Die Entwicklungsgeschichte
Die Elektroschock-Therapie, auch Elektrokonvulsivtherapie / EKT genannt, hat eine bewegte und kontroverse Geschichte. Von ihren Anfängen in den 1930er Jahren bis hin zu ihrer heutigen Anwendung hat sich die Therapie sowohl in ihrer Methodik als auch in ihrem gesellschaftlichen Ansehen stark gewandelt.
Die Anfänge
Die EKT wurde erstmals 1938 von den italienischen Psychiatern Ugo Cerletti und Lucio Bini in Rom angewendet. Sie entwickelten die Methode, nachdem sie beobachtet hatten, dass Tiere durch elektrische Schocks vorübergehend bewusstlos gemacht wurden, ohne dauerhaften Schaden zu erleiden. Cerletti vermutete, dass elektrische Schocks auch bei psychisch kranken Menschen therapeutisch wirken könnten.
Die erste Behandlung an einem Menschen erfolgte im April 1938 bei einem schwer psychotischen Patienten. Die Therapie zeigte eine beeindruckende Verbesserung des Zustands des Patienten. In den folgenden Jahren wurde die EKT weltweit eingesetzt, insbesondere bei Patienten mit schwerer Depression, Schizophrenie und manischen Zuständen.
Frühe Fehler und Missbrauch
In den ersten Jahrzehnten der Anwendung gab es jedoch zahlreiche Probleme und Missbräuche der EKT.
Zunächst wurde die Therapie oft ohne Anästhesie oder Muskelrelaxanzien durchgeführt. Dies führte zu extremen Schmerzen, Knochenbrüchen und anderen körperlichen Verletzungen der Patienten während der Anfälle. Auch wurde sie oft ohne die informierte Zustimmung der Patienten durchgeführt. In einigen Fällen wurde sie als Bestrafung für ‚ungehorsames Verhalten‘ der Patienten in psychiatrischen Anstalten eingesetzt. Und da die genauen Wirkungsmechanismen zu dieser Zeit nicht verstanden wurden, herrschte große Unsicherheit darüber, welche Patienten am meisten von der Therapie profitieren könnten. Die Anwendungen waren oft so weit verbreitet wie willkürlich.
All dies führte erheblich zu einer Stigmatisierung der EKT bei, was zu einem starken Rückgang ihrer Anwendung in den 1960er und 1970er Jahren führte.
Verbesserung und Modernisierung
Einer der wichtigsten Fortschritte war die Einführung von Anästhesie und Muskelrelaxanzien vor der Behandlung. Dies verringerte das Risiko von körperlichen Verletzungen erheblich und machte die Therapie für die Patienten weitaus erträglicher.
Mit dem wachsenden Verständnis psychischer Erkrankungen und der Wirkungsmechanismen der EKT wurde die Anwendung gezielter, insbesondere bei schweren Depressionen, wenn die Patienten auf Medikamente nicht mehr ansprachen. In solchen Fällen zeigte die EKT große Wirksamkeit.
Die EKT heute: Erster Teil
Heute wird die EKT als eine sichere und wirksame Behandlungsmethode angesehen, insbesondere bei schweren Depressionen, sogenannten Major Depressionen, bei bipolaren Störungen und bestimmten Formen der Schizophrenie. Die Therapie wird heute in einem stark regulierten medizinischen Umfeld unter bestimmten Leitlinien durchgeführt, wobei die informierte Zustimmung der Patienten oder ihrer Angehörigen zwingend erforderlich ist.
Studien zeigen, dass EKT bei etwa 70-90% der Patienten mit therapierestenten Depressionen wirksam ist. Moderne Verfahren wie die bilaterale und unilaterale EKT sowie die sogenannte ‚ultrabrief pulse ECT‘ haben die Nebenwirkungen und das Risiko der kognitiven Beeinträchtigungen erheblich reduziert.
Trotz der wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte bleibt die EKT in der Öffentlichkeit oft noch stigmatisiert. Aufklärungskampagnen und die Transparenz in der medizinischen Praxis haben jedoch dazu beigetragen, das Vertrauen in die Therapie wiederherzustellen.
Die EKT heute: Zweiter Teil
Ein Quantensprung?
Dass die Elektrokonvulsionstherapie wirkt, gilt als gesichert. Jetzt glauben Wissenschaftler auch zu wissen, wie.
Die EKT ist seit Jahrzehnten eine lebensrettende Behandlung für Patienten mit therapieresistenter Depression (TRD). Doch wie genau sie wirkt, war bisher unklar. Neue Forschungsergebnisse beleuchten nun die zugrunde liegenden Mechanismen der EKT, was helfen könnte, den Therapieerfolg besser voherzusagen und Vorurteile gegenüber dieser effektiven, aber oft missverstandenen Behandlung abzubauen.
Neue Erkenntnisse
Zwei aktuelle Studien zeigen, dass die sogenannte ‚aperiodische neuronale Aktivität‘ nach der Behandlung mit EKT signifikant zunimmt. Aperiodische Aktivität, oft als ‚Hintergrundrauschen des Gehirns‘ betrachtet, fördert hemmende Aktivitäten im Gehirn und verlangsamt das Gesamtorgan, was wiederum depressive Symptome lindern kann.
Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, EKT als wertvollen Bestandteil der Behandlung von TRD neu zu bewerten und Ängste vor der Behandlung abzubauen. Trotz ihrer Wirksamkeit bei bis zu 80 der Patienten wird EKT aufgrund ihrer Stigmatisierung und der Bedenken hinsichtlich der kognitiven Nebenwirkungen selten angewendet – weniger als 1% der TRD-Patienten erhalten diese Behandlung.
Die Entdeckung, dass aperiodische Aktivität als messbare Größe eines Elektroenzephalogramms zur Vorhersage eines möglichen Behandlungserfolgs dienen könnte, könnte die Akzeptanz von EKT verbessern.
Fazit
Die Elektrokonvulsionstherapie ist geprägt durch den Wandel von einer oft missverstandenen und missbrauchten Methode hin zu einer modernen, effektiven und sicheren Behandlung von schweren psychischen Erkrankungen. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung hat dazu geführt, dass sie heute einen wichtigen Platz im therapeutischen Arsenal gegen schwere Depressionen und andere psychische Erkrankungen einnimmt.
Die neuen Erkenntnisse könnten dazu führen, dass EKT vermehrt in Erwägung gezogen wird. Insbesondere da durch den Einsatz effektivere und schonendere Geräte sowie Einsatz von Anästhesie und Muskelrelaxanzien die die Entdeckung des Einflusses der aperiodischen neuronalen Aktivität die Nebenwirkungen signifikant verringern. Forscher hoffen, dass diese Fortschritte und Entdeckungen helfen werden, das Verständnis und die Anwendung von EKT in der klinischen Praxis zu verbessern.
Quellen: https://www.srf.ch/news/psychiatriezentrum-muensingen-elektroschock-geschichte-einer-umstrittenen-therapie
Electroconvulsive Therapy Works, Now Scientists Believe They Know How – Medscape – 7. August 2024