Der sogenannte Lügendetektor, traditionell als Polygraph bekannt, hat eine kontroverse und zugleich faszinierende Geschichte in der modernen Psychologie und Psychotherapie.

Foto: www.freepik.com
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Während Polygraphen in Deutschland herkömmlich zur Erkennung von Stressindikatoren und nicht zum Nachweis von Lügen, schon gar nicht in polizeilichen Verhören, eingesetzt werden, eröffnen moderne Technologien, vor allem KI-gestützte Analysesysteme, eine neue Dimension der Anwendung in der psychotherapeutischen Praxis. Diese Entwicklung ist jedoch nicht unproblematisch und wirft sowohl ethische als auch rechtliche und methodische Fragen auf.

Funktionsweise und psychotherapeutische Grenzen des klassischen Polygraphen

Der Polygraph misst physiologische Reaktionen wie Herzfrequenz, Atemfrequenz, Hautleitfähigkeit und Blutdruck. Ursprünglich wurde er verwendet, um durch diese biologischen Signale Aufschluss über die emotionale Erregung einer Person zu erhalten. Da die Reaktionen stark variieren, ist der Polygraph in gerichtlichen und diagnostischen Zusammenhängen jedoch stark umstritten und kann als Nachweis für Lügen nur bedingt gelten. In Deutschland ist er als Mittel der Wahrheitsfindung in Vernehmungen nicht zugelassen.

In der Psychotherapie ist der Einsatz eines klassischen Lügendetektors wenig praktikabel. Die therapeutische Beziehung basiert auf Vertrauen und Offenheit; die Verwendung eines solchen Geräts könnte unter Umständen die therapeutische Beziehung stören und die Compliance seitens des Klienten beeinträchtigen. Es könnte ein Machtgefälle erzeugen, das für den Therapieprozess kontraproduktiv wäre. Zudem ist die Interpretation von physiologischen Stressindikatoren komplex und leicht zu Fehlschlüssen führen.  (www.freepik.com)

Möglichkeiten und Herausforderungen KI-gestützter Weiterentwicklungen

KI hat das Potenzial, die herkömmliche Polygraphie weiterzuentwickeln, indem sie Datenmuster analysiert, die weit über die Fähigkeiten eines klassischen Lügendetektors hinausgehen. KI-gestützte Systeme können große Mengen physiologscher, sprachlicher und gestischer Daten verarbeiten und in Echtzeit analysieren. Diese Erweiterung könnte in der Psychotherapie durch verschiedene Tools den Therapeuten in vielen Bereichen seiner Arbeit unterstützen, ohne ihn jedoch ersetzen zu können. Einer möglichen Angst vor der Entpersönlichung wie bei der Apparatemedizin muss jedoch von Beginn an vorgebeugt werden.

Die KI kann anhand vom Stimmfrequenzen, Gesichtsausdruck oder Körpersprache Hinweise auf Emotionen wie Angst, Wut oder Traurigkeit erkennen. Diese Analyse könnte dem Therapeuten ein besseres Verständnis für die emotionalen Zustände des Klienten bieten, die verbal möglicherweise nicht direkt geäußert werden.

Die kontinuierliche Erfassung der physiologischen Daten könnten KI-Systeme und somit stressauslösende Situationen erkennen und entsprechende Muster identifizieren. In der Therapie könnten solche Systeme helfen, auf subtile emotionale Veränderungen zu achten, insbesondere bei Klienten, die Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle auszudrücken.

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Über den Weg der Spracherkennung könnte eine linguistische Analyse Muster in der Sprachwahl, der Satzstruktur und der Ausdrucksstärke identifizieren, die auf psychische Zustände wie Depression oder Angst hindeuten. Auch hier könnte der Therapeut durch die Datenanalyse Einblicke in die unbewussten Aspekte der Klientenkommunikation gewinnen.

Objektivierung von Gefühlen und Stimmungen

Eine KI-gestützte Analyse des verbalen und nonverbalen Verhaltens des Klienten könnte den Therapeuten dabei unterstützen, emotionale und psychische Zustände seines Gegenübers besser einzuschätzen, insbesondere wenn dieser seine Emotionen nicht klar artikulieren kann.

Der Einsatz könnte besonders hilfreich sein bei nonverbalen Klienten, etwa in der Kinder- und Jugendpsychotherapie oder bei Menschen mit Sprachbarrieren.

Die aufgezeichneten Daten liegen zwar objektiv vor, deren Interpretation ist jedoch auch durch Hintergrund, Erfahrungsschatz und wissenschaftstheoretischen Blickwinkel des Therapeuten gefärbt.

Ein weiterer Vorteil liegt in der Möglichkeit der Verlaufskontrolle und der Fortschrittsmessung. Durch die Analyse der Daten über mehrere Sitzungen hinweg könnten Veränderungen in der emotionalen und physischen Reaktionsweise erkannt werden. Dies könnte wertvolle Hinweise auf den Fort- oder Rückschritt des Klienten im therapeutischen Prozess geben.

Insbesondere in der Traumatherapie könnten KI-gestützte Systeme helfen, Triggerpunkte und stressinduzierende Reaktionen frühzeitig zu erkennen. Dies würde dem Therapeuten ermöglichen, den Prozess behutsamer und vorausschauender zu gestalten und individuell auf die Belastungsgrenzen des Klienten einzugehen.

Rechtliche und ethische Herausforderungen

Der Einsatz von KI-gestützter Psychotherapie erfordert die Erfassung, Speicherung und Analyse hochsensibler Daten. Allein schon die Speicherung und Verarbeitung dieser Informationen ist datenschutzrechtlich bedenklich und könnte das Vertrauensverhältnis zwischen dem Therapeuten und seinem Klienten beeinträchtigen. Das gilt aber auch bereits bei den händisch aufgezeichneten oder digital codierten Daten, also der karteimäßigen oder im Computer gespeicherten Dokumentation des Therapieverlaufs.

Auch Künstliche Intelligenz kann fehleranfällig sein, insbesondere wenn die Algorithmen auf generalisierten Daten basieren, die nicht die spezifischen psychischen Merkmale eines Individuums berücksichtigen. Fehlinterpretationen könnten daher falsche therapeutische Schlüsse zur Folge haben. Diese Gefahr liegt aber auch bei jeder traditionellen Verdachtsdiagnose vor.

Grenzen und Perspektiven des Einsatzes KI-gestützter Systeme

KI-gestützte Tools moderner und erweiterter Polygraphen könnten eine wertvolle Ergänzung zur und in der Psychotherapie sein, jedoch nur in einem unterstützenden und sehr kontrollierten Rahmen. Ein solches System sollte auf keinen Fall die therapeutische Arbeit ersetzen oder eigenständig diagnostische Aussagen treffen. Ein solches System sollte als Hilfsmittel gesehen und genutzt werden, wobei die endgültigen Entscheidungen und Verantwortlichkeiten im System Therapeut-Klient verbleiben müssen, in dem die Autonomie des Klienten nicht beeinträchtigt werden darf.

Insgesamt zeigt sich, dass KI-gestützte Polygraphie-Technologien eine faszinierende Entwicklung darstellen, die psychotherapeutische Methoden und Ansätze erweitern könnten. Eine verantwortungsvolle Implementierung bedarf jedoch klarer ethischer Richtlinien, datenschutzrechtlicher Vorkehrungen und der Sicherstellung, dass diese Technologien stets nur unterstützend und nicht wertend oder gar autoritativ verwendet werden.

Text zum Thema „Born Again