Ein Beispiel für ein kurzes sokratisches Gespräch zwischen einer Lehrerin (L) und einem Schüler (S), der glaubt, dass „Mut bedeutet, keine Angst zu haben“. Ziel ist es, den Schüler dazu zu bringen, seine Definition von Mut zu hinterfragen und zu verfeinern – ganz im Sinne der sokratischen Methode, die auf Fragen, Klärung und gemeinsamen Erkenntnisgewinn setzt.

Thema: Was ist Mut?

L: Du hast gesagt, dass Mut bedeutet, keine Angst zu haben. Habe ich das richtig verstanden?

S: Ja, genau. Wenn man keine Angst hat, dann ist man mutig.

L: Interessant. Kannst du dich an eine Situation erinnern, in der jemand mutig war?

S: Ja, mein großer Bruder ist mal in einen brennenden Schuppen gerannt, um unseren Hund zu retten.

L: Das klingt wirklich mutig. Weißt du, ob er in dem Moment Angst hatte?

S: Ja, er hat später gesagt, dass er total Angst hatte, aber er musste den Hund retten.

L: Also hatte er Angst – aber er hat trotzdem gehandelt?

S: Ja, genau.

L: Würdest du sagen, dass er weniger mutig war, weil er Angst hatte?

S: Nein… eigentlich eher mutiger, oder?

L: Warum denkst du das?

S: Weil er trotz der Angst etwas Gefährliches getan hat, um jemandem zu helfen.

L: Könnte man also sagen, dass Mut nicht bedeutet, keine Angst zu haben, sondern vielleicht trotz der Angst zu handeln?

S: Ja, das klingt richtig.

L: Dann wäre deine erste Definition vielleicht noch nicht ganz vollständig gewesen?

S: Stimmt… Ich glaube, Mut ist eher, wenn man etwas Gutes oder Wichtiges tut, obwohl man Angst hat.

Thema: Was ist Gerechtigkeit?

Lehrer (L): Du hast vorhin gesagt, dass Gerechtigkeit bedeutet, dass alle das Gleiche bekommen. Habe ich dich da richtig verstanden?

Schüler (S): Ja. Wenn alle gleich behandelt werden, ist es gerecht.

L: Interessanter Gedanke. Stell dir vor, du hast zwei Mitschüler: Einen, der immer zu spät kommt, und einen, der immer pünktlich ist. Wenn beide die gleiche Belohnung bekommen, findest du das gerecht?

S: Hm… Eigentlich nicht. Der Pünktliche hat sich ja mehr Mühe gegeben.

L: Also wäre es gerechter, wenn sie nicht das Gleiche bekommen?

S: Ja, vielleicht… Der, der sich mehr anstrengt, sollte auch mehr bekommen.

L: Dann wäre Gerechtigkeit also nicht, dass alle das Gleiche bekommen, sondern dass jeder bekommt, was er verdient?

S: Ja, das klingt richtiger.

L: Und wie würdest du das dann in einem Satz sagen? Was ist Gerechtigkeit?

S: Gerechtigkeit ist, wenn jeder das bekommt, was er verdient?

L: Einverstanden. Jetzt stell dir vor: Ein Mitschüler hat sehr schwierige Bedingungen zu Hause. Er strengt sich an, aber schafft es trotzdem nicht so gut wie andere. Sollte er das gleiche bekommen wie jemand, der bessere Voraussetzungen hat?

S: Hm… Vielleicht schon. Es ist ja schwerer für ihn.

L: Heißt das, dass man auch die Umstände berücksichtigen muss, wenn man über Gerechtigkeit spricht?

S: Ja, eigentlich schon.

L: Dann: Was ist jetzt deine neue Definition von Gerechtigkeit?

S: Vielleicht… Gerechtigkeit ist, wenn jeder so behandelt wird, wie es fair ist – je nachdem, was er braucht und wie viel Mühe er sich geben kann?

L: Das ist eine sehr differenzierte Definition. Merkst du, wie sich deine Meinung weiterentwickelt hat?

S: Ja. Ich dachte zuerst, Gerechtigkeit ist einfach Gleichheit – aber jetzt denke ich, sie ist viel komplizierter.

Ein historisches Beispiel (z. B. König Salomon oder das Urteil des Paris) oder mit Bezug auf ein aktuelles Thema (z. B. soziale Gerechtigkeit)?

Thema: Schulverweigerung – Warum gehe ich nicht mehr hin?

Beraterin (B): Du hast gesagt, dass du nicht mehr in die Schule gehen willst. Magst du mir sagen, warum?

Jugendliche*r (J): Weil es sinnlos ist. Es bringt mir nichts.

B: Du empfindest es also als sinnlos. Gab es eine Zeit, in der du das noch anders gesehen hast?

J: Vielleicht früher, in der Grundschule. Da war es irgendwie noch normal.

B: Und was hat sich seitdem verändert?

J: Ich weiß nicht… Es wurde alles viel stressiger. Und ich fühle mich da einfach fehl am Platz.

B: Du sagst, du fühlst dich fehl am Platz. Was meinst du damit?

J: Ich passe da nicht rein. Die anderen sind laut oder oberflächlich. Und die Lehrer interessieren sich eh nicht für mich.

B: Es klingt, als ob du dich ziemlich allein fühlst in der Schule. Stimmt das?

J: Ja. Total.

B: Und wenn man sich so fühlt – dass einen niemand sieht oder versteht – was passiert dann?

J: Dann hat man halt keinen Bock mehr, sich anzustrengen. Wofür auch?

B: Und was glaubst du, passiert langfristig, wenn du einfach nicht mehr hingehst?

J: Keine Ahnung. Wahrscheinlich Ärger. Mit dem Jugendamt oder so.

B: Also gibt es einen Preis dafür, die Schule zu meiden?

J: Ja. Aber ich halte es dort auch nicht aus.

B: Das klingt, als würdest du zwischen zwei Dingen feststecken: Du willst dich schützen – und gleichzeitig weißt du, dass das Folgen hat.

J: Ja, genau.

B: Wenn du für einen Moment nicht an die Schule denkst: Gibt es etwas, das du stattdessen gerne tun würdest?

J: Vielleicht… irgendwas Praktisches. Ich kann gut mit Tieren. Oder handwerklich.

B: Spannend. Und glaubst du, es gäbe Wege, wie du dich wieder mit deinem Leben verbinden könntest – auch wenn Schule ein Teil davon ist?

J: Vielleicht… aber nicht so, wie es jetzt ist.

B: Was müsste sich verändern, damit du einen Schritt zurückgehen könntest – nicht in dieselbe Schule, sondern in ein anderes Verhältnis zu dir selbst?

J: Ich bräuchte erstmal eine Pause. Und jemanden, der mich ernst nimmt.

Anmerkung:
Dieses Gespräch ist ein Beispiel für sokratische Gesprächsführung im therapeutisch-pädagogischen Kontext:

  • Es bewertet nicht.
  • Es fragt nach Ursprüngen, Bedeutungen und Alternativen.
  • Es hilft, eigene Bedürfnisse zu entdecken.
  • Es lässt Raum für Zweifel, Ambivalenz und Entwicklung.

Hier ist ein vierteiliges, sokratisch orientiertes Gesprächsprogramm zum Thema Schulverweigerung, wie es in einer begleitenden Beziehung (Beratung, Pädagogik, Jugendhilfe oder Therapie) geführt werden könnte.

Die Struktur ermöglicht eine behutsame Vertiefung – vom Ist-Zustand über innere Motive bis hin zu Zukunftsbildern und möglichen Schritten. Die Gespräche setzen auf Reflexion, Selbstklärung und Würdigung innerer Konflikte statt auf Ratschläge.


🧩 Gesprächsreihe: „Ich will nicht mehr in die Schule – oder doch?“


🧭 Gespräch 1: Was ist eigentlich los?

Ziel: Raum schaffen, um Gedanken und Gefühle zu äußern, ohne bewertet zu werden.

B (Berater*in): Du hast gesagt, du gehst nicht mehr zur Schule.
J (Jugendliche*r): Ja. Ich kann das einfach nicht mehr.
B: Was genau meinst du mit „nicht mehr können“?
J: Ich fühle mich müde. Leer. Alles ist zu viel.
B: Gab es einen bestimmten Moment, wo es angefangen hat?
J: Ich glaube, das kam nach und nach. Ich hab mich irgendwann einfach nur noch durchgequält.
B: Wenn du morgens aufwachst – was ist dein erster Gedanke?
J: Ich will nicht hin. Ich will einfach nur Ruhe.
B: Was ist es genau, was dich so erschöpft – die Menschen, die Aufgaben, das Gebäude, der Druck?
J: Alles irgendwie. Als ob ich da nicht ich selbst sein darf.

➡️ Reflexion: Was ist dein innerer Zustand, wenn du „nein“ zur Schule sagst?


🧭 Gespräch 2: Was steckt dahinter?

Ziel: Tiefer liegende Bedürfnisse und Widersprüche sichtbar machen.

B: Wenn du die Schule meidest – ist das eher ein Protest oder ein Rückzug?
J: Vielleicht beides. Ich will, dass es aufhört. Aber ich weiß auch nicht, wohin sonst.
B: Gibt es etwas, das du dir in Wahrheit wünschen würdest – auch wenn du es kaum zu hoffen wagst?
J: Dass mich jemand versteht. Dass ich was machen kann, das zu mir passt.
B: Was wäre das für dich – etwas, das zu dir passt?
J: Irgendwas mit echten Dingen. Nicht nur Tests und Noten.
B: Und was denkst du: Wenn du einfach wegläufst – kommst du deinem Wunsch dann näher oder weiter weg?
J: Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich fliehe eher. Aber das ändert nichts.
B: Was müsste passieren, damit du nicht fliehen musst?

➡️ Reflexion: Wovor fliehe ich – und wonach sehne ich mich?


🧭 Gespräch 3: Wer bin ich – jenseits der Schule?

Ziel: Eine neue innere Erzählung über die eigene Person ermöglichen.

B: Stell dir vor, es gäbe keine Schule mehr – was würdest du tun?
J: Ich würde aufstehen, wenn ich wach bin. Und irgendwo helfen. Vielleicht mit Tieren.
B: Was sagt dir das über dich?
J: Dass ich eigentlich gern was tue – aber nicht so wie in der Schule.
B: Und was würdest du einem Menschen sagen, der sagt: „Wenn du nicht zur Schule gehst, bist du faul oder gescheitert“?
J: Der versteht nichts. Es ist nicht Faulheit, es ist… Überforderung.
B: Würdest du dir selbst glauben, wenn du das sagst?
J: (überlegt) Vielleicht… manchmal nicht. Ich fühle mich selbst wie ein Versager.
B: Und wenn du statt dir selbst einen guten Freund in dieser Lage sehen würdest – was würdest du ihm sagen?

➡️ Reflexion: Wer bin ich wirklich – und wie will ich mit mir sprechen?


🧭 Gespräch 4: Und jetzt? Wohin soll es gehen?

Ziel: Erste Schritte ins Handeln denken – ohne Druck, aber mit realistischer Perspektive.

B: Wenn es einen kleinen Schritt gäbe – wirklich nur einen –, der dir nicht weh tut, aber eine Veränderung möglich macht: Welcher wäre das?
J: Vielleicht ein Gespräch mit jemandem, der zuhört. Oder eine andere Schulform ausprobieren.
B: Wer müsste dabei sein, damit du dich sicher fühlst?
J: Jemand, der mich nicht drängt.
B: Woran würdest du merken, dass du wieder ein bisschen Hoffnung hast?
J: Wenn ich morgens aufwache und nicht gleich denke: Ich will nur weg.
B: Würde es sich lohnen, darauf hinzuarbeiten?
J: Ich glaube… ja. Irgendwann.
B: Was wäre ein erster Gedanke, mit dem du morgen in den Tag gehen könntest?

➡️ Reflexion: Was wäre ein erster Schritt zurück in ein Leben, das wieder mir gehört?


🔚 Fazit

Diese vier Gespräche geben keine Lösung vor, aber sie öffnen Räume:

  • für Selbstverstehen statt Selbstverurteilung,
  • für Ambivalenz statt Schwarz-Weiß-Denken,
  • und für kleine Schritte statt falscher Heldentaten.

! Hier ist der Entwurf für ein Arbeitsheft mit Rollenspielcharakter zur sokratischen Gesprächsführung bei Schulverweigerung. Es richtet sich an Jugendliche, die sich überfordert fühlen und ihr eigenes „Warum“ erkunden möchten – unterstützt durch einen Gesprächspartnerin (z. B. Beraterin, Lehrkraft, Elternteil, Therapeutin).


📘 Arbeitsheft: „Ich will nicht mehr in die Schule – oder doch?“

Vier Gespräche für Jugendliche, die nicht mehr können (und trotzdem hoffen)
Ein sokratischer Gesprächsweg in Rollenspiel-Form


🔹 Wie du dieses Heft benutzen kannst

Dieses Heft ist für dich.
Es ist kein Test und kein Arbeitsblatt.
Es fragt, was du denkst, fühlst, willst.
Du kannst es allein durchlesen, mit jemandem zusammen sprechen oder als Rollenspiel spielen.

Du brauchst:
✅ Einen ruhigen Ort
✅ Jemanden, der wirklich zuhört (das kann auch eine Rolle sein)
✅ Offenheit, dich selbst kennenzulernen – ohne Druck


🔸 Rollenspielstruktur

Jede Einheit hat:

  • ein Ziel
  • einen beispielhaften Dialog (zum Vorlesen oder Nachspielen)
  • Reflexionsfragen für dich
  • eine kreative Aufgabe

🧭 Gespräch 1: Was ist eigentlich los mit mir?

Ziel: Verstehen, was dich belastet – ohne zu bewerten.

🎭 Beispielhafter Dialog (zum Nachspielen)

Berater*in (B): Du gehst also nicht mehr zur Schule.
Du (D): Genau. Ich schaff das nicht mehr.
B: Wenn du an Schule denkst, was spürst du zuerst?
D: Druck. Schwere. Leere.
B: Was ist das Schwerste daran?
D: Dass ich jeden Tag so tun muss, als wär alles normal. Dabei ist nichts normal.
B: Gibt es irgendwas, das du dir wünschst – tief drinnen?
D: Ruhe. Und dass jemand einfach mal sagt: „Ich verstehe dich.“


✍️ Reflexionsfragen für dich

  • Was ist das Schwerste an einem Schultag für dich?
  • Wann hast du zuletzt das Gefühl gehabt: Ich kann nicht mehr?
  • Gibt es etwas in dir, das „ja“ sagt zur Schule – und etwas, das „nein“ sagt?

🎨 Kreativaufgabe

Male oder schreibe zwei Stimmen in dir auf:

Stimme, die gehen willStimme, die bleiben will
„Ich kann nicht mehr“„Ich will nicht aufgeben“

Gib ihnen Namen, Farben oder Figuren. Welche ist lauter? Welche braucht mehr Raum?


🧭 Gespräch 2: Was steckt hinter meinem Nein?

Ziel: Tieferes Verstehen – Schutz, Sehnsucht, Protest?

🎭 Beispielhafter Dialog

B: Du gehst nicht – ist das ein Weglaufen oder ein Aufstehen?
D: Vielleicht beides. Ich kann einfach nicht mehr stillhalten für Dinge, die mich kaputt machen.
B: Gibt es etwas, das du dir insgeheim wünschst – aber nicht sagen kannst?
D: Dass ich aufwache und mich wieder auf den Tag freue. Dass ich nicht ständig Angst hab, zu versagen.


✍️ Reflexionsfragen

  • Was schützt du, wenn du der Schule fernbleibst?
  • Wogegen kämpfst du – und was fehlt dir?
  • Wenn du deinem „Nein“ ein Bild geben würdest – wie sähe es aus?

🎨 Kreativaufgabe

Schreibe einen inneren Brief an jemanden, der dich nicht versteht.
Erkläre, warum du nicht mehr kannst – nicht als Entschuldigung, sondern als Versuch, dich zu zeigen. Du musst ihn niemandem schicken.


🧭 Gespräch 3: Wer bin ich jenseits der Schule?

Ziel: Selbstbild erneuern – abseits von Leistung

🎭 Beispielhafter Dialog

B: Wenn es keine Schule gäbe – was würdest du tun?
D: Vielleicht etwas, das Sinn ergibt. Helfen. Tiere versorgen. Etwas machen, das echt ist.
B: Was sagt das über dich?
D: Dass ich vielleicht doch nicht faul bin. Sondern… nur erschöpft.


✍️ Reflexionsfragen

  • Was kannst du gut – auch wenn es keine Schulnote dafür gibt?
  • Wer wärst du gern in deiner eigenen Geschichte?
  • Wem möchtest du ähneln – nicht äußerlich, sondern innerlich?

🎨 Kreativaufgabe

Erstelle eine „Held*innenkarte“ deiner selbst – ohne Schule.
– Welche Fähigkeiten hast du?
– Welche Werte sind dir wichtig?
– Was steht auf deiner Karte als Motto?


