Die Dialektik des Wartens: ‚Waiting on a World to Change‘ vs. ‚Waiting for a World to Change‘ im Kontext Hannah Arendts

Einleitung

Der Unterschied zwischen „waiting on“ und „waiting for“ mag auf den ersten Blick subtil erscheinen – eine linguistische Nuance, die man leicht übersehen könnte. Doch in dieser sprachlichen Feinheit verbirgt sich eine fundamentale philosophische Distinktion, die direkt zu Hannah Arendts Konzepten der vita activa und vita contemplativa führt.

John Mayers Song „Waiting on a World to Change“ bietet uns einen faszinierenden Ausgangspunkt für diese Betrachtung. Die Präposition „on“ statt „for“ ist hier kein Zufall, sondern eröffnet ein Spannungsfeld zwischen aktivem Engagement und passivem Abwarten, zwischen Handeln und Betrachten, zwischen Verantwortungsübernahme und Verantwortungsdelegation.

Die sprachliche Differenz als philosophische Unterscheidung

„Waiting for“ impliziert ein passives Abwarten. Man harrt aus, bis etwas geschieht, ohne selbst einzugreifen. Es ist ein Zustand der Erwartung, in dem die Handlungsmacht außerhalb der eigenen Person liegt. „Waiting for a world to change“ würde bedeuten: Wir warten darauf, dass sich die Welt von selbst oder durch andere verändert.

„Waiting on“ hingegen trägt eine aktivere Konnotation. Im Englischen bedeutet „to wait on someone“ auch, jemandem zu dienen, aufmerksam zu sein, bereitzustehen. „Waiting on a world to change“ suggeriert eine Haltung der Bereitschaft, des Dienstes, der aufmerksamen Präsenz während des Wartens. Man wartet nicht einfach ab, sondern ist dabei aktiv eingebunden.

Hannah Arendts Verständnis von vita activa und vita contemplativa

Hannah Arendt unterscheidet in ihrem Werk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ zwischen zwei grundlegenden Existenzweisen:

Die vita contemplativa repräsentiert das beschauliche Leben, die Kontemplation, das Denken an sich. Es ist eine Daseinsform, die sich zurückzieht, um die Welt zu betrachten und zu verstehen, ohne unmittelbar einzugreifen.

Die vita activa hingegen beschreibt das tätige Leben in seinen drei Dimensionen: Arbeiten, Herstellen und Handeln. Besonders das Handeln (praxis) als höchste Form menschlicher Tätigkeit ist für Arendt zentral – es ist die Fähigkeit, etwas Neues zu beginnen und in das Gewebe menschlicher Angelegenheiten einzugreifen.

„Waiting on a World to Change“ – Eine Analyse im arendtschen Kontext

Betrachten wir nun Mayers Song im Licht dieser Unterscheidung. Die Zeilen „We keep on waiting (waiting) / Waiting on the world to change“ könnten zunächst als Ausdruck von Passivität missverstanden werden. Doch das „on“ verändert die Bedeutung grundlegend.

„Waiting on a world to change“ positioniert die wartenden Subjekte nicht als passive Beobachter, sondern als Akteure in Bereitschaft. Sie stehen im Dienst der Veränderung, aufmerksam und präsent. Sie verkörpern eine Zwischenposition zwischen reiner Kontemplation und direktem Handeln – eine Position des aktiven Wartens.

Mayer singt: „It’s not that we don’t care / We just know that the fight ain’t fair“. Dies ist kein Ausdruck von Gleichgültigkeit, sondern ein strategisches Abwägen. Es geht nicht um ein passives „Waiting for“, sondern um ein aktives „Waiting on“ – ein Warten, das Teil einer umfassenderen Handlungsstrategie ist.

Die Verantwortung der gegenwärtigen Generation

Arendts Denken ist durchdrungen vom Bewusstsein der Verantwortung. Handeln bedeutet für sie, Verantwortung zu übernehmen für das, was man in die Welt setzt. „Waiting for a world to change“ würde bedeuten, diese Verantwortung abzugeben – zu warten, bis andere die Probleme lösen oder bis sie sich von selbst lösen.

„Waiting on a world to change“ hingegen beinhaltet das Bewusstsein der eigenen Verantwortung. Es ist ein aufmerksames Bereitstehen, ein Dienst an der Zukunft. Es erkennt an, dass die gegenwärtige Generation die Verantwortung trägt für die Welt, wie sie jetzt ist und wie sie werden wird.

Diese Verantwortung manifestiert sich in Mayers Text, wenn er sagt: „One day our generation / Is gonna rule the population“. Hier wird deutlich, dass das Warten kein passives Ausharren ist, sondern ein Sich-Vorbereiten auf den Moment, in dem das Handeln möglich und notwendig wird.

Die Spannung zwischen Kontemplation und Aktion

In unserer schnelllebigen Gegenwart wird „warten“ oft negativ konnotiert. Wir leben in einer Kultur der Sofortigkeit, der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung, der ständigen Aktivität. Doch Arendt erinnert uns daran, dass auch die Kontemplation, das Nachdenken, das Verstehen-Wollen einen wesentlichen Teil des menschlichen Daseins ausmacht.

