Gender-Astrologie vs. Genderforschung
Die Redewendung ‚Der Mann kommt vom Mars, die Frau von der Venus‘ hat sich in den letzten Jahrzehnten als populäre Metapher für die vermeintlich grundlegenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern etabliert. Sie wurde ursprünglich durch John Grays Bestseller ‚Men Are from Mars, Women Are from Venus‘ (1992) populär gemacht. Sie ist ein Klassiker der Klischees, der uns mit dem Charme der 80er- und 90er-Jahre-Comedy den ewigen Gegensatz der Geschlechter vor Augen führt. Er vom Kriegsplaneten, sie vom Liebesstern. Es ist ein karikatureskes Bild, aber warum sollte das alte Märchen von Mars und Venus nicht immer wieder mal zum Lächeln anregen?
Die Metapher vermittelt die Annahme, dass die beiden Geschlechter über essenzielle, oft gegensätzliche Eigenschaften verfügen, die ihr Denken, Fühlen und Handeln prägen. Interessanterweise lässt sich eine Parallele zu Platons Kugelmenschen-Theorie herstellen, die in mythologischer Form ebenfalls die Existenz zweier Hälften postuliert, die sich nach Einheit und Vervollständigung sehnen. Beide Konzepte haben in den Humanwissenschaften, vor allem in der Psychologie, Einfluss auf Diskurse über Geschlecht, Identität und Beziehungen genommen. Aber mal ehrlich: Ist das nicht ein wenig einfach gestrickt? Ein bisschen so, als wären wir alle nach einer universellen Anleitung programmiert?
Geschlechterunterschiede als essentialistische Dualität: Gray beschreibt in seiner Theorie eine Dualität der Geschlechter, die von biologischen, psychologischen und kulturellen Differenzen geprägt sei. Männer und Frauen seien unterschiedlich in ihrer Kommunikation, ihren Bedürfnissen und ihrem Umgang mit Gefühlen. Männer, so Gray, neigen dazu, Probleme rational anzugehen, während Frauen emotionale Unterstützung und Bestätigung suchen. Dieses Bild mag intuitiv einleuchtend erscheinen, es reduziert die komplexen sozialen und individuellen Unterschiede jedoch auf starre Dichotomien. Solche Festlegungen führen oft zu Geschlechterklischees, in denen Männer auf Rationalität und Frauen auf ihre Emotionalität reduziert werden. Diese Kategorisierungen werden jedoch der Vielfalt der menschlichen Persönlichkeit nicht gerecht, da sie dem kulturellen und sozialen Kontext wenig Beachtung schenken und individuelles Verhalten als angeboren oder natürlich erscheinen lassen.
Männer und Frauen: Zwei Hälften einer (zerbrochenen) Kugel: Platons Kugelmensch-Theorie beschreibt einen Mythos der Getrenntheit und des Verlangens nach Einheit. In Platons Dialog ‚Symposion‘ wird erzählt, dass Menschen ursprünglich kugelförmige Wesen waren, die sowohl männliche als auch weibliche Aspekte in sich vereinten. Diese Kugelmenschen wurden jedoch von Zeus getrennt, und seither suchen sie ihre ‚andere Hälfte‘, um die ursprüngliche Ganzheit wieder herzustellen. Quasi ein ‚göttliches Dating-Problem‘.
Die Vorstellung der Geschlechter als zwei Hälften, die einander ergänzen, lässt sich als symbolische Beschreibung der menschlichen Suche nach Zugehörigkeit und Identität lesen, die jedoch auch das binäre Bild der Geschlechterdifferenzierung verstärken kann. Es geht hier eher um ein spirituelles, mythologisches Bild der Ganzheit. Denn seien wir ehrlich, die Jagd nach der ‚einen Hälfte‘ lässt uns manchmal glauben, wir seien unvollständig – was ziemlich fatal sein kann, wenn die Kugel am (anderen) Ende doch kein perfektes Ganzes macht.
Einfluss auf den Diskurs in Psychologie und Humanwissenschaften: Kein Wunder, dass dieses einfache Mars-Venus-Bild so populär ist. Es gibt uns das Gefühl, komplizierte Beziehungsprobleme auf eine einfache Formel runterbrechen zu können. Die Psychologie hat sich eine Weile auf diesen Ansatz eingelassen, gerade in der populärwissenschaftlichen Ecke. Dennoch hat die metaphorische Vorstellung, dass Männer und Frauen von verschiedenen Planeten stammen, di3e Psychologie und die populäre Geschlechterforschung nachhaltig beeinflusst. Die Mars-Venus-Metapher hat sich als eine Art praktischer Leitfaden etabliert, um Konflikte und Missverständnisse zwischen den Geschlechtern zu erklären. Persönliche Differenzen werden als Geschlechterunterschiede missinterpretiert, was wiederum stereotype Annahmen untermauern kann. In der modernen Psychologie und Geschlechterforschung gibt es zunehmend Ansätze, die sich von solchen binären Geschlechtermodellen lösen. Geschlecht, so wird angenommen, ist sowohl eine Frage der biologischen Bestimmung als auch ein sozial konstruiertes Phänomen.
Die moderne Psychologie: Forscher wie Judith Butler meinen, dass Geschlecht nicht nur etwas Biologisches ist, sondern ein soziales Konstrukt, das immer wieder neu verhandelt werden muss in der Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft. Das Mars-Venus-Konzept gilt als eine veraltete und vereinfachte Sicht, die weder der Vielfalt der menschlichen Psyche noch der Realität sozialer Rollen gerecht wird. Das Bild des Mannes, der sich durchsetzt, und der Frau, die Rückhalt sucht, passt eben doch nur in eine Welt, die in Schwarz und Weiß denkt – dabei gibt es so viele Zwischentöne, die den Menschen ausmachen. In Indien zum Beispiel gibt seit Jahrhunderten Hijras, die als ‚drittes Geschlecht‘ anerkannt werden. So etwas passt in unsere starre, westliche Denkweise meist noch nicht ganz. Vielleicht gibt es in Zukunft so viele Geschlechterkategorien, dass wir jenseits von ‚LGB-irgendwas-und-irgendwie‘ es einfach nur noch die Kategorie ‚Menschen‘ gibt? Wäre doch mal praktisch.
Die Zukunft: Das theoretische Konstrukt von Mars und Venus sowie Platons Kugelmenschen laden dazu ein, über die menschliche Natur und die Dynamik zwischen den Geschlechtern nachzudenken. Die Vorstellungen bleiben jedoch humorvolle Klassiker, die die Komplexität der menschlichen Identität auf ein fast rührendes Klischee reduziert. Sie bergen jedoch auch die Gefahr, zu deterministischen und vereinfachten Ansichten über Geschlechter zu führen. Ein postmoderner Ansatz, der Geschlecht als dynamisches, soziales und fluides Konstrukt versteht, bietet eine alternative Perspektive, die dem Facettenreichtum menschlicher Identität und Beziehungen gerechter wird. Die historische Entwicklung und die heutige Genderforschung zeigen jedoch, dass Geschlechterbilder stets im Wandel sind. Sie betonen die Diversität und Individualität, die jeder Mensch mit sich bringt. Sogar wenn wir uns alle nur noch als ‚Mensch‘ sehen würden, blieben immer noch genug Unterschiede übrig, um uns spannend und individuell zu fühlen – ohne dafür die Welt in Mars und Venus aufteilen zu müssen.
Inspiritation:
www.philomag.de/artikel/judith-butler-und-die-gender-frage
Bilder: KI-generiert /chatGPT