Eine unterhaltsame Figur in der Welt der Märchen – aber ein ernsthaftes Problem im realen Leben

Einführung in ein komplexes Phänomen. Das Münchhausen-Syndrom gehört zu den rätselhaftesten psychischen Störungen, die wir in der modernen Psychiatrie kennen. Benannt wurde es nach dem legendären Baron von Münchhausen, dessen fantastische Geschichten und Übertreibungen literarische Berühmtheit erlangten. Im medizinischen Kontext beschreibt dieses Syndrom Menschen, die körperliche oder psychische Krankheiten vortäuschen oder selbst herbeiführen – mit dem primären Ziel, medizinische Behandlung und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu erhalten. Besonders wenn es um unsere Kinder, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen geht, ist ein tieferes Verständnis dieses Phänomens von großer Bedeutung. Aber auch für Betroffene aller Altersgruppen und deren Angehörige ist es wichtig zu verstehen, dass hinter diesem Verhalten mehr steckt als bloßes ‚Fabulieren, Lügen oder Aufmerksamkeitshascherei‘.

Wie erkennen wir das Münchhausen-Syndrom? Bei Menschen mit Münchhausen-Syndrom handelt es sich um eine artifizielle (vorgetäuschte) Störung, bei der die Betroffenen absichtlich und bei vollem Bewusstsein Krankheitssymptome erfinden, übertreiben oder sogar selbst herbeiführen. Anders als bei Menschen, die aus einem klar erkennbaren äußeren Nutzen heraus simulieren – etwa um finanzielle Vorteile zu erlangen oder unangenehmen Pflichten zu entgehen – liegt der Hauptgewinn beim Münchhausen-Syndrom in der Patientenrolle selbst. Die Symptome können außerordentlich vielfältig sein: Sie reichen von erfundenen Krankengeschichten mit dramatischen, aber medizinisch plausiblen Details, über selbstzugefügte Verletzungen oder Manipulationen am eigenen Körper, bis hin zur Verfälschung von Laborproben, etwa durch Beimischung von Blut in Urinproben. Häufig beobachten wir auch die Manipulation von Messgeräten oder das Phänomen des „hospital-and-doctor hopping“ – der oftmalige Wechsel von Kliniken und Ärzten, sobald Verdacht aufkommt.

Verständnis statt Verurteilung – Ein anderer Blick auf die Störung. Obwohl das Münchhausen-Syndrom eine ernsthafte psychische Störung darstellt, gibt es einige Aspekte, die zum tieferen Verständnis Ihrer betroffenen Kinder oder Angehörigen beitragen können. Für viele Betroffene – seien es Kinder, Jugendliche oder Erwachsene – stellt das Verhalten einen Bewältigungsmechanismus für tieferliegende emotionale Bedürfnisse dar. So dysfunktional es auch erscheinen mag, kann es als unbewusster Hilferuf verstanden werden, als indirekter Ausdruck schwerwiegender seelischer Not, für die die Betroffenen keine andere Ausdrucksform gefunden haben. Bemerkenswert ist auch, dass Patienten mit Münchhausen-Syndrom oft beeindruckendes medizinisches Wissen und ein tiefes Verständnis für Krankheitsbilder und Behandlungsabläufe entwickeln.

Die dunkle Seite – Risiken und Schäden. Trotz aller Bemühungen um Verständnis müssen wir anerkennen, dass die negativen Folgen des Münchhausen-Syndroms deutlich überwiegen. Als Eltern oder Angehörige sollte man sich der erheblichen Risiken bewusst sein. Die direkte körperliche Selbstschädigung durch Selbstverletzung, Einnahme schädlicher Substanzen oder das Herbeiführen von Krankheitszuständen kann zu dauerhaften gesundheitlichen Problemen führen. Hinzu kommen medizinische Komplikationen durch unnötige oder wiederholte Eingriffe, die mit eigenen Risiken verbunden sind. Viele Betroffene erleben eine schmerzhafte soziale Isolation, wenn Angehörige oder Freunde das Verhalten irgendwann durchschauen, was zu tiefen Konflikten und Vertrauensverlust führt. Nicht zu unterschätzen sind auch die beruflichen und finanziellen Konsequenzen durch häufige Krankenhausaufenthalte, die zu Schulausfällen, Studienabbrüchen oder Arbeitslosigkeit führen können. Gerade bei jungen Menschen kann dies die gesamte Lebensperspektive nachhaltig beeinträchtigen.