🧭 Gespräch 4: Und jetzt? Was wäre ein erster Schritt?

Ziel: Eine Perspektive entdecken, die dir gehört

🎭 Beispielhafter Dialog

B: Wenn du eine Veränderung wagst – wer müsste dich begleiten?
D: Jemand, der mich nicht überredet. Sondern versteht.
B: Woran würdest du merken, dass du ein bisschen Mut findest?
D: Wenn ich nicht nur Angst habe vor morgen, sondern auch ein kleines „Vielleicht“.


✍️ Reflexionsfragen

  • Was müsste passieren, damit du sagen kannst: Ich bin nicht verloren?
  • Gibt es eine Schulform, einen Ort, eine Person, bei der du sagen würdest: Das könnte gehen?
  • Was wäre ein kleiner erster Schritt – wirklich klein?

🎨 Kreativaufgabe

Zeichne oder beschreibe einen „Pfad aus der Sackgasse“.
Wo stehst du jetzt? Wo willst du hin? Welche Etappen könntest du dir vorstellen?


📎 Anhang: Arbeitsblatt-Vorlagen (auf Wunsch erweiterbar)

  • Dialogfelder zum Ausfüllen (Gedanken, Gefühle, Reaktionen)
  • Zwei Stimmen – Pro & Contra
  • Mut-Karte mit eigenen Stärken
  • Zukunfts-Skizze (1 Woche, 1 Monat, 1 Jahr)

Hier ist die erweiterte Version des Arbeitshefts mit einem eigenen Elternmodul, das aufklärend, unterstützend und dialogfördernd wirkt. Es enthält keine Schuldzuweisungen, sondern öffnet Perspektiven – ganz im Geist der sokratischen Gesprächsführung.


📘 Arbeitsheft: „Ich will nicht mehr in die Schule – oder doch?“

Fassung mit Elternmodul
Ein sokratischer Gesprächsweg bei Schulverweigerung – für Jugendliche & ihre Eltern


🔹 Modul für Eltern

Titel: „Mein Kind verweigert die Schule – wie höre ich, was wirklich los ist?“
Ziel: Eltern darin stärken, aus Sorge und Hilflosigkeit in echte Verbindung zu kommen.


🧭 1. Was Schulverweigerung nicht ist

  • Nicht immer ein „Problemkind“
  • Nicht immer Faulheit oder Trotz
  • Nicht einfach fehlende Motivation

Sokratische Perspektive:
Wer „Nein“ zur Schule sagt, sagt vielleicht „Ja“ zu etwas anderem – zu einem Bedürfnis, das übersehen wurde. Die Kunst besteht darin, nicht vorschnell zu urteilen, sondern das Nein als Tor zu verstehen.


🔸 2. Was mein Kind vielleicht nicht sagen kann (aber fühlt)

Innenleben des JugendlichenWas Eltern oft hören
„Ich kann nicht mehr“„Ich will nicht“
„Ich fühle mich leer, wertlos“„Ich bin halt faul“
„Ich habe Angst, zu versagen“„Ich hab einfach keine Lust“
„Ich fühle mich übersehen“„Immer will er nur Aufmerksamkeit“

Frage für Eltern:
Kann ich innerlich still genug werden, um das Ungesagte zu hören?


🔸 3. Gesprächsansätze im sokratischen Geist

Statt:
„Du musst einfach wieder hingehen!“
👉 Probiere:
„Was genau macht dir am Morgen am meisten Angst?“

Statt:
„Du musst dich halt zusammenreißen!“
👉 Probiere:
„Wie fühlt sich ein Schultag für dich an – vom Aufstehen bis zum Nachmittag?“

Statt:
„Andere schaffen es doch auch!“
👉 Probiere:
„Was glaubst du, brauchen andere, das dir vielleicht gerade fehlt?“


🔸 4. Gemeinsames Rollenspiel: „Verstehen statt Drängen“

Szene: Elternteil & Kind setzen sich 10 Minuten an einen Tisch.
Regel: Kein Ratschlag. Nur echtes Fragen und ehrliches Hören.

Elternrolle: Nur fragen. Nicht belehren.
Kindrolle: Du darfst antworten – oder auch schweigen.

Mögliche Fragen für Eltern:

  • Wann war Schule für dich mal okay – und was war damals anders?
  • Wenn Schule ein Mensch wäre – wie würdest du ihn beschreiben?
  • Gibt es einen kleinen Moment am Tag, der dir nicht schwerfällt?

