Analyse

Die Entstehung autoritärer Rechtsbewegungen in Deutschland und Europa lässt sich als geradezu unvermeidliche Reaktion auf die maßlose gesellschaftliche Liberalisierung verstehen. Wenn wir ehrlich sind, erleben wir hier nichts weniger als die selbstverschuldete Krise unserer überbordenden Freiheit. Welch Überraschung – wer hätte ahnen können, dass permanente Verunsicherung irgendwann nach dem starken Mann ruft?

Sozio-ökonomische Hintergründe

Die entfesselte wirtschaftliche Globalisierung der letzten Jahrzehnte hat den Arbeitsmarkt in einen Spielplatz für Finanzhaie verwandelt, während die sogenannten „einfachen Leute“ zusehen durften, wie ihr Leben entwertet wurde. Ein faszinierendes soziales Experiment: Wie lange kann man Menschen erzählen, dass der Verlust ihres Arbeitsplatzes eigentlich eine „Chance zur Neuorientierung“ sei?

 Während die kosmopolitische Elite in ihren Großstadtblasen vom „disruptiven Wandel“ schwärmt und bei Bio-Wein über die neuesten TED-Talks philosophiert, brachen in den vergessenen Regionen unseres Landes ganze Industriezweige zusammen. Die aggressive Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse schuf ein Heer von Verunsicherten, deren Existenzängste von den Champagner-Sozialdemokraten und Latte-Macchiato-Liberalen mit einem achselzuckenden „Das ist halt der Lauf der Dinge“ quittiert wurden – schließlich können nicht alle Yogalehrer oder App-Entwickler werden, irgendjemand muss ja die Pakete ausliefern.

Der Umbau des Sozialstaats ließ die Menschen schonungslos dem Markt ausgeliefert zurück – aber hey, die Eigenverantwortung wurde gestärkt! Als dann 2008 die Finanzkrise einschlug, war das Vertrauen in die vermeintlichen Eliten endgültig zerstört.

Es braucht wahrlich keinen Doktortitel in Soziologie, um zu verstehen, warum dieses wirtschaftliche Desaster den idealen Nährboden für politischen Populismus schuf. Oder wie die Eliten sagen würden: eine bedauerliche demokratische Fehlentwicklung, die man mit noch mehr Erklärvideos und Faktenchecks beheben kann.

Auf wankendem Grund

Während der wirtschaftliche Boden unter den Füßen wankte, vollzog sich parallel ein regelrechter Kulturkampf gegen alles Vertraute und Gewachsene. Die hemmungslose Pluralisierung von Lebensstilen und sexuellen Identitäten – von denen manche so neu sind, dass man wöchentlich neue Bezeichnungen lernen muss und wehe dem, der nicht sofort die aktuellste Terminologie beherrscht – überforderte insbesondere jene, die in traditionelleren Verhältnissen großgeworden sind. Wie rückständig von ihnen!

Die aggressive Säkularisierung fegte durch Gemeinden, in denen der Kirchturm einst Orientierung bot – Religion ist ja ohnehin nur ein Zeichen mangelnder Bildung. An die Stelle der klassischen Familie trat ein Sammelsurium aus Patchwork-Konstrukten, deren Komplexität selbst Experten kaum noch durchschauen, aber wer nachfragt, gilt sofort als hoffnungslos von gestern. Die übereifrigen Feministinnen und queer-Aktivisten inszenierten einen regelrechten Feldzug gegen jede Form traditioneller Geschlechterrollen, sodass manch einer sich fragte, ob es mittlerweile ein Verbrechen sei, ein gewöhnlicher Mann oder eine gewöhnliche Frau zu sein. Aber keine Sorge – man kann jederzeit umlernen, es gibt schließlich Workshops dafür!

