Man stelle sich vor, man könnte mit einer einzigen medizinischen Maßnahme gleich drei sehr unterschiedliche Leiden lindern: Allergien, Asthma – und Depression. Was zunächst wie eine gewagte Behauptung klingt, wird heute intensiv wissenschaftlich erforscht. Denn immer mehr deutet darauf hin, dass diese drei Erkrankungen mehr gemeinsam haben, als bisher angenommen. Der zentrale Begriff dabei: Entzündung.
Was genau sind Entzündungen – und warum sind sie wichtig?
Man kennt den Begriff „Entzündung“ vielleicht aus der Werbung oder vom Arztbesuch. Doch was steckt wirklich dahinter? Entzündungen sind zunächst einmal etwas Gutes. Sie sind eine natürliche Reaktion unseres Immunsystems – sie helfen, Krankheitserreger abzuwehren und Verletzungen zu heilen. Der Körper schickt dann Botenstoffe aus, die das betroffene Gewebe schützen oder reparieren sollen.
Problematisch wird es jedoch, wenn dieses System aus dem Gleichgewicht gerät. Wenn der Körper beginnt, dauerhaft oder übermäßig viele dieser Entzündungsstoffe zu produzieren – ohne dass eine akute Bedrohung vorliegt. Und genau das scheint bei vielen Menschen mit Allergien, Asthma und bestimmten Formen der Depression der Fall zu sein.
Die stille Verbindung zwischen Körper und Seele.
Über Jahre hinweg wurden Depressionen bei Menschen mit Asthma oder Allergien vor allem als psychologische Reaktion auf die Belastung durch die chronische Krankheit betrachtet. Doch diese Sichtweise wandelt sich. Heute weiß man: Entzündungsprozesse können auch direkt auf unsere Stimmung und unser Verhalten wirken.
Ein Schlüsselmechanismus dabei ist das sogenannte TH17-System – ein bestimmter Entzündungsweg im Immunsystem. Dieses System ist sowohl bei allergischen Reaktionen und Asthma als auch bei depressiven Erkrankungen überaktiv. Entzündungen, so die neue Erkenntnis, betreffen nicht nur unsere Atemwege oder Haut – sie können tief ins Gehirn wirken und dort Einfluss auf unsere Wahrnehmung, unsere Gefühle und unsere Motivation nehmen.
Wenn das Immunsystem aus dem Takt gerät.
Aber warum gerät unser Immunsystem überhaupt so aus der Balance? Ein spannender Erklärungsansatz stammt aus der Evolutionsmedizin. Der Psychiater Charles Raison spricht von einem „evolutionären Missverhältnis“. Denn unsere heutige Lebensweise ist oft zu sauber, zu steril. Uns fehlen jene Mikroorganismen, mit denen unsere Vorfahren über Jahrtausende in Kontakt standen – und die unser Immunsystem trainiert haben.

Früher spielten Kinder im Dreck, lebten mit Tieren, tranken unbehandeltes Wasser. Heute wachsen viele in nahezu sterilen Umgebungen auf. Die Folge: Das Immunsystem lernt nicht mehr zuverlässig, zwischen harmlos und gefährlich zu unterscheiden. Es überreagiert – auf Pollen, Tierhaare, Lebensmittel. Und es produziert chronisch Entzündungsstoffe, die nicht nur Allergien und Asthma begünstigen, sondern auch unsere psychische Widerstandskraft schwächen können.
Das Mikrobiom – ein Schlüssel zur seelischen Gesundheit.
Ein besonders spannendes Forschungsfeld ist in diesem Zusammenhang der Darm – genauer gesagt das Mikrobiom, also die Gesamtheit unserer Darmbakterien. Diese Bakterien beeinflussen nicht nur unsere Verdauung, sondern auch das Immunsystem und sogar die Stressregulation. Studien zeigen: Menschen, die mit einer vielfältigen mikrobiellen Umgebung aufwachsen, haben ein deutlich geringeres Risiko für Allergien und Depressionen.

