Worum es geht

Der Text erklärt das psychologische Konzept „Locus of Control“. Es beschreibt, ob jemand glaubt, sein Leben selbst beeinflussen zu können – oder ob andere Dinge wie Zufall, Schicksal oder andere Menschen alles bestimmen. Diese Haltung hat großen Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln – und spielt in der Therapie, der Bildung und in unserer digitalen Welt eine wichtige Rolle.

„Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinung, die wir darüber haben.“
„Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinung, die wir darüber haben.“

Selbstbestimmung und Selbstkontrolle

Die Frage, ob wir Kontrolle über unser Leben haben oder ob alles von außen gesteuert wird, ist uralt. Schon die Philosophen in der Antike haben sich damit beschäftigt. Der Stoiker Epiktet sagte: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Meinung, die wir darüber haben.“ Das bedeutet: Es ist nicht das, was passiert – zum Beispiel eine Trennung oder eine schlechte Note –, das uns traurig macht, sondern unsere Bewertung davon. Denken wir „Ich bin unfähig“, tut es weh. Denken wir „Ich kann daraus lernen“, fühlen wir uns stärker. Diese Sichtweise ist die Basis für die Idee, dass unsere innere Haltung darüber entscheidet, wie wir mit dem Leben umgehen.

Später schrieb der Existenzialist Jean-Paul Sartre, dass der Mensch zur Freiheit „verurteilt“ sei – also immer selbst entscheiden müsse und Verantwortung trägt. Das passt zur Vorstellung, dass Kontrolle in uns selbst liegt. Andere, wie Spinoza, glaubten dagegen, dass alles durch äußere Umstände bestimmt wird – also von Dingen außerhalb unserer Kontrolle. Diese alten Ideen spiegeln sich heute im psychologischen Konzept „Locus of Control“ wider, das Julian B. Rotter in den 1950er-Jahren eingeführt hat. Es geht um die Frage: Liegt die Kontrolle in mir (intern) oder außerhalb von mir (extern)?

Dispositionen: Innerer und äußerer Kontrollstil

Menschen mit einem inneren Kontrollstil denken: „Ich kann etwas verändern.“ Sie handeln selbstbewusster, übernehmen Verantwortung und fühlen sich oft zufriedener. Menschen mit einem äußeren Kontrollstil glauben: „Ich kann sowieso nichts tun.“ Sie fühlen sich oft machtlos, sind schneller traurig oder ängstlich und geben eher auf. Dieses Denken beeinflusst unsere Gesundheit, unsere Beziehungen und wie wir mit Herausforderungen umgehen.

In der Psychotherapie spielt der Locus of Control eine wichtige Rolle. Ziel ist, Menschen zu helfen, sich selbst als handlungsfähig zu erleben. Sie lernen: Ich kann Dinge beeinflussen – zum Beispiel durch Gespräche, Übungen oder das Setzen von eigenen Zielen. Methoden wie Tagebuchschreiben, Rollenspiele oder Rückblick auf Erfolge helfen dabei. Die Therapie zeigt Wege auf, wie man sich selbst besser versteht und aus alten Denkmustern herauskommt.

Dieses Konzept ist nicht ganz neu. Es ähnelt anderen psychologischen Ideen, etwa dem Gedanken der „Selbstwirksamkeit“ von Albert Bandura – also dem Glauben, etwas erreichen zu können.

Auch das Konzept der „erlernten Hilflosigkeit“ von Martin Seligman passt dazu: Menschen geben auf, wenn sie zu oft das Gefühl hatten, nichts bewirken zu können.  Der Locus of Control bringt viele dieser Gedanken zusammen und macht sie verständlich und anwendbar.

Ihr Denken verändert sich – nicht komplett, aber Stück für Stück.
Ihr Denken verändert sich – nicht komplett, aber Stück für Stück.

Fallbeispiel: Sandras Weg aus der Hilflosigkeit

Sandra ist 38 Jahre alt und kommt in die Therapie. Sie glaubt, dass sie immer Pech hat und nichts ändern kann. Ihre Ehe läuft schlecht, ihr Job macht sie unzufrieden, und sie fühlt sich oft müde und ausgelaugt. Die Therapeutin merkt schnell: Sandra denkt sehr extern – sie sieht sich als Opfer von Umständen.

In der Therapie beginnt Sandra, kleine Dinge zu erkennen, die sie selbst verändern kann. Sie stellt sich ihren Tagesablauf neu zusammen, spricht offener mit ihrem Partner und schaut auf Situationen, die sie früher gut gemeistert hat. Mit der Zeit merkt sie: Ihr Verhalten hat Wirkung. Sie fühlt sich stärker, setzt sich neue Ziele und berichtet von mehr Zufriedenheit.

Ihr Denken verändert sich – nicht komplett, aber Stück für Stück. Sie beginnt zu sehen, dass sie Einfluss hat. Die Therapie hilft ihr, ihren Locus of Control mehr in Richtung „intern“ zu verschieben.

Bildung, Gesellschaft und Digitalisierung

Auch in der Schule, im Job und mit digitalen Medien zeigt sich, wie wichtig der Locus of Control ist. Kinder und Jugendliche können lernen: Du kannst etwas bewirken – durch Übung, Mut und eigenes Denken. Lehrkräfte sollten dabei helfen, Selbstvertrauen und Verantwortung zu stärken.

In der Gesellschaft ist Selbstbestimmung wichtig – aber nicht immer einfach. Wer wenig Geld hat oder in unsicheren Verhältnissen lebt, fühlt sich oft fremdbestimmt. Hier können Bildung, Beratung und gute Arbeitsbedingungen helfen, Menschen zu stärken.

In der digitalen Welt ist Kontrolle manchmal schwer zu greifen. Algorithmen entscheiden, was wir sehen – Werbung, Nachrichten, Inhalte. Um nicht das Gefühl zu bekommen, dass alles fremdbestimmt ist, brauchen wir Medienbildung: Wir sollten verstehen, wie digitale Systeme funktionieren, und wie wir selbst wählen und handeln können.

Zum Mitnehmen

Der Locus of Control zeigt, wie wir über Einfluss und Verantwortung denken. Wer glaubt, selbst etwas verändern zu können, lebt meist aktiver, zufriedener und gesünder. Dieses Denken ist lernbar – durch Therapie, Bildung und Selbstreflexion. Es geht nicht darum, alles kontrollieren zu wollen. Sondern darum zu erkennen, wo wir wirklich Einfluss haben – und wo wir loslassen dürfen.

  • Inspiration: Lektüre von: Alois Prinz: Das Leben der Simone de Beauvoir. Insel Verlag, 2022.
  • Bilder: KI-generiert: Copilot.
  • Quelle: u.a. Alexander Langenkamp: Zwischen individueller Erfahrung und gesellschaftlicher Verantwortung. In: Politikum Heft 2 / 2025, S. 32 ff.