Dazu gesellte sich eine rasante ethnische und religiöse Umgestaltung durch Migration, die altvertraute Viertel und Dörfer binnen weniger Jahre komplett veränderte – ein wunderbarer „Bereicherungsprozess“, wie uns die Lifestyle-Magazine belehren, auch wenn die konkrete Bereicherung mancherorts noch auf sich warten lässt. Diese „libertär-promiske“ Gesellschaft, die sich mit ihrer grenzenlosen Toleranz und Wertebeliebigkeit brüstet, hinterließ ein Vakuum, das viele als Orientierungslosigkeit, ja als existenzielles Chaos erlebten. Aber das ist natürlich nur ein Zeichen mangelnder Anpassungsfähigkeit!

Überforderung durch Freiheit

Erich Fromm hat es mit prophetischer Klarheit erkannt: Der Mensch flüchtet vor der Freiheit, wenn diese ihn überfordert. Und überfordert wurden die Menschen in unserer hedonistischen Spaßgesellschaft allemal – wie kleingeistig von ihnen, die grandiose Freiheit, jede Woche eine neue Identität annehmen zu können, nicht gebührend zu schätzen!

Statusverlustängste ergriffen insbesondere Männer traditioneller Prägung, die plötzlich entdecken mussten, dass ihre Arbeit, ihre Werte, ja ihre gesamte Existenz als toxisch und überholt gebrandmarkt wurde. Arme Kerle – hätten sie doch früher bemerkt, dass Männlichkeit aus der Mode gekommen ist!

Die Auflösung jeder festen sozialen Rolle stürzte unzählige Menschen in eine Identitätskrise – wer bin ich noch in einer Gesellschaft, die jede verbindliche Definition von Mann, Frau, Familie, Heimat und Kultur verachtet? Aber ist das nicht herrlich aufregend? All diese Unsicherheit, diese permanente Selbstneuerfindung – so viel spannender als langweilige Gewissheiten!

In dieser Verwirrung wirken autoritäre Ideologien wie ein Rettungsanker: Endlich wieder klare Aussagen statt des ewigen „einerseits-andererseits“ der akademischen Eliten, die in jedem Stammtischgespräch sieben Diskriminierungen und drei Mikroaggressionen entdecken!

 Das verzweifelte Bedürfnis nach Zugehörigkeit findet im nationalistischen Angebot einer „Volksgemeinschaft“ seine Erfüllung – ein warmes Nest in einer kalt gewordenen Welt, in der man sonst nur als Konsument oder Humanressource zählt. Kein Wunder also, dass sich so viele in die heimelige „Gyggeligkeit“ eines reaktionär-autoritären Biedermeiers flüchten, wo man den Komplexitätsorgien der Moderne entkommt und die Sehnsucht nach Struktur und Orientierung gestillt wird.

Wie rührend altmodisch – haben diese Menschen denn nichts von den Vorzügen permanenter Verunsicherung gehör

Die spezifische Situation in Deutschland und Europa

In Deutschland kulminieren diese Faktoren mit besonderer Wucht. Die Wiedervereinigung hinterließ einen Osten, der nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gleich in das nächste große soziale Experiment geworfen wurde – diesmal im Namen des entfesselten Neoliberalismus. Was für ein Glück für die Ostdeutschen, gleich zweimal befreit zu werden! Die Eurokrise machte Deutsche zu unfreiwilligen Zahlmeistern für südeuropäische Schulden, während die eigene Infrastruktur verkam – aber Solidarität muss schließlich wehtun, sonst ist es keine echte Solidarität.

Die Flüchtlingskrise 2015 überrollte das Land mit einem naiven „Wir schaffen das“, ohne die Frage zu beantworten, was genau eigentlich geschafft werden sollte und zu welchem Preis – Fragen zu stellen war allerdings ohnehin moralisch verdächtig.  Corona brachte dann das Fass zum Überlaufen, als die Regierung zwischen Panikmache und Inkompetenz schwankte – aber wer braucht schon durchdachte Konzepte, wenn man stattdessen bunte Inzidenzkarten und täglich neue Regeln haben kann?

In anderen europäischen Ländern sehen wir ähnliche Muster: Von Frankreichs abgehängter Provinz, wo man die gelben Westen wohl nur aus modischen Gründen trug, bis zu Italiens geschundenen Dörfern, deren Bewohner offenbar zu dumm sind, die Segnungen der Globalisierung zu erkennen – überall erblühen autoritäre Bewegungen auf dem fruchtbaren Boden einer überforderten Gesellschaft, die ihre Orientierung verloren hat. Welch unverständliche Undankbarkeit gegenüber dem aufgeklärten Fortschritt!

