Herzlichen Glückwunsch euch allen! Ihr habt es geschafft. Heute ist euer Tag. Ihr dürft stolz sein. Ihr habt Prüfungen überlebt, Nächte durchgelernt, vielleicht auch durchgefeiert. Ihr habt euch durchgebissen, manchmal durchgewurschtelt – jedenfalls seid ihr hier. Am Ziel eines langen Weges – und am Startpunkt eines neuen.
Vielleicht denkt ihr jetzt: Jetzt erstmal chillen. Vielleicht ein Gap Year. Work-Life-Balance. Oder lieber gleich Life-Life-Balance. Ist ja auch verdient, oder?
Na klar. Ihr dürft euch feiern. Ihr dürft euch kurz zurücklehnen.
Nur: Bleibt bitte nicht sitzen.
Denn… es gibt eine These – nein, es gibt viele:
Der Pessimismus von heute ist die Dekadenz von morgen.
Der Überfluss von heute ist die Not von morgen.
Die Wohlfühlecke von heute ist die mögliche Hölle von morgen.
Die Kuschelpädagogik von gestern und heute ist die Leistungsunfähigkeit von heute und morgen.
Und das mangelnde Problembewusstsein von heute ist die Innovationskrise von morgen.
Ihr habt gelernt, euch selbst zu verwirklichen. Sehr gut. Aber habt ihr auch gelernt, euch selbst zu verpflichten?
Ihr habt erfahren, dass ihr wertvoll seid. Ja. Aber habt ihr auch gelernt, dass ihr nicht automatisch wertvoll für andere seid, wenn ihr nichts beitragt?
Ihr habt oft gehört: Du darfst so sein, wie du bist. Aber habt ihr auch mal gehört: Du musst der werden, der du sein könntest?
Vielleicht wurde euch eingeredet, dass das Leben fair sei. Dass ihr alles tun und werden könntet, wenn ihr nur wolltet. Dass Scheitern ein Lerngeschenk sei.
Aber das Leben ist nicht fair. Und Scheitern ist manchmal einfach nur: Scheitern. Und Scheitern ist …… wahrlich nicht schön. Es sei denn, man macht etwas daraus.
Willkommen in einer Gesellschaft, in der sich der Selbstwert manchmal aus Likes speist und die Tagesleistung aus dem Durchhalten einer Bildschirmzeitbegrenzung.
Willkommen in einer Kultur, in der Triggerwarnungen wichtiger geworden sind als Denkherausforderungen.
In der „Du bist genug“ zum Mantra wurde – ganz gleich, ob jemand wirklich genug war und gut genug gehandelt hat.
In der man vom Balkon klatscht, statt Gehälter zu zahlen.
In der wir junge Menschen vor allem schützen wollen – vor Druck, vor Stress, vor Bewertung… am besten auch gleich vor der Realität.
Die Realität lässt sich nicht canceln.
Wenn ihr heute Mangel erlebt – an Disziplin, an Orientierung, an Verantwortung – dann schaut nicht zuerst auf euch. Schaut zurück.
Wer hat euch beigebracht, dass jedes Gefühl zählt, aber kaum jemand, dass auch Pflichten zählen?
Wer hat euch eingebläut, dass Arbeit euch nicht überfordern dürfe – aber kaum jemand, dass sie euch auch nicht unterfordern darf?
Wer hat euch gewarnt vor Konkurrenz, aber nicht vorbereitet auf sie?
Wer hat euch zu Prinzen und Prinzessinnen gekrönt – ohne zu sagen, dass das Leben kein Disneyfilm ist?
Die Antwort ist unbequem: Es waren wir.
Wir Eltern. Wir Lehrer. Wir Gesellschaft.
Wir haben euch zwar gefördert – und dadurch zu wenig gefordert.
Wir wollten euch schützen – und haben euch dabei Schwäche vorgelebt.
Wir wollten euch stärken – aber haben euch oft die Erfahrung genommen, was es heißt, selbst stark sein zu müssen.
So, und nun?
Jetzt liegt es an euch.
Entweder ihr übernehmt Verantwortung für euch – oder jemand anders tut es. Und dann müsst ihr gehorchen, statt zu gestalten.
Entweder ihr bestimmt euch selbst – oder ihr werdet bestimmt.
Und dann, ja dann…
…kommt das, was schon einmal war: Nicht Paradies. Sondern die Hölle des Praxisschocks. Blut, Schweiß und Tränen.
Dann werdet ihr euer Brot wieder im Schweiße eures Angesichts verdienen – nicht im Homeoffice, sondern mit harter Arbeit.
Nicht als erfüllte Lebensbalance, sondern als unausweichliche Realität. So wie Adam und Eva nach dem Rauswurf aus der Komfortzone des Gartens Eden.
Also: Nutzt eure Freiheit. Fordert euch selbst. Werdet nicht verwaltet – werdet wirksam. Denn die Zukunft wartet nicht – sie prüft. Euch. Uns. Alle.
- Inspiration: Gedankenaustausch mit Tiffany
- Quelle: Das wird gut. DIE ZEIT v. 26.6.2025. S. 31.
- Redaktionelle Überarbeitung : KI-gestützt. Copilot.