Ein eindrucksvolles Beispiel: Kinder, die auf Bauernhöfen mit vielen Tieren groß werden, sind besser geschützt. Auch bestimmte Mikroben – wie das Bakterium Mycobacterium vaccae – zeigen in Tierversuchen eine beruhigende, entzündungshemmende Wirkung. Sie senken entzündliche Marker im Gehirn und mildern angstähnliches Verhalten. Daraus könnten in Zukunft ganz neue Therapieansätze entstehen – mit Mikroben statt Medikamenten.
Von Finnland lernen: Zurück zur Natur.
Dass eine Rückkehr zur natürlichen Umgebung tatsächlich helfen kann, zeigt ein landesweites Projekt aus Finnland. Zwischen 2008 und 2018 wurde dort gezielt die mikrobielle Vielfalt in Kindergärten und Schulen erhöht: durch mehr Kontakt mit Natur, mit Tieren, mit unsteriler Erde. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen Asthma halbierte sich, ebenso wie die gemeldeten Nahrungsmittelallergien. Was das für Depressionen bedeutet, ist noch nicht abschließend erforscht – aber die Richtung stimmt.
Was in der Lunge passiert, erreicht das Gehirn.
Dass Entzündung nicht im betroffenen Organ bleibt, sondern weit darüber hinaus wirkt, zeigen die Studien der Neuroimmunologin Melissa Rosenkranz. In einem Experiment löste sie gezielt eine leichte Entzündung in der Lunge aus – und konnte beobachten, wie sich gleichzeitig die Aktivität im sogenannten Salienznetzwerk des Gehirns veränderte. Dieses Netzwerk entscheidet, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.

Bei aktiver Entzündung reagierte das Gehirn empfindlicher auf emotionale Reize, etwa auf Ablehnung oder Misserfolg. Und gleichzeitig verstärkte sich die Entzündung in der Lunge – ein Teufelskreis aus Stress und Immunreaktion. Wieder war der TH17-Weg beteiligt – jener Entzündungsmechanismus, der sowohl bei therapieresistentem Asthma als auch bei Depressionen eine Rolle spielt. Möglicherweise sogar bei der Entstehung von Demenz.
Neue Medikamente – dreifacher Nutzen?
All das führt zu einer spannenden Frage: Könnten Medikamente, die Entzündungen hemmen, gleich drei Probleme auf einmal lindern? Tatsächlich gibt es vielversprechende Hinweise. Bestimmte entzündungshemmende Medikamente, ursprünglich entwickelt zur Behandlung von Rheuma, zeigen auch positive Effekte auf depressive Symptome – vor allem bei Menschen mit erhöhten Entzündungswerten im Blut.
Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Behandlung. Statt für jedes Symptom ein eigenes Medikament zu verschreiben, könnte die gezielte Bekämpfung von Entzündungen künftig gleich mehrere Beschwerden gleichzeitig lindern – körperliche wie seelische.
Aber nicht jede Entzündung braucht Therapie.
Natürlich ist nicht jedes Anti-Entzündungsmedikament für jeden Menschen geeignet. Sie können auch Nebenwirkungen haben – etwa eine erhöhte Infektanfälligkeit. Deshalb braucht es immer eine ärztliche Abklärung. Wichtig ist auch: Nicht alle Depressionen haben einen entzündlichen Ursprung. Doch für viele Betroffene könnte diese neue Sichtweise einen echten Fortschritt bedeuten.
Ein ganzheitlicher Blick auf Gesundheit.
Was bedeutet all das für die Medizin von morgen? Es bedeutet: Wir müssen umdenken. Körper und Seele lassen sich nicht voneinander trennen – und auch ihre Behandlung nicht. Fachärzte für Atemwege sollten enger mit Psychiatern und Psychotherapeutinnen zusammenarbeiten. Denn wer die Entzündung behandelt, kann unter Umständen auch das seelische Gleichgewicht stärken – und umgekehrt.
Der Weg zurück ins Gleichgewicht.
Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Aber die Idee, Entzündungen als gemeinsamen biologischen Nenner zu verstehen, ist vielversprechend. Vielleicht brauchen wir in Zukunft nicht immer neue Medikamente – sondern mehr alte Freunde: Mikroben, mit denen wir über Jahrtausende in Einklang gelebt haben. Sie könnten uns zeigen, wie wir wieder ins Gleichgewicht finden – mit unserem Körper, unserer Psyche und der Welt, in der wir leben.
- Quelle: Could Treating Inflammation Be a Three-In-One Intervention for Allergy, Asthma and Depression? – Medscape – June 23, 2025.
- Übersetzung und Bearbeitung: KI-unterstützt ChatGPT und Copilot
- Bilder: Bild 1+2: www.freepik.com / Bild 3: KI-generiert: Copilot