Veränderung ist ein zentrales Thema im menschlichen Leben, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Doch warum fällt es Menschen so schwer, sich zu verändern? Der Satz ‚Der Mensch verändert sich nicht, es sein denn, sich nicht zu verändern wird zu der unbequemeren Option‘ beschreibt eine tiefgreifende Wahrheit: Veränderung geschieht meist erst dann, wenn der Leidensdruck groß genug ist. In der Psychologie spricht man dann von einer ‚Anpassungsstörung‘.
Der psychologische Hintergrund der Probleme der Veränderung ist die Tatsache, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Routinen und bekannte Muster bieten einerseits Sicherheit und Stabilität, entlasten durch quasi automatisiertes Handeln den Alltag, andererseits sind Routinen und eingeübte Muster nicht immer förderlich. Der Verhaltensbiologe B.F. Skinner beschrieb, wie Verstärkungen und Bestrafungen unser Verhalten prägen. Solange eine Situation – sei es eine destruktive Beziehung, eine ungesunde Lebensweise oder berufliche Stagnation – erträglich bleibt, wird der Mensch oft keinen Anlass sehen, diese zu verändern. Was gelobt und belohnt wird, kann nicht schlecht sein, also wird es beibehalten und durch Wiederholungen verinnerlicht. Was negativ bewertet und bestraft wird, wird erst dann vermieden und verändert, wenn die negativen Folgen zu stark werden. Der Kraftaufwand, das Gewohnte abzulegen und Neues aufzubauen, muss geringer sein als die Bewältigung von Kritik und Abwertung.
Kurz gesagt: Der Mensch strebt nach positiver Bestätigung und Belohnung und vermeidet mögliche oder bereits erfahrene Abwertung und Bestrafung.
Psychotherapeutisch gesehen, kann mit der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT/CBT) dem Individuum geholfen werden, die automatischen Gedanken, Glaubenssätze und Handlungsmuster, die zu ungesunden Konsequenzen führen, bewusst zu machen und zu hinterfragen. Oft erkennt der Klient erst im therapeutischen Prozess, dass die vermeintliche Sicherheit in der Stagnation ein Selbstbetrug ist. Therapie kann hier helfen, den Leidensdruck nicht nur als Last, sondern geradezu als Motivation zur Veränderung zu begreifen.
Der Psychiater Viktor Frankl betonte, dass man dem Leidensdruck den Sinn zuschreiben kann, zu einer bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben zu kommen. Ohne Leidensdruck verharrt der Mensch jedoch oft in einer Komfortzone. Ein klassisches Beispiel ist die Prokrastination, auch ‚Aufschieberitis‘ genannt: Solange die Konsequenzen des Nicht-Handelns, z.B. ein finaler Termin, fern genug erscheint, wird die Handlung verschoben.
Im schematherapeutischen Kontext werden dann ungesunde Bewältigungsstrategien wie Vermeidung adressiert. Therapeuten helfen dem Klienten, die langfristigen Kosten der Untätigkeit emotional zu begreifen. Wenn der Leidensdruck bewusst wahrgenommen wird, entsteht oft eine höhere Bereitschaft zur Veränderung.
Die Neurobiologie sagt, dass das Gehirn Energieeffizienz bevorzugt. Veränderungen erfordern die Umstrukturierung neuronaler Netzwerke, was als kognitiv anstrengend empfunden wird und viel Energie kostet. Dopamin, ein Neurotransmitter, der mit Belohnung assoziiert ist, spielt eine zentrale Rolle in diesem Prozess. Ohne eine klare Belohnungsperspektive fällt es schwer, neue Verhaltensweisen zu etablieren.
Hier spielt die Motivational-Interviewtechnik eine entscheidende Rolle. Sie ist darauf ausgelegt, den inneren Antrieb des Klienten zu stärken, indem sie positive Ziele und Belohnungen in den Fokus stellt. Gleichzeitig können Achtsamkeitspraktiken dazu beitragen, das Gehirn für das Hier und Jetzt zu sensibilisieren und alte Muster zu durchbrechen.
