Ein kleiner Stich in die Hand, ein Tritt auf einen Nagel – und sofort ist es da: Schmerz. Unangenehm, drängend, kaum zu ignorieren. Doch was genau passiert eigentlich in unserem Körper, wenn wir Schmerz empfinden? Wie gelangt ein Reiz vom Fuß oder von der Hand ins Gehirn – und was passiert dort, bevor wir empfinden: Aua, das tut weh! Dieser Text nimmt dich mit auf eine faszinierende Reise: vom Ort des Geschehens – unserer Haut – über das Nervensystem bis hin zu den tiefsten Entscheidungszentren unseres Gehirns. Es ist die Geschichte einer blitzschnellen Alarmkette, die nicht nur spürbar, sondern auch emotional ist.

Wenn Schmerz spricht
Wenn Schmerz spricht

Alles beginnt in der Peripherie – also zum Beispiel in deiner Hand oder deinem Fuß. In unserer Haut und im Gewebe darunter sitzen spezialisierte Nervenzellen, sogenannte Nozizeptoren. Diese sind darauf spezialisiert, potenziell schädliche Reize zu erkennen – mechanisch (z. B. Druck, Schnitt), thermisch (z. B. Hitze, Kälte) oder chemisch (z. B. durch Entzündungsstoffe). Wird ein solcher Reiz registriert, wandeln die Nozizeptoren diesen in elektrische Impulse um – das Schmerzsignal ist geboren.

Über die Nervenfasern – sogenannte Aδ- und C-Fasern – rast das elektrische Signal in Richtung Rückenmark. Dort liegt die erste Schaltstation: das Hinterhorn. Hier wird das Signal entweder weitergeleitet oder – bei sehr milden Reizen – durch hemmende Mechanismen bereits gedämpft. Aber bei einem echten Schmerzreiz wird die Weiterleitung sofort aktiviert: über aufsteigende Bahnen – insbesondere die sogenannte Tractus spinothalamicus-Bahn – geht es in Windeseile Richtung Gehirn.

Dort angekommen passiert das Signal zunächst den Thalamus, eine zentrale Schaltzentrale im Zwischenhirn. Hier wird entschieden, ob der Reiz ins Bewusstsein gelangen darf. Bei Schmerz lautet die Antwort fast immer: Ja. Der Thalamus verteilt die Information an zwei verschiedene Zentren: Zum einen an den somatosensorischen Cortex – dort wird lokalisiert, wo es weh tut und wie es sich anfühlt (stechend, dumpf, brennend), zum anderen ins limbische System, das für die emotionale Bewertung verantwortlich ist. In der Amygdala und im Gyrus cinguli wird entschieden, ob der Schmerz zusätzlich Angst, Panik oder Trauer auslöst – und ob wir den Reiz als bedrohlich empfinden.

Doch Schmerz ist nie nur ein Fakt.

Im präfrontalen Cortex wird das Erlebte bewusst bewertet: Wie schlimm ist das? Ist es gefährlich? Muss ich handeln oder kann ich abwarten? Und genau hier zeigt sich, dass Schmerz nicht nur ein körperlicher Reiz ist, sondern immer auch unsere Wahrnehmung, unsere Erfahrungen und unsere psychische Verfassung mit einbezieht. Denn je nach Kontext kann derselbe Reiz unterschiedlich empfunden werden – im Wettkampf zum Beispiel kann ein Leistungssportler Schmerzen ausblenden, die ihn unter anderen Umständen zu Boden zwingen würden.

Ist der Schmerz ernst zu nehmen, aktiviert das Gehirn über den Hirnstamm schließlich unsere Alarmreaktion: Der Puls steigt, die Atmung wird schneller, Adrenalin wird ausgeschüttet. Wir ziehen blitzschnell die Hand zurück oder springen zur Seite – noch bevor wir überhaupt bewusst erfassen, was genau passiert ist. Das ist ein evolutionärer Schutzmechanismus, der unser Überleben sichert.

Doch wie verhält es sich mit emotionalem Schmerz – etwa dem Verlust eines geliebten Menschen, mit Liebeskummer oder mit tiefer seelischer Verletzung? Tatsächlich sind sich die Wege, die ein körperlicher und ein emotionaler Schmerz im Gehirn nehmen, erstaunlich ähnlich. Auch Liebeskummer aktiviert die Amygdala und den Gyrus cinguli. Auch hier wird die Reizverarbeitung über den Thalamus und präfrontale Areale gelenkt. Besonders interessant: Studien zeigen, dass der somatosensorische Cortex ebenfalls aktiviert wird, wenn Menschen emotionalen Schmerz erleben – unser Gehirn unterscheidet also nicht eindeutig zwischen körperlichem und seelischem Schmerz. Schmerzen des Herzens sind real – messbar, greifbar und folgen neurobiologisch ähnlichen Pfaden wie eine körperliche Verletzung.

Das sogenannte Broken-Heart-Syndrom – medizinisch als Takotsubo-Kardiomyopathie bezeichnet – ist ein eindrücklicher Beweis dafür, dass seelische Schmerzen sogar organische Spuren hinterlassen können. Nach extrem belastenden emotionalen Erfahrungen wie einem Todesfall, einer Trennung oder einem Schockereignis kann das Herz plötzlich wie gelähmt reagieren: Die linke Herzkammer verändert ihre Form, als sei sie „gebrochen“. Betroffene zeigen Symptome eines Herzinfarkts, obwohl die Herzkranzgefäße völlig intakt sind. Auch hier spielt die Stressreaktion des Körpers, vermittelt durch das autonome Nervensystem und Stresshormone wie Adrenalin, eine zentrale Rolle.

Sowohl körperlicher als auch emotionaler Schmerz können, wenn sie nicht vollständig verarbeitet oder erkannt werden, ein sogenanntes Schmerzgedächtnis hinterlassen. Das Gehirn merkt sich das Muster: den Reiz, die Reaktion, die Emotion – und speichert sie ab. Werden diese Bahnen immer wieder aktiviert, genügt irgendwann schon ein harmloser Reiz, um starke Schmerzempfindungen auszulösen. Besonders wenn ein Schmerz unerkannt bleibt – etwa weil keine organische Ursache gefunden wird –, kann sich der Zustand chronifizieren. Dann entstehen sogenannte somatoforme Schmerzstörungen: Der Schmerz ist real, aber keine körperliche Ursache ist erkennbar. Was bleibt, ist ein Leiden, das sich verselbstständigt hat – gespeist durch ein überaktives Schmerzgedächtnis und oft verstärkt durch psychische Belastungen wie Angst, Depression oder Stress.

Chronischer Schmerz kann tiefgreifende Folgen haben: Ein geschwächtes Immunsystem durch anhaltenden Stress, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, soziale Isolation, sogar Angststörungen oder Depressionen können sich entwickeln.               

Umgekehrt kann ein dauerhaft überaktives Immunsystem – etwa durch stille Entzündungen – die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und das Gehirn in einen Alarmmodus versetzen, der sich selbst nicht mehr beruhigen kann.

Schmerz ist also weit mehr als ein Signal des Körpers.

Er ist Erfahrung, Interpretation, Emotion und oft auch ein ungelöstes inneres Echo. Wer ihn versteht – in all seinen Dimensionen – kann besser lernen, ihn zu lindern. Denn manchmal hilft nicht nur die Salbe auf der Haut, sondern das ehrliche Gespräch, die Trauer, das Erinnern oder das Loslassen. Schmerz heilt nicht allein durch Zeit – sondern durch Aufmerksamkeit, Verstehen und Mitgefühl.

  • Quelle: Dr. Peter Iblher: ‚Wird akuter Schmerz schlecht therapiert, bleibt er‘. In: Frankfurtrer Allgemeine Sonntagszeitung v. 29.6.2025. Leib + Seele, S. 15.
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  • Bild: KI-generiert. Copilot.