Wir sind im Wohlstand erschlafft und zu müde, um Entscheidungen zu treffen. Der Überfluss als Fluch

Wir haben erreicht, wovon Generationen vor uns nur träumen konnten: eine Gesellschaft des Überflusses, in der materielle Not für die meisten ein fremdes Wort geworden ist. Supermärkte stapeln Waren bis unter die Decke, Online-Händler versprechen Lieferung am selben Tag, Streaming-Dienste bieten endlose Unterhaltung auf Abruf.

Doch dieser Segen hat sich unmerklich in einen Fluch verwandelt. Was einst als Befreiung von existenziellen Sorgen gefeiert wurde, hat eine neue Form der Gefangenschaft geschaffen: die Lähmung durch zu viele Möglichkeiten. Unsere Gesellschaft leidet an einer paradoxen Erschöpfung – wir sind müde geworden vom Wählen, erschöpft von der Fülle, gelähmt von der Freiheit. Der Wohlstand, der uns entlasten sollte, hat uns eine neue Last aufgebürdet: die permanente Notwendigkeit zu entscheiden. Jeden Tag treffen wir Tausende von Entscheidungen, von der Auswahl des Frühstücks bis zur politischen Meinungsbildung. Diese scheinbar triviale Tatsache hat tiefgreifende Konsequenzen für unser gesellschaftliches Leben, denn unser Gehirn ist nicht dafür ausgelegt, in einem permanenten Entscheidungsmodus zu operieren.

Decision Fatigue als gesellschaftliches Phänomen

Die Psychologie kennt das Phänomen der „Decision Fatigue“ – die nachlassende Qualität unserer Entscheidungen nach einer Serie von Wahlmöglichkeiten. Was Forscher zunächst im Labor beobachteten, ist längst zu einem gesellschaftsweiten Problem geworden. Unser präfrontaler Kortex, der für rationale Entscheidungen zuständige Gehirnbereich, erschöpft sich wie ein überanstrengter Muskel. Die Folgen sind verheerend: Menschen greifen zu Standardoptionen, verschieben wichtige Entscheidungen oder treffen impulsive Wahl­entscheidungen.

Richter sprechen härtere Urteile vor dem Mittagessen aus, Konsumenten kaufen mehr unnötige Produkte nach einem langen Einkaufstag, Bürger wählen populistische Parteien, weil deren simple Botschaften weniger geistige Anstrengung erfordern. Die Decision Fatigue ist nicht mehr nur ein individuelles Problem überfor­derter Verbraucher – sie ist zu einem strukturellen Merkmal unserer Überflussgesellschaft geworden.

Wenn eine ganze Gesellschaft unter chronischer Entscheidungserschöpfung leidet, verändert sich das Wesen der Demokratie selbst.

Barry Schwartz beschrieb in seinem Werk „The Paradox of Choice“ bereits vor zwei Jahrzehnten, wie zu viele Optionen paradoxerweise zu weniger Zufriedenheit und mehr Angst führen. Heute erleben wir die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Erkenntnis: Eine kollektive Entscheidungsmüdigkeit, die sich in politischer Apathie, Konsumrausch und dem Ruf nach einfachen Antworten äußert.

 Menschen, die täglich Hunderte von Entscheidungen treffen müssen – welche App zu nutzen, welche Serie zu schauen, welches Produkt zu kaufen, welcher Meinung zu folgen –, haben am Ende des Tages keine Energie mehr für die komplexen Abwägungen, die eine funktionierende Demokratie erfordert.

Die Verfettung des Geistes

Wie der Körper im unkontrollierten Überfluss zu Fettleibigkeit neigt, so verfettet der Geist in der Informationsgesellschaft. Wir konsumieren täglich mehr Daten, als unsere Vorfahren in einem ganzen Jahr verarbeiteten. Doch wie Fast Food macht auch Fast Information nicht satt, sondern süchtig.

Die permanente Berieselung durch Nachrichten, Social Media, Werbung und Entertainment führt zu einer geistigen Adipositas: Der Geist wird träge, verliert die Fähigkeit zur Konzentration und zur tieferen Reflexion.

