Die Präzisionspsychiatrie als Zukunft der Behandlung

Die Psychiatrie befindet sich inmitten eines revolutionären Wandels hin zur Präzisionsmedizin, einem Ansatz, der Behandlungen auf die individuellen Merkmale jedes Patienten zuschneidet.

Dieses Konzept erinnert an Fortschritte in der Onkologie und Kardiologie, wo präzise Werkzeuge wie Analyse von blutbasierten Biomarkern und bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomographie die Patientenversorgung bereits grundlegend verändert haben.

Doch was genau bedeutet Präzisionspsychiatrie?

Das Ende des ‚One-Size-Fits-All‘-Ansatzes

Bisher stützt sich die Psychiatrie oft auf einen ‚One-Size-Fits-All‘-Ansatz, bei dem die Behandlung auf Grundlage subjektiver Symptombeschreibungen verordnet werden, wobei jeder Praktiker weiß, dass z.B. Depression nicht gleich Depression ist.

Dieser Ansatz ist jedoch häufig ineffektiv, da die diagnostischen Kategorien zu breit gefächert sind. Viele Symptome treten in unterschiedlichen Krankheitsbeschreibungen auf, wenn man nur an den Begriff Depression denkt. Oft lautet ein Vorwurf an die Praktiker, sie verschrieben eh nur Antidepressiva, wobei die Depression eigentlich ‚nur‘ eine Komorbidität repräsentiere.

Um auf die dahinter- oder darunterliegende Dysfunktion zu gelangen, erfolgt ein frustrierender und zeitaufwändiger ‚Trial-and-Error‘-Prozess, frustrierend für beide Seiten, Patient und Arzt / Therapeut.

Im Gegenzug dazu bietet die Präzisionspsychiatrie die Möglichkeit, Subtypen von psychiatrischen Störungen zu identifizieren und Behandlungen auf der Grundlage messbarer, objektiver Daten anzupassen. Diese Methodik könnte das Potenzial haben, speziell für schwer behandelbare Depressionen durchschlagende Erfolge zu erzielen.

Blutbasierte Biomarker und Neuroimaging als Präzisionstools

An der Stanford University hat man mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) acht ‚Biotypen‘ von Depression identifiziert, die auf unterschiedliche Funktionsstörungen in sechs verschiedenen Gehirnkreisläufen hinweisen. Diese Biotypen ermöglichen es, Patienten individuell auf gezielte und wirksame Therapien abzustimmen.

Blutbasierte Biomarker und Neuroimaging als Präzisionstools Foto Freepic
Blutbasierte Biomarker und Neuroimaging als Präzisionstools Foto Freepic

Ein weiteres Beispiel für die Fortschritte in der Präzisionspsychiatrie sind blutbasierte Biomarker, die in der Lage sind, zwischen Depression und bipolare Störungen zu unterscheiden. Biomarker sind z.B. im Blut sich befindende Eiweiße (Peptide). Sie können, je nach Häufigkeit, das zukünftige Risiko einer Person für diese Störungen vorhersagen und helfen, die Medikamentenauswahl zu optimieren. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass eine Kombination von Blutbiomarkern dabei helfen kann, die Behandlung präziser auf den Patienten abzustimmen.

Blutbasierte Biomarker Foto Freepic
Blutbasierte Biomarker Foto Freepic

So werden im Falle von an Alzheimer Erkrankten  Blutproben von Patienten untersucht. Gemessen werden die Biomarker P-Tau-181 und NfL (Neurofilament light chain). Durch die Kombination dieser Ergebnisse mit den Daten zu Alter, Geschlecht und Genetik kann ein spezifischer Risikowert ermittelt werden. Dieser Wert soll angeben, wie hoch das Risiko ist, an der Alzheimer-Krankheit zu erkranken.

Mit diesen Werkzeugen kann die Entwicklung von psychiatrischen Medikamenten schneller, kostengünstiger und erfolgreicher gestaltet werden, so die Hoffnung der Wissenschaftler. Auch durch die Identifizierung spezifischer neuronaler Kreisläufe, die bei Subtypen psychiatrischer Erkrankungen eine Rolle spielen, können Medikamente gezielter entwickelt und eingesetzt werden.

Fazit

Obwohl die Präzisionspsychiatrie vielversprechend ist, stehen ihrer umfassenden Umsetzung noch einige Herausforderungen im Weg.  Die benötigte Technologie und das erforderliche Fachwissen sind nicht überall verfügbar. Während es überzeugende Beweise für den Einsatz dieser Methode bei schweren Depressionen und Alzheimer gibt, ist die Datenlage für andere psychiatrische Störungen wie Schizophrenie noch begrenzt.

Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, die Beweislage für die Präzisionspsychiatrie auf eine breitere Palette psychiatrischer Erkrankungen auszudehnen. Ebenso wichtig ist es, diese Präzisionswerkzeuge leichter zugänglich und skalierbar zu machen, etwa durch die Entwicklung tragbarer Bildgebungstechnologien oder einfacherer Biomarker-Tests.

Die Integration dieser Werkzeuge in die routinemäßige psychiatrische Praxis erfordert auch Schulungen und Aufklärung der Kliniker sowie kosteneffiziente Lösungen, um diese Ansätze flächendeckend verfügbar zu machen.

 Quellen:

Beyond One-Size-Fits-All: Precision Psychiatry Is Here – Medscape – August 27, 2024.

Deuschl G, Maier W: S3-Leitlinien “Demenzen” der DGPPN und der DGN

https://www.alzheimer-forschung.de/forschung/forschungsprojekte/projektdatenbank/projekt/ein-bluttest-fuer-die-grundversorgung-mit-risiko-ermittlung-fuer-die-alzheimer-krankheit

Bilder: freepik