Dialektik der Moderne

Die groteske Ironie unserer Zeit liegt darin, dass die liberale Gesellschaft ihre eigenen Totengräber heranzüchtet. Sie produziert genau jene Ängste und Sehnsüchte, die den Nährboden für ihre autoritären Gegner bilden. Je mehr sie traditionelle Bindungen auflöst, Grenzen einreißt und Unterschiede einebnet, desto stärker wird die Sehnsucht nach dem Gegenteil.

Der autoritäre Charakter entsteht nicht trotz, sondern wegen der entfesselten Moderne. Die Menschen wollen nicht mehr in einer Gesellschaft leben, in der alles zur Disposition steht, in der jede Gewissheit als antiquiert belächelt wird und in der Beständigkeit als Rückständigkeit gilt. Wie reaktionär! Als ob nicht jeder vernünftige Mensch die Freude permanenter Selbstoptimierung und Identitätsflexibilität zu schätzen wüsste!  

Die Flucht in die bequeme Sicherheit autoritärer Versprechen ist die logische Folge einer Freiheit, die zur Last geworden ist – eine Freiheit, die zwar alles erlaubt, aber keinerlei Orientierung mehr bietet. Aber keine Sorge: Für jedes Problem gibt es ein Seminar, eine App oder mindestens einen Podcast, der uns erklärt, wie wir noch besser, noch flexibler, noch anpassungsfähiger werden können!

Was ist zu tun?

Will man dem Erstarken autoritärer Bewegungen tatsächlich etwas entgegensetzen, muss man zunächst die eigene Arroganz ablegen und anerkennen, dass die Menschen nicht einfach „dumm“ oder „böse“ sind, wenn sie sich nach Sicherheit und klaren Verhältnissen sehnen. Aber das würde ja bedeuten, dass unsere erleuchteten Eliten nicht immer recht haben – kaum vorstellbar!

Der soziale Kahlschlag muss beendet werden, statt ihn mit wohlfeilen Phrasen über „Eigenverantwortung“ zu bemänteln, als wäre Armut nur eine Frage mangelnder Motivation oder fehlender Achtsamkeitsübungen.

Demokratische Beteiligung darf nicht auf das Kreuzchenmachen alle vier Jahre reduziert werden, während die wirklichen Entscheidungen in Brüsseler Hinterzimmern oder Konzernzentralen fallen. 

Wobei die meisten Bürger ohnehin zu ungebildet für echte Mitbestimmung wären. Die kulturelle Kluft zwischen urbanen Eliten und dem Rest der Gesellschaft muss überbrückt werden, statt sie mit gegenseitiger Verachtung zu vertiefen.Aber das würde ja bedeuten, dass man auch ohne Masterabschluss wertvolle Einsichten haben könnte!

Bildung muss mehr sein als die Vermittlung politisch korrekter Sprachregelungen.  Eine geradezu revolutionäre Idee in Zeiten, in denen die richtige Bezeichnung wichtiger ist als die Sache selbst.

Die liberale Demokratie steht vor ihrer Schicksalsfrage: Kann sie ihren Bürgern Freiheit UND Sicherheit, Vielfalt UND Orientierung bieten? Oder treibt sie sie weiter in die Arme jener, die einfache Antworten auf komplexe Fragen versprechen?  Die Rückkehr in ein autoritäres Biedermeier mag als Flucht vor der Orientierungslosigkeit verlockend erscheinen – ein Fortschritt wäre sie nicht. Aber vielleicht könnten wir das ganze Dilemma auch einfach ignorieren und uns stattdessen über die neuesten Zerwürfnisse bei den Royals oder die nächste verheißungsvolle Diät aufregen – das hat bisher doch auch gut funktioniert!

  • Inspiration: Interview mit Saskia Esken in: Main-Spitze v. 15.4.2025, S. 2
  • Bilder: KI-generiert: chatGPT