Statt weniger, aber dafür nährstoffreichere Informationen zu sich zu nehmen, stopfen wir uns mit geistigem Junk Food voll. Kurze Videos, oberflächliche Headlines, emotionale Memes ersetzen das mühsame Durchdenken komplexer Zusammenhänge. Der Geist, der sich an diese süßen Häppchen gewöhnt hat, verliert die Fähigkeit zur intellektuellen Anstrengung. Langsam zu lesen wird zur Qual, ein Buch zu Ende zu lesen zum Kraftakt, eine durchdachte politische Position zu entwickeln zur Überforderung.

Diese geistige Verfettung zeigt sich nicht nur individuell, sondern prägt unsere gesamte Diskurskultur. Komplexe politische Fragen werden zu Twitter-tauglichen Slogans verkürzt, wissenschaftliche Erkenntnisse zu clickbait-Überschriften reduziert, philosophische Traditionen zu Instagram-Zitaten banalisiert.

Eine Gesellschaft verfetteter Geister kann keine schwierigen Entscheidungen mehr treffen.  Sie greift reflexartig zu den einfachsten, süßesten Optionen. Populistische Bewegungen verstehen diese Dynamik perfekt: Sie bieten geistige Fast Food-Menüs an, die sofort sättigen, aber langfristig vergiften.

Der soziale Rückzug als Folge der Überforderung

Parallel zur geistigen Verfettung vollzieht sich ein sozialer Rückzug. Die Grundlagen demokratischer Gesellschaften erodieren. Menschen, die von der Komplexität der modernen Welt überfordert sind, ziehen sich in private Kokon-Welten zurück. Sie verbringen mehr Zeit in digitalen Blasen als in realen Gemeinschaften, mehr Zeit mit dem Konsum von Inhalten als mit der Produktion von Ideen, mehr Zeit mit passiver Berieselung als mit aktiver Teilhabe. Dieser soziale Rückzug ist nicht nur eine individuelle Bewältigungsstrategie, sondern ein kollektives Phänomen, das die sozialen Bindungen schwächt, die eine Gesellschaft zusammenhalten.

Die Vereinsamung im Überfluss ist das  größte Paradoxe unserer Zeit. Noch nie waren wir so vernetzt und dennoch so isoliert, noch nie hatten wir so viele Möglichkeiten zur Kommunikation und dennoch so wenig echten Austausch. Die sozialen Medien, die Verbindung versprechen, erzeugen oft das Gegenteil: oberflächliche Kontakte, die die Sehnsucht nach echter Begegnung nicht stillen können. Menschen sammeln digitale „Freunde“ und „Follower“, aber verlieren die Fähigkeit zu tiefen, verbindlichen Beziehungen. Diese soziale Verflachung verstärkt die Entscheidungsmüdigkeit, denn echte Beziehungen sind es, die uns Orientierung und Halt geben, wenn wir schwierige Entscheidungen treffen müssen.

Die Demokratie der Müden

Eine Demokratie funktioniert nur, wenn ihre Bürger bereit und fähig sind, sich zu informieren, abzuwägen und verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Doch was passiert, wenn eine ganze Gesellschaft unter Decision Fatigue leidet? Die Antwort erleben wir täglich: Politische Entscheidungen werden an Experten, Algorithmen oder Populisten delegiert. Bürger wählen nicht mehr aufgrund durchdachter Überzeugungen, sondern aufgrund von Bauchgefühlen, Medien-Hypes oder simpler Ablehnung des Status quo. Die komplexen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel, Digitalisierung, demografischer Wandel – erfordern jedoch durchdachte, langfristige Strategien, die nur durch kollektive Anstrengung und demokratische Meinungsbildung entwickelt werden können.

In einer Gesellschaft erschöpfter Bürger gedeihen autoritäre Verlockungen. Der starke Mann, die einfache Lösung, die klare Ansage wirken verlockend für Menschen, die müde sind vom ständigen Abwägen und Entscheiden. Populistische Bewegungen verstehen dieses Bedürfnis und bieten Entlastung an: „Wir übernehmen das Denken für euch, ihr müsst nur folgen.“ Diese Entlastung kommt jedoch zu einem hohen Preis – dem Verlust der demokratischen Selbstbestimmung. Eine Gesellschaft, die zu müde ist, um zu entscheiden, ist bereit, diese Entscheidungen anderen zu überlassen, auch wenn diese anderen nicht ihre Interessen im Blick haben.

Die Flucht in die Passivität

Die chronische Überforderung führt zu einem weiteren gesellschaftlichen Phänomen: der Flucht in die Passivität. Anstatt sich der Anstrengung des Entscheidens zu stellen, ziehen sich immer mehr Menschen in passive Konsumhaltungen zurück. Sie lassen sich berieseln statt zu gestalten, konsumieren statt zu produzieren, folgen statt zu führen. Die Masse der Schafe.

Diese Passivität wird von einer ganzen Industrie bedient, die aus der Entscheidungsmüdigkeit der Menschen Profit schlägt. Streaming-Dienste entwickeln Algorithmen, die uns die Entscheidung abnehmen, was wir schauen sollen. Online-Händler nutzen „Empfehlungssysteme“, die uns vorschlagen, was wir kaufen sollen. Soziale Medien kuratieren Inhalte, die unsere bestehenden Überzeugungen bestätigen, damit wir nicht die anstrengende Arbeit des Zweifelns und Überdenkens leisten müssen.

Diese algorithmische Entlastung scheint zunächst hilfreich, führt jedoch zu einer weiteren Atrophie unserer Entscheidungsfähigkeiten. Wie Muskeln, die nicht benutzt werden, verkümmern auch die geistigen Fähigkeiten zur kritischen Reflexion und autonomen Entscheidung. Menschen gewöhnen sich daran, dass andere – seien es Algorithmen, Experten oder Influencer – für sie entscheiden. Diese erlernte Hilflosigkeit ist das Gegenteil dessen, was eine lebendige Demokratie braucht: mündige Bürger, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

Der Teufelskreis der Bequemlichkeit

Die Verfettung von Geist und Gesellschaft erschafft einen Teufelskreis der Bequemlichkeit. Je bequemer das Leben wird, desto weniger sind Menschen bereit, Anstrengungen auf sich zu nehmen. Je weniger sie sich anstrengen, desto schwächer werden ihre geistigen und sozialen „Muskeln“. Je schwächer diese werden, desto mehr sind sie auf weitere Bequemlichkeiten angewiesen. Dieser Kreislauf führt zu einer gesellschaftlichen Infantilisierung: Erwachsene Menschen verhalten sich wie verwöhnte Kinder, die sofortige Befriedigung erwarten und bei der geringsten Frustration aufgeben oder zu Wutausbrüchen neigen. Das Sozialamt in Vertretung von Vater Staat übernimmt die Rundumversorgung.

Die Bequemlichkeit wird zur Droge, die immer höhere Dosen benötigt. Was gestern als Komfort empfunden wurde, wird heute als Standard erwartet und morgen als unzureichend empfunden. Die Ansprüche steigen, die Bereitschaft zu Anstrengungen sinkt. Menschen erwarten, dass Probleme von anderen gelöst werden – vom Staat, von der Technik, von irgendwelchen Experten –, aber nicht von ihnen selbst. Diese Erwartungshaltung zeigt sich in allen Lebensbereichen: von der Partnerwahl über die Berufswahl bis hin zur politischen Teilhabe.

Die Erosion der Tugenden

Mit der geistigen und sozialen Verfettung erodieren auch die Tugenden, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Geduld wird zur Rarität in einer Welt der Sofortbefriedigung. Ausdauer verkümmert, wenn jede Anstrengung als Zumutung empfunden wird. Bescheidenheit verschwindet, wenn Überfluss zur Normalität wird. Mut degeneriert zu Opportunismus, wenn das Risiko des Scheiterns durch soziale Sicherungssysteme abgefedert wird. Diese Tugenden sind jedoch nicht nur individuelle Charaktereigenschaften, sondern kollektive Ressourcen, die eine Gesellschaft braucht, um schwierige Herausforderungen zu bewältigen.

Eine Gesellschaft ohne Tugenden ist wie ein Körper ohne Immunsystem – sie wird anfällig für alle Arten von Krankheiten. Korruption gedeiht, wo Integrität schwächelt. Extremismus wuchert, wo Mäßigung fehlt. Demokratie zerfällt, wo Verantwortungsbewusstsein schwindet. Die Verfettung der Gesellschaft ist also nicht nur ein kulturelles oder ästhetisches Problem, sondern eine existenzielle Bedrohung für die Grundlagen des Zusammenlebens.

