(Oder: Wie uns Algorithmen das Geld aus der Tasche ziehen, während wir nach Liebe suchen)

Das Geschäftsmodell: Verzweiflung zu Geld machen

Es war einmal die Liebe – chaotisch, unplanbar, kostenlos. Heute ist sie ein Abo-Modell mit automatischer Verlängerung. Willkommen im Zeitalter der monetisierten Einsamkeit, in dem dein Herzschmerz die Quartalszahlen eines börsenotierten Unternehmens sichert.

Die Dating-Apps haben begriffen, was Casinos längst wissen: Der wahre Profit liegt nicht im Gewinn des Kunden, sondern in seiner endlosen Hoffnung. Ein zufriedenes Paar, das die App löscht? Eine Katastrophe für die Bilanz. Also bekommen wir genau die richtige Dosis: genug Matches, um weiterzumachen, aber nie den perfekten Match, der uns zur Kündigung bewegt. Das nennt man dann „Optimierung der User Experience“. In Wahrheit ist es die Perfektionierung der Abhängigkeit.

Die Dopamin-Falle: Wenn dein Hirn zum Geschäftspartner wird

Neurowissenschaftlich sind Dating-Apps glorifizierte Spielautomaten. Swipe – vielleicht ein Match – swipe – Enttäuschung – swipe – oh, ein Like! Das Belohnungssystem wird so trainiert, dass die Erwartung süchtiger macht als die Erfüllung. Variable Belohnung nennt sich das Prinzip. Diese Ungewissheit hält dich am Bildschirm fest wie ein Junkie an der Nadel. 90 Minuten täglich verbringen Menschen durchschnittlich mit Dating-Apps – nicht weil die Gespräche so bereichernd sind, sondern weil das Scrollen zur Sucht geworden ist.

Das ist kein Zufall. Das ist Design. Die Plattformen verdienen an deiner Aufmerksamkeit, nicht an deinem Glück. Je länger du bleibst, desto besser für sie. Je frustrierter du wirst, desto eher kaufst du Premium-Features: mehr Sichtbarkeit, mehr Likes, mehr Kontrolle (angeblich). Du zahlst dafür, dass das System deine Probleme löst – Probleme, die das System selbst erst geschaffen hat. Genial, oder?

Das Paradox: 500 Matches, null Zufriedenheit

Das „Paradox of Choice“ ist der beste Freund der Dating-Industrie. Je mehr Optionen du hast, desto unzufriedener wirst du. Jedes Match trägt den Schatten aller anderen Matches, jede Verabredung konkurriert mit hundert hypothetischen Alternativen.

Die Filterlogik suggeriert Kontrolle. Körpergröße: mindestens 1,80 Meter. Bildung: Studium. Raucher: nein. Die Liste wird länger, die Auswahl enger, die Enttäuschung größer. Menschen sind keine Datensätze. Aber das ist dem Geschäftsmodell egal – Hauptsache, du filterst weiter, scrollst weiter, zahlst weiter.

Die Apps machen dich zum Türsteher deines eigenen Glücks. Du vergrößerst scheinbar deine Möglichkeiten und verkleinerst dabei deinen Horizont. Perfekt für die Plattform: Du suchst immer weiter, findest aber nie wirklich.

Die Selbstoptimierungs-Industrie: Verkauf dich oder stirb

Online bist du eine leicht optimierte Version von dir selbst. 12 Fotos, 8 Filter, 3 Hobbys, die du seit Jahren nicht mehr ausübst. Willkommen im Zeitalter der Selbstvermarktung: Jeder Klick ein Investment in die eigene Marke, jeder Like ein Aktienkurs.

Ratgeber erklären dir das perfekte Profil. Fotografen bieten professionelle Dating-Shoots an. Coaches versprechen die perfekte Bio. Die Dating-Welt wird zur Industrie, die an deiner Unsicherheit verdient. Du bezahlst dafür, dass du besser ankommst.

Das erste Date wird zur Enttarnung. Die Stimme klingt anders, die Körpersprache passt nicht, der Humor war antrainiert. Du hast dich in eine Illusion verliebt und triffst einen Menschen. Und Menschen sind kompliziert, widersprüchlich, unfertig.

