Der autoritäre Charakter der Deutschen und ihre Bereitschaft der ‚Wollüstigen Unterwerfung‘ unter eine radikale, autoritären Führergestalt

In seinem Artikel ‚Angst und Bange um Österreich‘ in der Allgemeinen Zeitung Mainz vom 16.1.2025 spricht der Verfasser Andreas Müller über die ‚wollüstige Unterwerfung‘ der Anhänger unter einen autoritären Führer. Er verweist dabei auf Max Horkheimers Konzept des autoritären Charakters. Max Horkheimer, einer der bedeutendsten Vertreter der Frankfurter Schule, analysierte in seinen Arbeiten die Dynamik autoritärer Charakterstrukturen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen.

Facts statt Fakes 1
Facts statt Fakes 1

In seinem Hauptwerk ‚Autorität und Familie‘ (1936) sowie in weiteren Schriften, wie ‚Dialektik der Aufklärung‘ (1947) setzte er sich intensiv mit den psychologischen Grundlagen des autoritären Charakters auseinander. Ein zentraler Aspekt in diesem Kontext ist die Bereitschaft zur ‚wollüstigen Unterwerfung‘, die sowohl als psychologische Disposition als auch als gesellschaftliches Phänomen betrachtet werden kann. Auch in der modernen Gesellschaft wirken diese psychodynamischen Mechanismen und haben nichts an ihrer Bedeutung verloren.

Horkheimer versteht den autoritären Charakter nicht als angeborene Eigenschaft, sondern als Ergebnis soziokultureller Prägung. Im Zentrum steht die ambivalente Haltung zur Autorität. Menschen mit einer autoritären Persönlichkeitsstruktur neigen dazu, Autorität unhinterfragt anzuerkennen und gleichzeitig Hierarchien nach unten mit Härte und Kontrolle durchzusetzen. Diese Haltung spiegelt eine Kombination aus Unterwerfung und Dominanz wider.Der autoritäre Charakter zeichnet sich durch ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft an gesellschaftliche Normen und Erwartungen aus, ohne diese kritisch zu reflektieren. Er hat ein starkes Bedürfnis, in seinem Autoritätsglauben die gegebene Autorität als Schutzinstanz zu idealisieren und sich selbst in der Anonymität zu verlieren.        

Gegenüber Schwächeren zeichnet ihn eine gewisse Feinseligkeit aus, die die Projektion seiner eigenen inneren Unsicherheit auf andere, insbesondere marginalisierte Gruppen darstellen. Der Mensch mit einem autoritären Charakter ist unfähig, differenziert zu denken. Er denkt in Kategorien wie ‚Entweder-Oder‘ und in ‚Schwarz und Weiß‘. Er zeigt sich unfähig, Ambiguität zu tolerieren, was zu einer Neigung führt, die Welt in eben nur diesen Kategorien wahrzunehmen und die Mitmenschen in ‚Freund-Feind‘ einzuteilen. Horkheimer identifizierte diese Charaktermerkmale als psychologische Grundlage für die Anfälligkeit gegenüber totalitären Ideologien und totalitären politischen Bewegungen wie ideologischer Radikalismus, Nationalismus, Imperialismus und Faschismus, sei es von rechts oder von links. Überall gilt gleich in welcher Form das sogenannte Führerprinzip, die Befehls- und Gehorsamshierarchie von oben nach unten. Der Begriff der ‚wollüstigen Unterwerfung‘ beschreibt eine paradoxe Dimension des autoritären Charakters. Viele Menschen sind nicht unfreiwillig in Hierarchien eingebunden, sondern sie empfinden geradezu Lust, sich einer höheren Instanz zu unterwerfen. Diese Haltung entspringt einer Mischung aus Angst, Unsicherheit, Schuldgefühl und dem Wunsch nach Geborgenheit. Letztlich trägt man für sein Tun keine unmittelbare persönliche Verantwortung, denn man handelt als Element eines hierarchisch gegliederten Systems und nicht als Individuum.

Die Unterwerfung dient der Angstbewältigung, wenn die Welt als Bedrohlich und chaotisch wahrgenommen wird. Die Unterwerfung unter eine starke Autorität vermittelt Sicherheit und Orientierung angesichts der technologischen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Transformationen im regionalen, nationalen und globalen Rahmen. Indem sich der Mensch in seinen Gefühlen der Angst, der Ohnmacht und Fremdbestimmung mit der Macht und der übergeordneten Instanz identifiziert, nimmt er zumindest symbolisch an der Macht teil, er wird Teil des Machtapparates und glaubt somit, seine Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit zurückgewinnen zu können. Triebdynamisch gesehen können Unterwerfung und (Über-) Identifikation auch als Befriedigung des Lustprinzips verstanden werden, wenn die Selbstaufgabe als Entlastung von der eigenen Verantwortung erlebt wird.

Eigene Aggressionen und Ängste können nun endlich auf andere übertragen werden, da jede totalitäre Ideologie einen Feind braucht, als selbstgeschaffenen Antipoden, den es zu bekämpfen und auszurotten gilt, sei es nun der Klassen- oder der Rassenfeind.

Facts statt Fakes 2
Facts statt Fakes 2

Aktive Teilhabe oder auch Mitläufertum sind beides Manifestationen der von Horkheimer identifizierten ‚wollüstigen Unterwerfung. Indem Individuen ihre Freiheit aufgeben und sich mit einer Autorität identifizieren, werden Etablierung und Reproduktion von totalitärer Herrschaft legitimiert und erleichtert. Diese Dynamik ist zentral für das Verständnis, wie autoritäre Regime ihre Macht sichern und ausbauen können. So ist die Horkheimers Analyse aktueller denn je. Sowohl die Opportunisten als auch die Mitläufer können zu Opfern werden.

Heute zeigt sich die Problematik der wollüstigen Unterwerfung wieder, wenn auch in subtileren Formen. Politische Führer nutzen Ängste und Unsicherheiten, um mit einem Höchstmaß an Populismus Gefolgschaft zu erzeugen. Sie appellieren dabei an das Bedürfnis nach starker Führung in unsicheren Zeiten.

Autoritäre Regime wollen eine starke Kontrolle über die Bevölkerung ausüben um des Machterhalts und der Machtausweitung willen. Sie begründen den Ausbau der digitalen Kontrolle mit dem Versprechen von Sicherheit und Komfort. Menschen mit autoritärem Charakter nehmen dafür bereitwillig den Verlust von Privatsphäre in Kauf und ebnen den Weg in die totale Überwachungsgesellschaft.

Bleibt die Frage nach geeigneten Gegen- und Bewältigungsstrategien. Nicht nur Max Horkheimer betont in diesem Zusammenhang die Rolle von Bildung, Selbstreflexion und die Pflege der demokratischen Kultur als Gegenmittel.

Eine kritische Bildung soll nicht nur Wissen vermitteln. Sie soll auch zur Entwicklung kritischer Denkfähigkeit und individueller Autonomie durch Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung beitragen.  Menschen, die sich ihrer eigenen Ängste und Unsicherheiten bewusst sind und sich diesen stellen, sind weniger bereit, sich in Abhängigkeit von Autoritäten und autoritären Führerfiguren zu begeben. Die Pflege eines offenen und ehrlichen gesellschaftlichen Diskurses auf der Grundlage von ‚facts statt fakes‘ kann autoritären Tendenzen entgegenwirken.

In der aktuellen innenpolitischen Landschaft ist eine Tendenz zu Appeasement-Politiken gegenüber radikalen Akteuren auf der rechten als auch auf der linken Seite des politischen Spektrums zu beobachten. Aber auch in der Außenpolitik sind nachgiebige Haltungen gegenüber autokratischen Führern, die ihre Macht durch aggressive Außenpolitik bei gleichzeitigen menschenrechtswidrigen Repressionen im Innern sichern, zu beobachten. Horkheimers Analyse des autoritären Charakters und seiner Unterwerfungsbereitschaft autoritärer Führergestalten gegenüber bleibt hochaktuell.

Sie bietet ein tiefes Verständnis für die psychologischen Mechanismen, die autoritäre Strukturen ermöglichen und stabilisieren. Sie zeigt zugleich Wege auf, wie diese vermieden, verhindert oder überwunden werden können. In einer Welt, die von Krisen, Unsicherheiten und globalen Machtverschiebungen geprägt ist, ist es für demokratische Gesellschaften entscheidend, die Balance zwischen individueller Freiheit und persönlicher, als auch gesellschaftlicher Verantwortung neu zu diskutieren und definieren. Opportunisten und Mitläufer sind ebenso innere Feinde einer demokratischen Gesellschaft, wie es die autoritären Führergestalten und Demagogen des ‚fakes statt facts‘ selbst sind.

Inspiration:

  • Andreas Müller: Angst und bange um Österreich. Zwei Autoren durchleuchten Herbert Kickl, der in Wien regieren könnte – und fördern Erschreckendes zutage. In: Mainzer Allgemeine Zeitung v. 16.1.2025, S. 2.
  • Bilder: KI-generiert. ChatGPT