Die Verkürzung der Aufmerksamkeitsspannen

Ein besonders dramatischer Aspekt der geistigen Verfettung ist die Verkürzung der kollektiven Aufmerksamkeitsspanne. Was früher über Monate oder Jahre diskutiert wurde, wird heute in Tagen oder Stunden „abgehakt“. Komplexe gesellschaftliche Probleme werden in News-Zyklen von wenigen Tagen abgehandelt, dann durch das nächste „Breaking News“ verdrängt. Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben als endlose Kette von Aufregern. Diese Aufmerksamkeitsdefizit-Störung auf gesellschaftlicher Ebene macht es unmöglich, nachhaltige Lösungen zu entwickeln, die Zeit brauchen, um zu reifen und ihre Wirkung zu entfalten.

Die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne führt zu einer Politik des schnellen Effekts. Politiker versprechen Lösungen „bis Weihnachten“ oder „binnen 100 Tagen“, weil sie wissen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nicht länger anhält. Langfristige Projekte wie Bildungsreformen, Infrastruktur-Investitionen oder Klimaschutz-Maßnahmen leiden unter diesem Aufmerksamkeitsdefizit. Sie werden entweder gar nicht erst angegangen oder nach den ersten Rückschlägen wieder aufgegeben, weil die Gesellschaft bereits zu anderen Themen weitergewandert ist.

Das Verschwinden der Anstrengungsbereitschaft

In einer mental verfetteten Gesellschaft schwindet die Bereitschaft zur Anstrengung. Was nicht sofort und mühelos verfügbar ist, wird als zu schwierig abgetan. Diese Haltung durchdringt alle Lebensbereiche: von der Bildung, wo schwierige Inhalte „entschärft“ werden müssen, über die Arbeitswelt, wo „Work-Life-Balance“ oft als Synonym für minimalen Aufwand missverstanden wird, bis hin zur Politik, wo komplexe Reformen durch populistische Vereinfachungen ersetzt werden.

Die Anstrengungsvermeidung wird kulturell legitimiert und sogar gefeiert. „Selbstoptimierung“ wird als Versuch verkauft, mit möglichst wenig Aufwand maximale Ergebnisse zu erzielen. „Life Hacks“ versprechen Abkürzungen für jeden Lebensbereich. „Disruption“ wird gepriesen als Weg, traditionelle Mühen durch technische Lösungen zu ersetzen. Dabei geht verloren, dass viele der wertvollsten menschlichen Erfahrungen – Bildung, Beziehungen, Kunstfertigkeit, Weisheit – nur durch geduldige, ausdauernde Anstrengung erreichbar sind.

Die Infantilisierung der Gesellschaft

Das Resultat dieser Entwicklungen ist eine fortschreitende Infantilisierung der Gesellschaft. Erwachsene Menschen verhalten sich wie Kinder, die sofortige Befriedigung ihrer Wünsche erwarten und bei Widerstand mit Trotzreaktionen reagieren. Diese Infantilisierung zeigt sich in der Konsumkultur, wo Erwachsene Produkte kaufen, die einst für Kinder gedacht waren, in der Arbeitskultur, wo „Spaß“ als wichtigstes Kriterium für Berufswahl gilt, und in der politischen Kultur, wo komplexe Sachverhalte in Gut-Böse-Schemata aufgeteilt werden müssen, um verstanden zu werden.

Die infantilisierte Gesellschaft ist besonders anfällig für autoritäre Verführungen, denn Kinder sehnen sich nach starken Erwachsenen, die für sie entscheiden und Verantwortung übernehmen. Populistische Politiker verstehen diese Dynamik und präsentieren sich als strenge, aber fürsorgliche Elternfiguren, die dem verwöhnten Volk die schweren Entscheidungen abnehmen. Sie versprechen nicht nur einfache Lösungen, sondern auch die Befreiung von der Last der Eigenverantwortung.

Der Verlust der Konfliktfähigkeit

Eine weitere Folge der sozial-mentalen Verfettung ist der Verlust der Fähigkeit zu konstruktiver Konfliktaustragung. In einer Welt, die auf Bequemlichkeit und Harmonie ausgerichtet ist, werden Konflikte als Störungen empfunden, die schnellstmöglich beseitigt werden müssen. Menschen verlieren die Fähigkeit, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten, produktiv zu streiten und durch Auseinandersetzung zu besseren Lösungen zu gelangen. Stattdessen weichen sie Konflikten aus, ziehen sich in ihre Echokammern zurück oder reagieren mit emotionaler Überreaktion.