Die Upgrade-Angst: Kaufe Premium oder bleibe unsichtbar

Die stetige Angst vor dem Upgrade ist Serienausstattung. Was, wenn morgen jemand Besseres erscheint? Partnerbörsen sind die Amazon-Prime-Version der Liebe: Immer könnte noch ein besseres Modell im Warenkorb liegen.

Die Apps leben von dieser Angst. Sie flüstern dir zu: „Das ist gut, aber ist es das Beste?“ Die Frage ist tödlich für jede beginnende Beziehung. Denn wer sich bindet, verliert Flexibilität. Und Flexibilität bedeutet: Du bleibst auf der Plattform. Du bleibst Kunde. Du bleibst zahlend.

Die Konsumlogik hat die Liebe durchdrungen. Partner werden zu Produkten, die man testet, bewertet, zurückschickt. Die App ist nicht gelöscht, nur versteckt. Das Profil nicht deaktiviert, nur „pausiert“. Die Tür bleibt offen – für alle Fälle. Und für die Plattform.

Der Algorithmus: Dein Dealer, nicht dein Freund
Der Algorithmus: Dein Dealer, nicht dein Freund

Die Ökonomie der Verzweiflung: Gewinner und Verlierer nach System

Dating-Apps funktionieren nach brutaler Logik: Aufmerksamkeit ist Währung. Die attraktivsten 10 Prozent erhalten etwa 60 Prozent aller Likes. Der Rest kämpft um Krümel.

Die Gewinner werden überschwemmt mit Optionen und verlieren sich im Überfluss. Die Verlierer kämpfen um jede Antwort und verzweifeln am Mangel. Beide sind unglücklich – und beide zahlen für die Lösung. Premium-Features versprechen mehr Sichtbarkeit, mehr Kontrolle. Der eine zahlt, um aus der Masse herauszustechen. Der andere zahlt, um die Masse zu filtern. Beide zahlen.

Das System belohnt oberflächliche Attraktivität. Wer gut aussieht, wird gesehen. Wer interessant ist, aber nicht fotogen, verschwindet. Die Apps haben einen Markt geschaffen, auf dem Menschen wie Aktien gehandelt werden.

Der Algorithmus: Dein Dealer, nicht dein Freund

Der Algorithmus gibt vor, dein Kuppler zu sein. In Wahrheit ist er dein Dealer. Er analysiert dein Verhalten, lernt aus deinen Mustern, präsentiert dir Menschen, die „zu dir passen“. Aber wer hat entschieden, was das bedeutet? Und wessen Interessen dient es wirklich?

Die Algorithmen arbeiten nicht für dein Glück, sondern für Engagement-Metriken. Verweildauer, Interaktionsrate, Monetarisierung – das sind die Kennzahlen. Ein zufriedenes Paar ist eine Katastrophe für das Geschäftsmodell. Also präsentiert der Algorithmus genau die richtige Dosis Hoffnung: genug, um weiterzumachen, aber nicht genug, um zu kündigen. Algorithmen reproduzieren Vorurteile. Sie lernen aus unseren Daten – und unsere Daten sind voller Biases. So entstehen Filterblasen der Attraktivität. Der Algorithmus bestätigt unsere Präferenzen, statt sie zu hinterfragen. Die Liebe wird homogener, vorhersagbarer, langweiliger.

Homogamie als Geschäftsmodell: Gleich und gleich gesellt sich – und bleibt unzufrieden

Die Apps perfektionieren, was Soziologen Homogamie nennen: die Tendenz, Partner zu wählen, die uns ähnlich sind. Bildung, Einkommen, soziale Schicht, Werte – die Algorithmen sortieren uns in immer engere Ähnlichkeitskategorien. Das klingt erst mal gut: Endlich jemand, der mich versteht!

Aber Studien zeigen ein paradoxes Ergebnis: Paare, die sich über Dating-Apps kennengelernt haben, berichten häufiger von Unzufriedenheit als solche, die sich „im echten Leben“ begegnet sind. Der Grund? Zu viel Ähnlichkeit macht langweilig. Zu viel Vorauswahl eliminiert die produktive Reibung, die Beziehungen lebendig hält. Wir bekommen Partner, die perfekt zu unseren Kriterien passen – und merken dann, dass Perfektion auf dem Papier nicht Chemie im echten Leben bedeutet.