🔸 5. Reflexion für Eltern

Fragen zur Selbstklärung:

  • Was macht mir an der Schulverweigerung am meisten Angst?
  • Welche Botschaften habe ich meinem Kind (unbewusst) über Leistung und Versagen vermittelt?
  • Was wünsche ich mir gerade mehr: Kontrolle – oder Verbindung?

🔸 6. Was Eltern tun können – konkret & hilfreich

Einen sicheren Gesprächsraum anbieten:
Regelmäßig Zeit, ohne Bewertung – lieber 10 Minuten echt zuhören als 1 Stunde diskutieren.

Auf kleine Fortschritte achten:
Nicht „alles oder nichts“, sondern z. B.:
– morgens mit aufstehen
– im Hausaufgabenheft blättern
– Gespräch mit einer Vertrauensperson führen

Sich selbst Unterstützung holen:
Elternberatung, Austauschgruppen, systemische Begleitung – nicht, weil man versagt hat, sondern weil niemand es allein muss.


🔹 Gemeinsame Abschlussübung: „Worauf hoffen wir beide?“

Setzt euch nebeneinander. Jeder schreibt still einen Satz:
„Ich hoffe, dass …“

  • Lest euch die Sätze vor.
  • Sprecht über den Unterschied zwischen Hoffnung und Erwartung.
  • Fragt euch: Was wäre ein erster gemeinsamer Schritt?

Hier ist eine Kurzversion des sokratischen Gesprächshefts bei Schulverweigerung mit Elternmodul – ideal für Schulen, Beratungsstellen oder Therapeut*innen. Sie eignet sich als Handout oder Gesprächsgrundlage, z. B. in Elterngesprächen, Teamsitzungen oder Erstkontakten mit Jugendlichen.


🟦 Kurzfassung: „Ich will nicht mehr in die Schule – oder doch?“

Ein sokratischer Gesprächsansatz bei Schulverweigerung
Für Jugendliche, Eltern & pädagogische Fachkräfte


🔹 Was ist sokratische Gesprächsführung?

Ein Gesprächsstil, der nicht bewertet, sondern fragt. Ziel ist nicht Überzeugung, sondern Selbsterkenntnis. Er vertraut darauf, dass junge Menschen einen Sinn in ihrem Verhalten haben – auch wenn er zunächst unverständlich erscheint.


🔸 Für Jugendliche (Auszug)

Fragen zur Selbsterforschung:

  • Was genau macht dir morgens am meisten zu schaffen?
  • Gibt es eine Erinnerung an Schule, die nicht negativ ist?
  • Wenn Schule ein Tier wäre – welches? Warum?
  • Was denkst du, was Erwachsene über dich glauben? Stimmt das?

Kernaussage:
Du bist nicht „falsch“, weil du gerade nicht kannst. Vielleicht beginnt dein Weg nicht mit einem „Muss“, sondern mit einem ehrlichen „Warum?“


🔸 Für Eltern (Auszug)

Haltung:
Verstehen statt Drängen. Fragen statt Erklären. Präsenz statt Panik.

Typische Umdeutungen:

Was ich höre …Was es bedeuten könnte …
„Ich will nicht in die Schule“„Ich habe Angst, unterzugehen“
„Ich bin halt faul“„Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll“
„Lass mich in Ruhe“„Ich bin gerade überfordert mit allem“

Drei gute Fragen:

  1. Was bräuchtest du, um einen kleinen Schritt Richtung Schule zu gehen?
  2. Was soll ich lassen, damit du dich sicherer fühlst?
  3. Was wäre gut daran, wenn ich dich einfach nur mal ernst nehme?

🔸 Für Fachkräfte (Auszug)

Nutzen Sie den sokratischen Stil in Gesprächen, wenn:

  • Jugendliche sich verschließen oder destruktiv verhalten
  • Eltern zwischen Druck und Ratlosigkeit schwanken
  • das System Schule zur Front geworden ist

Beispielsatz:
„Wenn du für einen Moment glauben würdest, dass deine Schulverweigerung einen Sinn hat – welchen?“


🟩 Abschlussimpuls (für alle)

✍️ „Ich hoffe, dass …“
Jeder Beteiligte (Jugendlicher, Eltern, Begleiter) schreibt diesen Satz zu Ende.
Dann austauschen – ohne Bewertung. Nur hören.