Diese Konfliktscheue schwächt die Demokratie, die auf der Austragung von Interessensunterschieden angewiesen ist. Wo Menschen nicht mehr bereit oder fähig sind zu streiten, können auch keine demokratischen Kompromisse entstehen. Die Gesellschaft zerfällt in unverbundene Gruppen, die sich gegenseitig ignorieren oder bekämpfen, anstatt ihre Unterschiede produktiv zu verhandeln. Das Ergebnis ist eine Fragmentierung der Gesellschaft, die autoritären Kräften die Möglichkeit gibt, sich als Einiger und Ordnungsstifter zu präsentieren.

Der Weg aus der Verfettung

Die Diagnose ist düster, aber nicht hoffnungslos. Wie körperliche Schwerfälligkeit auch durch Disziplin, Training und bewusste Ernährung überwunden werden kann, so lässt sich auch die geistige und soziale Verfettung durch bewusste Anstrengung bekämpfen. Der erste Schritt ist die Erkenntnis des Problems: Wir müssen verstehen, dass Bequemlichkeit und Überfluss nicht automatisch zu Glück und gesellschaftlichem Wohlstand führen, sondern auch neue Formen der Unfreiheit schaffen können.

Eine Gesellschaft, die aus ihrer Trägheit durch soziale und mentale Verfettung herausfinden will, muss bereit sein, wieder Anstrengungen auf sich zu nehmen. Das bedeutet nicht die Rückkehr zur Not, sondern die bewusste Kultivierung von Tugenden, die in Zeiten des Überflusses vernachlässigt wurden.

Schulen müssen wieder lehren, dass Lernen Anstrengung erfordert und dass diese Anstrengung wertvoll ist. Medien müssen Verantwortung übernehmen für die Qualität der Informationen, die sie verbreiten. Bürger müssen bereit sein, sich zu informieren und schwierige Entscheidungen zu treffen, auch wenn es bequemer wäre, diese anderen zu überlassen.

Die Renaissance der Anstrengung

Die Heilung der verfetteten Gesellschaft erfordert eine Renaissance der Anstrengung. Das bedeutet nicht eine Glorifizierung der Härte um ihrer selbst willen, sondern die Wiederentdeckung der Tatsache, dass die wertvollsten Dinge im Leben – Bildung, Beziehungen, Demokratie, Kunst – nur durch geduldige, ausdauernde Arbeit erreicht und erhalten werden können.

Eine Gesellschaft, die diese Wahrheit wieder lernt, kann aus der Lähmung der Decision Fatigue herausfinden und zu einer aktiven, gestaltenden Kraft werden.

Dies erfordert einen kulturellen Wandel, der bei jedem Einzelnen beginnt. Wir müssen lernen, wieder „Nein“ zu sagen – zu überflüssigem Konsum, zu oberflächlicher Information, zu bequemen Lösungen. Wir müssen die Fähigkeit zur Konzentration wiederentdecken, die Bereitschaft zum Verzicht kultivieren und die Anstrengung des Nachdenkens auf uns nehmen. Nur so können wir verhindern, dass unsere Gesellschaft im Wohlstand erstickt und zu einer Beute autoritärer Kräfte wird, die unsere Schwäche ausnutzen.

 Unser Wohlstand ist nur ein scheinbarer, heute finanziert mit Schulden, die die Jugend von heute morgen zurückzahlen muss. Und was, wenn sie es nicht tut? Wenn sie Insolvenz anmeldet? Wenn sie alle kreditfinanzierten Wohlfahrtsprogramme kündigt und die bezahlen lässst, die mit diesen Schulden immer noch ihren vermeintlichen Wohlstand finanzieren? Ihre gerechte und berechtigte Forderung wäre: Was ihr konsumiert habt in der Vergangenheit, werdet ihr jetzt in der Gegenwart bezahlen.   Jetzt kommt der Verzicht  –  oder die große Inflation mit Währungsreform, womit sich der Staat entschuldet. Weimar und Neuanfang nach Weltkrieg 2 lassen grüßen.

Der Kampf gegen die gesellschaftliche Verfettung ist letztendlich ein Kampf um die Zukunft der Demokratie. Denn eine Demokratie lebt nicht von bequemen Bürgern, die sich passiv berieseln lassen, sondern von aktiven Menschen, die bereit sind, die Anstrengung der Freiheit auf sich zu nehmen. Die Wahl liegt bei uns: Entweder wir finden den Mut zur Anstrengung, oder wir geben unsere Freiheit an jene ab, die versprechen, uns die Last der Entscheidung abzunehmen.