Wann wird es gefährlich? – Risikobewertung und Warnsignale. Eine zentrale Frage ist die nach dem Gefahrenpotenzial. Wann sollte man besonders alarmiert sein? Riskant und gefährlich wird das Münchhausen-Syndrom, wenn die selbst zugefügten Verletzungen oder Manipulationen lebensbedrohlich werden – etwa durch Infektionen mit gefährlichen Substanzen. Besondere Aufmerksamkeit ist geboten, wenn Operationen oder invasive Eingriffe durchgeführt werden, die bleibende Schäden hinterlassen können. Eine besonders beunruhigende Entwicklung sehen wir, wenn die betroffene Person andere in ihr Krankheitsverhalten einbezieht, wie es beim sogenannten Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom der Fall ist, bei dem typischerweise Eltern Krankheiten bei ihren Kindern vortäuschen. Höchste Alarmbereitschaft ist angezeigt, wenn suizidales Verhalten als Teil der Symptomatik auftritt oder wenn eine vollständige soziale Isolation eintritt und alle Lebensbereiche – sei es Schule, Ausbildung, Beruf oder Familie – dem Krankheitsverhalten untergeordnet werden.

Von leicht bis schwer – Die verschiedenen Ausprägungen. Das Münchhausen-Syndrom kann in unterschiedlichen Schweregraden auftreten. Von einem notorischen Münchhausen-Syndrom sprechen wir, wenn das Verhalten wiederholt und über längere Zeiträume – oft Jahre – auftritt und zu einem festen Muster im Leben Ihres Kindes oder Angehörigen wird. Als pathologisch bezeichnen wir das Syndrom, wenn die krankhaften Handlungen einen zwanghaften Charakter annehmen und die Betroffenen trotz einer gewissen Einsicht in die Schädlichkeit ihres Verhaltens nicht in der Lage sind, es zu kontrollieren. Besonders problematisch wird es beim auto-toxischen Münchhausen-Syndrom, bei dem die selbstschädigenden Verhaltensweisen bereits zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden geführt haben, wie Organschäden oder chronischen Krankheitszuständen. Von einem sozio-toxischen Münchhausen-Syndrom sprechen wir, wenn das Verhalten nicht nur die Betroffenen selbst schädigt, sondern erhebliche negative Auswirkungen auf das soziale Umfeld hat, besonders wenn andere Personen – Partner, Geschwister, Freunde – instrumentalisiert oder manipuliert werden.

Medizinische Einordnung und Selbstschädigung. In der medizinischen Klassifikation nach ICD-10 wird das Münchhausen-Syndrom unter F68.1 als „Artifizielle Störung“ oder „Vorgetäuschte Störung“ eingeordnet. Die Selbstschädigung ist dabei ein zentrales Element der diagnostischen Einordnung. Diese zeigt sich auf verschiedenen Ebenen: Körperlich durch direkte Selbstverletzungen, Einnahme schädlicher Substanzen, Provokation von Krankheitszuständen und langfristige Folgen unnötiger medizinischer Eingriffe. Psychisch durch den chronischen Stress, eine Fassade aufrechterhalten zu müssen, durch Identitätsverlust in der dauerhaften Krankenrolle und den Verlust echter zwischenmenschlicher Beziehungen. Und nicht zuletzt sozial durch die Zerstörung vertrauensvoller Beziehungen, berufliche und finanzielle Einbußen sowie gesellschaftliche Isolation und Stigmatisierung. Gemäß der medizinischen Definition handelt es sich um ein „absichtliches Erzeugen oder Vortäuschen von körperlichen oder psychischen Symptomen oder Behinderungen“, das durch innere psychische Bedürfnisse motiviert ist. Die Selbstschädigung ist dabei nicht nur ein Nebeneffekt, sondern ein wesentlicher Mechanismus zur Aufrechterhaltung des Krankheitsverhaltens.

