungs weinen nicht‘ wird oft schon früh an Jungen herangetragen, durch Eltern, Lehrer und Medien. Bereits in Kindheit und Jugend erfahren sie, dass ‚weibliche‘ Emotionen wie Trauer, Angst oder Hilflosigkeit abgelehnt werden und sie lernen, stattdessen auf Stärke und Dominanz zu setzen. Auch unter Gleichaltrigen gibt es häufig sozialen Druck, den Anforderungen an Stärke und ‚Coolness‘ gerecht zu werden. Diese Prägungen aus der Kindheit und Jugend können das Selbstbild ein Leben lang beeinflussen und es Männern erschweren, authentische Emotionen zu zeigen und anzuerkennen.

Medien und Werbung verstärken dieses Bild weiter, indem sie männliche Helden zeigen, die niemals Schwäche zeigen, unabhängig davon, was sie durchmachen. Diese idealisierten Darstellungen verstärken den Druck auf Männer, in Krisensituationen stark und unerschütterlich zu wirken, obwohl es gesund und menschlich wäre, sich verletzlich zu zeigen und Unterstützung anzunehmen.

Der Wandel in der Auffassung von Männlichkeit: In den letzten Jahrzehnten zeichnet sich ein gesellschaftlicher Wandel ab. Psychologen und Soziologen, unterstützt von Bewegungen für psychische Gesundheit und soziale Gerechtigkeit, plädieren dafür, dass Männlichkeit neu definiert wird. Emotionen zu zeigen und Hilfe anzunehmen sollte als menschlich und nicht als geschlechtsspezifisch betrachtet werden. Es wird zunehmend betont, dass echte Stärke darin liegt, authentisch zu sein, eigene Schwächen zu akzeptieren und sich selbst Hilfe zu erlauben, wenn es nötig ist.

Männer wie prominente Sportler oder Schauspieler, die über ihre psychischen Probleme sprechen, tragen dazu bei, das Stigma zu reduzieren. Sie zeigen, dass Verletzlichkeit und Männlichkeit vereinbar sind und dass wahre Stärke darin liegt, seine Emotionen anzunehmen und aktiv etwas für die eigene Gesundheit zu tun. Psychologische Betreuung, Selbstreflexion und der Austausch über Gefühle werden zunehmend als Zeichen von Reife und Selbstbewusstsein anerkannt und von der Gesellschaft positiv bewertet.

Die Zukunft einer gesundheitsfördernden Männlichkeit: Die Redewendungen ‚Ein Indianer kennt keinen Schmerz‘ und ‚Jungs weinen nicht‘ gehören zu den Glaubenssätzen, die in der modernen Gesellschaft zunehmend hinterfragt werden. Sie spiegeln ein veraltetes und oft schädliches Bild von Männlichkeit wider, das das Leben und die Gesundheit von Männern negativ beeinflussen kann. Die künftige Auffassung von Männlichkeit sollte Männer dazu ermutigen, ihre emotionalen und physischen Bedürfnisse wahrzunehmen und sich selbst zu erlauben, auch ‚weiche‘ und ‚menschliche‘ Seiten zu zeigen.

Wann ist ein Mann ein (richtiger) Mann?
Wann ist ein Mann ein (richtiger) Mann?

Die Gesellschaft kann diesen Wandel unterstützen, indem sie Männern Raum gibt, um Gefühle zu zeigen, und diese Fähigkeit wertschätzt. Die Aufgabe für die Zukunft ist es, ein gesünderes und ganzheitliches Bild von Männlichkeit zu fördern, das Stärke nicht an Unverwundbarkeit oder Emotionslosigkeit misst, sondern als Selbstakzeptanz, Authentizität und der Fähigkeit, sich selbst und anderen gegenüber ehrlich zu sein. Ein echtes Umdenken kann Männern nicht nur helfen, gesünder und glücklicher zu leben, sondern auch zu einem bewussteren und menschlicheren Miteinander führen.

Quellen: