Die romantische Monogamie – ein spätes Ideal mit großem Versprechen

Zwei Menschen entscheiden sich aus Liebe füreinander – das klingt wie ein universelles Ideal. Heute bedeutet das oft: gemeinsames Netflix-Konto, Steuerklasse III/V und Lasagne am Mittwoch.

Beziehungsmodelle
Beziehungsmodelle

Doch dieses Ideal ist historisch jung. Die romantische Liebe als Heiratsgrund setzte sich in Europa erst im 18. Jahrhundert durch. Davor war die Ehe meist ein ökonomischer Vertrag, ein Bündnis zwischen Familien, Besitzverhältnissen und sozialen Klassen. Wer ohne Liebe heiratete, war pflichtbewusst – wer ohne Liebe blieb, obwohl er verheiratet war, galt als tragisch. Willkommen im Gefühlslabyrinth.

Im 19. Jahrhundert wurde die Ehe zur moralischen Institution des Bürgertums. Das 20. Jahrhundert versprach persönliches Glück – und brachte steigende Scheidungsraten. Vielleicht auch deshalb, weil kein Mensch über Jahrzehnte derselbe bleibt. Die romantische Ehe bleibt somit oft ein Ideal – mit Serviettenringen, aber ohne Gebrauchsanleitung.

Polygamie – Struktur mit Nebenwirkungen und historischem Zweck

In vielen Regionen war Polygamie – konkret: die Vielehe eines Mannes – gängige Praxis. Der Koran erlaubt bis zu vier Ehefrauen unter der Bedingung gerechter Behandlung – ein administrativer Kraftakt mit Gefühlshaushalt.

Beziehungsmodelle 2
Beziehungsmodelle 2

Polygamie diente nicht nur der Lust, sondern hatte oft strukturelle Funktionen: In kriegsgebeutelten Gesellschaften mit hohem Männerverlust übernahm sie eine zentrale Rolle in der Versorgung von Witwen und Waisen. So entstand ein soziales Sicherheitsnetz, das Frauen Schutz und Kindern Zugehörigkeit bot – zumindest im Idealfall.

Auch in anderen historischen Kontexten – etwa im alten Ägypten – diente die Vielehe der Versorgung größerer Haushalte und dem Machterhalt. Pharaonen heirateten strategisch – oft gleich mehrere Prinzessinnen benachbarter Reiche. Und während Zeus auf dem griechischen Olymp wild durch alle Generationen liebte, versuchte Hera zumindest gelegentlich, für Ordnung zu sorgen – mit mäßigem Erfolg.

Auch die Sicherung von Erbfolgen und politischen Allianzen spielte eine Rolle. Für Frauen bedeutete Polygamie Konkurrenz – aber auch (theoretisch) Stabilität. Und „theoretisch“ ist in Beziehungen bekanntlich ein riskantes Konzept.

Heute ist Polygamie in vielen Ländern eingeschränkt oder gesellschaftlich umstritten – nicht zuletzt durch feministische Perspektiven. Die einst tragende patriarchale Struktur bröckelt. Gleichzeitig reproduzieren Datingplattformen ähnliche Muster – ganz ohne religiösen Kontext. Man nennt es dann „offene Optionen“.

Alternative Modelle: Brüder, Matriarchinnen und Besuchsnächte

Es gibt auch polyandrische Modelle, etwa in Tibet: Eine Frau heiratet mehrere Brüder – zur Vermeidung von Erbteilung und Sicherung der Landwirtschaft. Liebe spielte dabei selten die Hauptrolle.

Die Mosuo in Südwestchina leben ein matrilineares Modell ohne Ehe. Männer besuchen ihre Partnerinnen nachts, leben aber bei ihren Müttern. Ein Beziehungsmodell ohne Schwiegereltern, Zahnbürste oder gemeinsames Bad – aber mit Verantwortung gegenüber dem Clan.