Unsere grundsätzlichen Verhaltensweisen und unser aktuelles Handeln, unsere Denkweisen und unsere tatsächlichen Gedanken werden nicht nur durch unsere Erfahrungen geprägt, sondern auch durch kulturelle Normen und ungeschriebene Gesetze. In kollektivistisch geprägten Gesellschaften werden Veränderungen, die von der Gruppe abweichen, von dieser häufig als Bedrohung empfunden. In individualistisch orientierten Kulturen hingegen wird persönliches Wachstum idealisieret, was jedoch auch Druck erzeugen kann.
Ein tiefes Verständnis der kulturellen Prägung eines Klienten kann helfen, den Kontext seiner Veränderungsblockade zu erkennen. In der systemischen Therapie wird insbesondere darauf geachtet, wie Familie, Kultur und Umfeld die Veränderungsmöglichkeiten des Einzelnen beeinflussen.
Ein diffuses Gefühl von Angst ist eine der größten Hürden bei Veränderungen, es ist die Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten. Schutz und Sicherheit im Gewohnten sind nicht mehr gewährleistet. Selbst wenn das Bestehende unzufriedenstellend und belastend ist, bleibt es vertraut. Diese Dynamik erklärt, warum viele Menschen an dysfunktionalen Beziehungen oder unbefriedigenden Jobs festhalten.
In einer Expositionstherapie wird der Klient dazu ermutigt, sich schrittweise seiner Angst zu stellen, anstatt sie zu vermeiden. Durch diese kontrollierte Auseinandersetzung mit Unsicherheit kann das Unbekannte seinen Schrecken verlieren, und der Weg zur Veränderung wird gangbarer.
Menschen, die nicht an sich selbst und ihre eigenen Stärken glauben, mangelt es an Selbstwirksamkeit. Der Glaubenssatz heißt: Ich kann sowieso nichts tun, also ist jede Anstrengung sinnlos. Für sie ist damit auch jede Veränderung sinnlos, da sie eh nicht erreicht werden kann. Der Mensch hat die Kontrolle über sich und sein Leben nicht entwickeln können oder sie irgendwann verloren.
Ziel vieler therapeutischer Ansätze ist es, die Selbstwirksamkeit zu stärken. Kleine Erfolge werden genutzt, um den Glauben an die eigene Veränderungsfähigkeit zu fördern. Dies kann durch kognitive Umstrukturierung oder praktische Übungen geschehen.
In der humanistischen Psychologie und Psychotherapie wird der Mensch als ein Wesen gesehen, dem ein natürliches Streben nach Wachstum, Selbstverwirklichung und Vervollkommenung innewohnt. Die damit verbundenen Veränderungen im persönlichen, familiären und beruflichen Umfeld können Möglichkeiten sein, immer mehr im Einklang mit den eigenen Werten zu leben. Doch dafür muss oft erst die Illusion der Sicherheit fallen.
Carl Rogers, der Begründer der humanistischen Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie und der klientenzentrierten Therapie, betont die Empathie und die Akzeptanz, mit der der Therapeut seinem Klienten gegenüberzutreten hat. So unterstützt und begleitet er ihn in seinem individuellen Wachstumsprozess. Hierbei wird die Veränderung nicht als Zwang, sondern als Chance betrachtet, das eigene Potenzial zu entfalten.
Der Mensch verändert sich selten aus Bequemlichkeit oder Einsicht, sondern aus Notwendigkeit. Psychotherapeutisch gesehen ist dies jedoch kein Defizit, sondern eine Realität, die genutzt werden kann. Indem Therapeuten Leidensdruck in einen konstruktiven Prozess kanalisieren und Ängste vor dem Unbekannten abbauen, wird Veränderung möglich. Schließlich ist es oft der Schmerz, der den Menschen dazu bringt, über sich hinauszuwachsen. Oder wie es Friedrich Nietzsche formulierte: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Wahrlich eine kosmische Dimension.
Inspiration:
Brianna Wiest: The Truth About Everything. Piper, München 2024, S. 101.
https://www.oberbergkliniken.de/krankheitsbilder/anpassungsstoerungen
Bilder: KI-generiert. ChatGPT