Die schwierige Situation von Erwachsenen mit ADHS (Aufmerksamkeits-/ Hyperaktivitätsstörung) in den USA wurde kürzlich in einer Publikation in JAMA Psychiatry beleuchtet. Die Autoren stellen fest, dass ADHS bei Erwachsenen unterdiagnostiziert und unterbehandelt ist. Gleichzeitig bemängeln sie einen Mangel an geeigneten Therapeutika. Trotz erheblicher psychiatrischer Komorbiditäten und der damit verbundenen Belastungen gibt es unter Ärzten in den USA eine große Zurückhaltung, ADHS zu diagnostizieren – unter anderem, weil in der Öffentlichkeit immer wieder über den Missbrauch von Stimulanzien diskutiert wird, die zur Therapie verschrieben werden.
Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn sagt, dass die Diskussion über ADHS bei Erwachsenen hierzulande in den letzten 20 Jahren weitgehend unverändert geblieben ist. Zu lange Wartelisten, zu wenige Ansprechpartner, Skepsis gegenüber Stimulanzien und die Vorstellung, ADHS sei eine reine Kinderkrankheit oder gar eine Modediagnose, prägen weiterhin das Bild. Ihrer Einschätzung nach ist ADHS bei Erwachsenen weiterhin unterdiagnostiziert.
Die erhöhte Aufmerksamkeit für ADHS bei Erwachsenen wird als ambivalentes Phänomen wahrgenommen. In der Ambulanz der Universitätsklinik Bonn erfüllen 75 bis 80% der Patienten mit einer Verdachtsdiagnose tatsächlich die Kriterien für ADHS, was auf eine gute Vorauswahl durch niedergelassene Ärzte hinweist.
Bezogen auf die Verfügbarkeit von Therapeutika schildert Philipsen, dass es in Deutschland immer wieder zu Lieferengpässen kommt. Diese seien jedoch regional unterschiedlich
Das Missbrauchspotenzial von Stimulanzien, wie Methylphenidat, wird in Deutschland ähnlich wie in den USA diskutiert, jedoch betont Philipsen, dass dieses Potenzial sehr gering ist. Sachliche Aufklärung sei entscheidend, da eine frühe medikamentöse Therapie das Risiko für Suchterkrankungen und Depressionen reduzieren könne. Die medikamentöse Therapie habe dabei den stärksten Effekt, insbesondere wenn Psychoedukation und Psychotherapie allein nicht ausreichen.
Ein weiteres Problem ist die lange Zeitspanne bis zur korrekten Diagnosestellung. Obwohl sich dieser Zeitraum verkürzt, liegt das Durchschnittsalter der Patienten bei der Diagnosestellung weiterhin bei Anfang 30 – obwohl ADHS bereits im Kindesalter beginnt. Philipsen sieht dies als klares Indiz für eine große diagnostische Lücke, die zu erheblichen sozialen Beeinträchtigungen und Folgeproblemen führen kann. Unbehandelt birgt ADHS ein erhöhtes Risiko für Sucht- und Angsterkrankungen.
Hausärzte spielen laut Philipsen eine zentrale Rolle in der Diagnosestellung. ADHS sei eine Ausschlussdiagnose, und typische Anzeichen wie wiederholtes Vergessen von Terminen, häufige Stresssituationen oder wiederholter Suchtmittelkonsum sollten die Aufmerksamkeit auf ADHS lenken. Da die Hausärzte die Familien oft über Jahre kennen, könnten sie durch den Einsatz von Screening-Tools und edukativen Interventionen erste wichtige Schritte einleiten. Sollte sich der Verdacht erhärten, sei eine Überweisung an einen Nervenarzt sinnvoll.
Philipsen betont, dass trotz der Herausforderungen die gestiegene Aufmerksamkeit für ADHS sowohl Vor- als auch Nachteile birgt. Während mehr Betroffene Hilfe suchen, trägt der öffentliche Diskurs dazu bei, dass ADHS teilweise als Modediagnose abgetan wird. Sie mahnt zu einer differenzierten Betrachtung, um Betroffenen eine frühzeitige und effektive Behandlung zu ermöglichen.
Quelle:
- ADHS bei Erwachsenen: Von wegen „Modediagnose“ – Expertin sieht die Störung noch immer unterdiagnostiziert – Medscape – 28. Nov 2024.
- Bilder: KI-generiert. ChatGPT