Polyamorie – Freiheit mit Kalender, Privilegien und der Schatten der Dekadenz

Polyamore Beziehungen streben nach emotionaler Ehrlichkeit und Offenheit. Im Alltag bedeutet das: viel Kommunikation, Zeitkoordination – und gelegentlich Beziehungsdramatik auf hohem Niveau.

Beziehungsmodelle 3
Beziehungsmodelle 3

Im Gegensatz zur Polygamie beruht Polyamorie auf gegenseitigem Einverständnis und emotionaler Transparenz. Praktisch bedeutet das: Protokolle, Check-ins und Synchronisation via Google-Kalender.

Wichtig ist dabei die Abkehr vom Besitzdenken – hin zu relationaler Achtsamkeit. Doch auch hier bleibt der Wunsch nach Besonderheit: Die Gleichzeitigkeit der Liebe fordert emotionale Reife. Oder zumindest diplomatische Frühstücksgespräche.

Manche Kritiker fragen jedoch, ob sich hier nicht neue Formen der Privilegierung verbergen. Wer hat die Ressourcen – emotional, zeitlich, ökonomisch –, um mehrere Beziehungen zugleich zu pflegen? Ist Polyamorie Ausdruck eines modernen Freiheitsideals – oder manchmal auch ein Zeichen saturierter Selbstverwirklichung, die sich an der Oberfläche von Bindung erschöpft? Die Frage nach Dekadenz stellt sich dort, wo Beziehungsfreiheit zur bloßen Konsumform wird – ein emotionaler Selbstbedienungsladen für die saturierte Seele.

Queere Beziehungen – Vielfalt jenseits der Norm

Queere Beziehungsformen waren lange tabuisiert, pathologisiert oder unsichtbar gemacht. Heute fordern sie Sichtbarkeit, Gleichberechtigung – und das Recht auf dieselben Irrtümer wie alle anderen.

Queere Beziehungen hinterfragen klassische Rollenmuster und eröffnen neue Beziehungskonzepte. Es geht um Normalität, nicht um Exotik. Und oft auch um mehr Selbstironie – denn wer die Norm verlässt, begegnet schneller der Realität: perfekte Liebe gibt’s nur mit Werbeunterbrechung.

Patriarchat, Besitz und Beziehungsfreiheit

Historisch waren Beziehungen asymmetrisch – Frauen galten lange als Besitz der Männer. Juristisch, wirtschaftlich und sozial. Man nannte es Ordnung. Heute nennen wir es: überholt.

Moderne feministische Bewegungen fordern Gleichstellung – in Gesetzen und im Alltag: faire Sorgearbeit, Entscheidungsfreiheit, ökonomische Unabhängigkeit. Die Veränderung beginnt in den Köpfen. Und manchmal beim Streit um den Abwasch. Auch das ist Fortschritt.

Die Freiheit, zu lieben und zu scheitern

Was zeigt uns diese kleine Weltgeschichte? Dass kein Modell universell ist – und kein Versprechen ohne Schatten. Entscheidend ist vielleicht nicht, wie viele wir lieben, sondern wie bewusst.

Beziehungsformen ändern sich – der Wunsch nach Nähe bleibt. Und mit ihm das Recht, grandios zu scheitern. Hauptsache: mit Stil. Und vielleicht mit jemandem, der auch mal Kaffee macht. Oder wenigstens das WLAN repariert.

Inspiration: Gespräche mit Metin

Literatur zum Thema: 

  • Eva Illouz: Warum Liebe weh tut. Suhrkamp, 2011.  Gisela Vetter-Liebenow (Hrsg.): Beziehungsweisen. Modelle von Liebe, Ehe und Familie. transcript, 2019.
  • Mariam Irene Tazi-Preve: Das unmögliche Projekt der Familie. Barbara Budrich Verlag, 2017.Bilder: www.freepik.com
  • Textbearbeitung: KI-unterstützt