Hoffnung durch Hilfe – Behandlungsmöglichkeiten. Es ist wichtig zu wissen: Es gibt Hilfe, auch wenn der Weg nicht leicht ist. Die Behandlung des Münchhausen-Syndroms gestaltet sich oft schwierig, da viele Betroffene – insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene – ihre psychische Problematik leugnen und sich primär somatische, also körperliche Behandlung wünschen. In der therapeutischen Gemeinschaft gibt es unterschiedliche Herangehensweisen: Während einige Therapeuten eine behutsame Konfrontation mit dem Verhalten für notwendig halten, bevorzugen andere einen nicht-konfrontativen Ansatz, der auf Vertrauensbildung setzt. Beide Wege können, je nach individueller Situation, erfolgversprechend sein. Die Psychotherapie, sei es tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch ausgerichtet, kann helfen, die zugrundeliegenden emotionalen Bedürfnisse zu identifizieren und alternative Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Begleitende Depressionen oder Angststörungen, die häufig mit dem Münchhausen-Syndrom einhergehen, können zudem medikamentös behandelt werden. Besonders wichtig ist ein multiprofessioneller Ansatz, bei dem verschiedene medizinische Fachrichtungen und psychosoziale Dienste koordiniert zusammenarbeiten. Aufgrund der hohen Rückfallgefahr ist in vielen Fällen eine langfristige therapeutische Begleitung sinnvoll.

Leben mit der Diagnose – Ein Ausblick. Abschließend möchte ich Ihnen, liebe Eltern und Angehörige, aber auch den Betroffenen selbst, Mut machen. Das Münchhausen-Syndrom ist eine komplexe psychische Störung, die zwar erhebliche Belastungen mit sich bringt, aber mit der richtigen Unterstützung bewältigt werden kann. Der erste Schritt ist oft der schwerste – das Erkennen und Akzeptieren des Problems. Die Grenze zwischen einer noch normalen Suche nach Aufmerksamkeit und einer gefährlichen pathologischen Entwicklung ist manchmal fließend, aber dort zu ziehen, wo dauerhafte körperliche Schäden entstehen, lebensbedrohliche Situationen provoziert werden oder andere Personen in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Aufgabe als Eltern, Angehörige oder Freunde ist es nicht, Therapeut zu spielen, sondern Verständnis zu zeigen und gleichzeitig klare Grenzen zu setzen. Für die Betroffenen selbst gilt: Eine Diagnose ist kein Urteil, sondern der Beginn eines Weges zur Besserung. Mit professioneller Hilfe kann es gelingen, die zugrunde liegenden emotionalen Bedürfnisse auf gesündere Weise zu erfüllen und ein erfülltes Leben jenseits der Krankenrolle zu führen.                                                     Es gilt der Grundsatz: Hinter jedem Verhalten steckt ein Bedürfnis. Die Herausforderung besteht darin, diese Bedürfnisse zu erkennen und gesündere Wege zu finden, sie zu erfüllen – für ein Leben in Gesundheit, Authentizität und echter zwischenmenschlicher Verbundenheit.

Inspiration: Gespräche mit Bettina                                                                                                   Quelle:  Annemarie Schirner: Münchhausen by proxy Syndrom. Alptraum zu Hause. GRIN-Verlag.                                                                                                                                      Bild: pixabay.com                                                                                                                                        Text wurde mit Hilfe von KI erstellt und bearbeitet.