„Waiting on“ vereint Elemente beider Daseinsformen: Es bewahrt die reflektierende Distanz der vita contemplativa, ohne in reine Passivität zu verfallen. Es bereitet das Handeln vor, ohne in blinden Aktionismus zu verfallen. Es ist ein kontemplatives Warten mit einer aktiven Intention.

Die Zeit des Wartens als Zeit der Vorbereitung

Was geschieht in der Zeit des Wartens? Wenn wir „waiting on“ als aktives Warten verstehen, dann ist diese Zeit nicht leer, sondern gefüllt mit bedeutsamen Tätigkeiten:

  1. Beobachten und Verstehen: Wir analysieren die Welt, wie sie ist, um wirksam in sie eingreifen zu können.
  2. Lernen und Wachsen: Wir entwickeln die Fähigkeiten und Erkenntnisse, die wir für zukünftiges Handeln benötigen.
  3. Netzwerke knüpfen: Wir verbinden uns mit anderen, um gemeinsam stärker zu sein.
  4. Ressourcen sammeln: Wir akkumulieren die Mittel, die wir für eine nachhaltige Veränderung brauchen.

Dies ist kein passives „Waiting for“, sondern ein aktives „Waiting on“ – ein Warten, das selbst schon eine Form des Handelns ist.

Die Verantwortung für die nahe Zukunft

Arendts Verständnis von Handeln ist eng verknüpft mit dem Begriff der Natalität – der Fähigkeit, etwas Neues zu beginnen. Jeder Mensch trägt als „Neuankömmling“ in der Welt die Möglichkeit, etwas gänzlich Neues zu initiieren.

Diese Fähigkeit bringt eine besondere Verantwortung mit sich. Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. „Waiting for a world to change“ könnte als Flucht vor dieser Verantwortung verstanden werden. „Waiting on a world to change“ hingegen erkennt sie an und integriert das Warten in ein umfassenderes Verständnis von Verantwortung.

Die nahe Zukunft gehört der gegenwärtigen Generation. Wir können sie nicht an andere delegieren. Mayers Text erkennt dies an: „Now we see everything that’s going wrong / With the world and those who lead it“. Es ist ein Aufruf zur Aufmerksamkeit, zum genauen Hinsehen – eine Grundvoraussetzung für verantwortungsvolles Handeln.

Die dialektische Überwindung des Gegensatzes

Das „Waiting on“ in Mayers Song kann als dialektische Überwindung des Gegensatzes zwischen vita activa und vita contemplativa verstanden werden. Es ist nicht das eine oder das andere, sondern eine Integration beider in eine neue Form des engagierten Wartens.

Diese Synthese entspricht Arendts eigenem Denken, das stets um die Überwindung falscher Dichotomien bemüht war. Für sie war das Denken nie weltabgewandt, und das Handeln nie gedankenlos. Die wahre vita activa schließt das Denken ein, wie die wahre vita contemplativa nie völlig losgelöst von der Welt existiert.

Schlussbetrachtung

Ein einfacher Song kann es manchmal in sich haben. Nun soll man aber auf der Hut sein, einfache ‚lyrics‘ überzuinterpretieren.  Trotzdem,  „Waiting on a world to change“ ist mehr als ein eingängiger Songtitel. Er artikuliert eine philosophische Haltung, die für unsere Zeit von großer Relevanz ist: ein aktives, engagiertes, verantwortungsvolles Warten.

In einer Zeit, die von multiplen Krisen geprägt ist – Klimawandel, soziale Ungleichheit, demokratische Erosion – brauchen wir weder passives Abwarten noch blinden Aktionismus. Wir brauchen ein „Waiting on“ im besten Sinne: ein aufmerksames, dienendes, vorbereitendes Präsentsein in einer Welt, die sich verändern muss und verändern wird.

Hannah Arendt hätte uns vermutlich daran erinnert, dass die größten Veränderungen oft nicht durch große Gesten, sondern durch das stille, beharrliche Engagement Einzelner beginnen. „Waiting on a world to change“ kann bedeuten, täglich im Kleinen zu handeln, während man auf den richtigen Moment wartet, um im Großen zu wirken.

Inspiration: Werner Reinke: Reinke am Samstag, Hessischer Rundfunk, 19.4.2025.

Bilder: Internet

Songtext:  John Mayer: Waiting On the World to Change

One, two, one, two, three

Me and all my friends
We’re all misunderstood
They say we stand for nothing, and
There’s no way we ever could

Now we see everything that’s going wrong
With the world and those who lead it
We just feel like we don’t have the means
To rise above and beat it

So we keep on waiting (waiting)
Waiting on the world to change
We keep on waiting (waiting)
Waiting on the world to change
It’s hard to be persistent
When we’re standing at a distance
So we keep on waiting (waiting)
Waiting on the world to change
Now if we had the power