Eine stille Krise im Jugendalter. Mädchen sind doppelt so häufig wie Jungen von Depressionen betroffen. Doch woran liegt das? Ein Beitrag von von Lisa O’Mary, Medscape, 27. März 2025

Ein Forschungsteam aus London hat nun Hinweise auf biologische Ursachen gefunden, die diesen Unterschied zumindest teilweise erklären könnten. Und diese Erkenntnisse betreffen viele von uns – vielleicht auch dich.

Warum Depressionen Mädchen stärker treffen als Jungen
Warum Depressionen Mädchen stärker treffen als Jungen

Ein Stoff, viele Wirkungen: die Rolle von Tryptophan. Im Zentrum der neuen Studie steht eine Aminosäure, die wir alle aus unserer Nahrung kennen: Tryptophan. Es steckt in vielen Lebensmitteln wie Geflügel, Milchprodukten, Nüssen und Samen. Unser Körper braucht es, unter anderem zur Bildung von Melatonin, das den Schlafrhythmus steuert, und von Serotonin, das unsere Stimmung beeinflusst. Doch bei manchen Mädchen wird Tryptophan im Gehirn nicht wie gewöhnlich in schützende, nervenfreundliche Stoffe umgewandelt – sondern in Substanzen, die für Nervenzellen schädlich sind. Dieser sogenannte neurotoxische Weg erhöht nicht nur die Anfälligkeit für Depressionen, sondern steht auch in Zusammenhang mit chronischen Entzündungswerten im Körper.

Entzündungen und Depression: ein gefährliches Zusammenspiel. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass genau jene Mädchen, deren Blutzeichen auf eine anhaltende Entzündung hindeuteten, besonders häufig auch über depressive Symptome klagten oder bereits eine schwere Depression diagnostiziert bekommen hatten. Mädchen also, deren Körper Tryptophan auf diesem schädlichen Weg verarbeitet, sind besonders gefährdet – und das in einem Alter, in dem psychische Stabilität enorm wichtig für die soziale und emotionale Entwicklung ist.

Zahlen, die alarmieren. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen und vertiefen, was schon frühere Untersuchungen gezeigt haben: Mädchen sind in der Pubertät besonders gefährdet. Laut einem Bericht der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC aus dem Jahr 2024 gaben 53 % der befragten Teenager-Mädchen an, anhaltende Gefühle von Traurigkeit oder Hoffnungslosigkeit zu erleben – im Vergleich zu 28 % der Jungen. Auch Suizidgedanken und suizidales Verhalten treten bei Mädchen häufiger auf.

Ein Blick ins Gehirn: Der Kynurenin-Stoffwechselweg. Die Studie untersuchte insgesamt 150 Jugendliche, jeweils 75 Mädchen und Jungen im Alter von etwa 15 Jahren aus Brasilien. Bei den Mädchen, die an Depressionen litten oder ein hohes Risiko dafür hatten, zeigte sich eine besonders niedrige Konzentration jener Tryptophan-Abbauprodukte, die normalerweise das Nervensystem schützen. Dieser Unterschied ließ sich bei den Jungen nicht beobachten. Der biochemische Weg, den Tryptophan dabei im Gehirn nimmt – entweder in Richtung Schutz oder Schädigung – wird der „Kynurenin-Stoffwechselweg“ genannt.

(Der Kynurenin-Weg ist ein Stoffwechselweg, über den der Körper die Aminosäure Tryptophan abbaut. Dabei entstehen entweder nervenschützende oder nervenschädigende (neurotoxische) Substanzen. Bei anhaltendem Stress oder Entzündungen wird der Weg oft in Richtung der schädlichen Stoffe gelenkt – was mit einem höheren Risiko für Depressionen in Verbindung steht. Quelle: claude.ai)

 (Tryptophan ist als Nahrungsergänzungsmittel frei erhältlich. Wie bei allen Eingriffen in den Stoffwechselprozess im menschlichen Körper ist eine haus- oder fachärztliche Abklärung und Beratung unbedingt vor dem Konsum einzuholen.)

Neue Wege der Behandlung – speziell für Mädchen. Die Erkenntnisse könnten helfen, neue, personalisierte Behandlungsansätze zu entwickeln. Wenn es gelänge, den Kynurenin-Weg gezielt zu beeinflussen – etwa durch die Senkung von Entzündungswerten oder durch Förderung der nervenschützenden Stoffwechselprodukte – könnten depressive Entwicklungen bei Mädchen womöglich frühzeitig gestoppt oder sogar verhindert werden. Auch zeigte sich, dass Mädchen mit hohen Werten der schädlichen Stoffe drei Jahre später häufiger noch unter Depressionen litten, während jene mit gesunkenen Werten sich eher erholt hatten.

Ursachenforschung: Warum sind Mädchen besonders betroffen? Warum verläuft dieser Stoffwechselweg bei Mädchen anders als bei Jungen? Noch sind nicht alle Zusammenhänge geklärt. Sicher ist: Entzündungsprozesse im Körper beeinflussen den Stoffwechsel im Gehirn. Und solche Entzündungen können wiederum durch Kindheitstraumata oder hormonelle Veränderungen ausgelöst werden – zwei Faktoren, die besonders im Leben vieler Mädchen eine Rolle spielen. Es ist also wahrscheinlich, dass genau diese Einflüsse zu der chemischen Schieflage beitragen, die Depressionen begünstigt.

Behandlung und Prävention – was wir heute schon tun können. Auch wenn es noch keine gezielten Medikamente für diesen Mechanismus gibt, bieten sich schon heute vielversprechende Ansätze: Anti-entzündliche Medikamente könnten helfen, ebenso wie gezielte Ernährung, regelmäßige Bewegung und Stressbewältigung – all das sind Maßnahmen, die Entzündungen im Körper nachweislich senken. Und genau dort liegt vielleicht ein Schlüssel zur Vorbeugung.

Tryptophan als Chance – nicht nur als Risiko. Tryptophan selbst bleibt ein lebenswichtiger Nährstoff, der zahlreiche Funktionen erfüllt. Entscheidend ist jedoch, wie unser Körper ihn nutzt. Deshalb ist es so wichtig, weiter daran zu forschen, wie wir diesen Prozess gezielt beeinflussen können – zum Beispiel durch Ernährung oder Medikamente, die den Weg im Gehirn beeinflussen. Und genauso entscheidend ist, dass wir Mädchen identifizieren, die besonders gefährdet sind – bevor sie schwer erkranken. Denn wer früh erkennt, kann Leben retten.

Ein Schritt in Richtung Verständnis und Heilung. Die Ergebnisse dieser Studie sind ein wichtiger Schritt, um die oft stille, aber tiefgreifende Krise vieler Mädchen besser zu verstehen. Und sie geben Hoffnung – auf individuell zugeschnittene Hilfe, auf neue Wege der Prävention und auf die Möglichkeit, dass eines Tages keine Jugendliche mehr in einer Depression versinkt, weil niemand erkannt hat, wie sehr sie gefährdet war.

Textübersetzung und Bearbeitung KI-unterstützt.

Quelle: Why Depression Hits Girls Harder Than Boys – Medscape – March 27, 2025

Bild: www.pixabay.com.