Hinzu kommt: Die permanente Vergleichbarkeit bleibt. Auch in der Beziehung wissen beide Partner, dass da draußen Tausende andere warten, die ähnlich gut passen könnten. Die Beziehung steht unter ständiger Evaluierung. Das „Was wäre wenn?“ bleibt als Gift im System. Die App hat das Match ermöglicht – aber damit auch den Zweifel installiert, ob es nicht noch ein besseres Match gäbe.

Die Homogamie wird zur Falle: Wir bekommen, was wir gesucht haben, und sind trotzdem unzufriedener als zuvor. Denn die Apps haben uns nicht nur Partner vermittelt, sondern auch eine Denkweise installiert: die Liebe als optimierbares Projekt, den Partner als austauschbares Produkt. Und diese Denkweise verschwindet nicht, nur weil wir jemanden gefunden haben.

Ghosting als Geschäftsmodell: Die Monetarisierung der Zurückweisung

Die digitale Dating-Welt hat ein Vokabular der Grausamkeit hervorgebracht. Ghosting, Breadcrumbing, Benching – Verhaltensweisen, die früher als respektlos galten, sind heute Standard. Die Anonymität des Digitalen, die Masse der Optionen haben eine Kultur der Beliebigkeit geschaffen.

Menschen werden zu austauschbaren Profilen. Die Hemmschwelle, jemanden fallen zu lassen, sinkt dramatisch. Diese emotionale Kälte ist kein Fehler des Systems – sie ist Feature. Denn wer verletzt wird, sucht weiter. Wer enttäuscht wird, bleibt länger. Wer verzweifelt, zahlt eher für Premium.

Jede Zurückweisung nagt am Selbstwert. Die Ungewissheit ist schlimmer als ein klares Nein. Sie lässt dich grübeln, zweifeln, weitersuchen. Und genau das ist gewollt. Deine Verletzlichkeit ist die Grundlage des Geschäftsmodells.

Die Illusion der Wahl: Freiheit oder Falle?
Die Illusion der Wahl: Freiheit oder Falle?

Die Illusion der Wahl: Freiheit oder Falle?

Die Apps versprechen Wahlfreiheit. Tausende potenzielle Partner, alle nur einen Swipe entfernt. Aber die Wahrheit ist: Mehr Auswahl bedeutet nicht mehr Freiheit, sondern mehr Zwang. Der Zwang zu vergleichen. Der Zwang zu optimieren. Der Zwang, mit der Angst zu leben, die falsche Wahl getroffen zu haben. Je mehr Optionen wir haben, desto weniger wählen wir tatsächlich. Wir schieben die Entscheidung auf, halten uns alle Möglichkeiten offen, committen uns zu nichts. Die Wahl wird zur Nicht-Wahl. Die Freiheit zur Lähmung.

Die Dating-Apps sind Ausdruck dessen, was Zygmunt Bauman „flüchtige Moderne“ nennt: Nichts muss von Dauer sein, alles kann neu gestartet werden. Wir verlernen, Beziehungen zu pflegen, Krisen auszuhalten. Die Illusion der Wahl wird zur Falle: Wir suchen immer weiter, finden aber nie, weil wir nie wirklich ankommen.

Einsamkeit im Überfluss

Die große Ironie: Dating-Apps versprechen Verbindung, produzieren aber Einsamkeit. Nie waren wir so vernetzt – und trotzdem fühlen sich immer mehr Menschen einsam.

Die Apps bieten massenweise Kontakte, aber keine echte Verbindung. Denn Verbindung braucht Zeit, Tiefe, Verletzlichkeit. Stattdessen erleben wir eine Flut oberflächlicher Begegnungen. Gespräche, die versanden. Dates, die beliebig bleiben. Menschen, die verschwinden, bevor wir sie kennengelernt haben.

Die Einsamkeit entsteht nicht aus dem Mangel an Menschen, sondern aus dem Mangel an Nähe. Die Apps schaffen eine Illusion von Gesellschaft, während sie echte Gemeinschaft verhindern. Und diese Einsamkeit? Die ist profitabel. Denn einsame Menschen suchen weiter, hoffen weiter, zahlen weiter.

Die Erfolgsgeschichten: Marketing, nicht Realität

Natürlich gibt es sie, die digitalen Märchen. Paare, die sich über Apps gefunden haben und glücklich sind. Diese Geschichten werden gerne erzählt – von den Plattformen selbst, als Beweis, dass es funktioniert.

Aber diese Erfolgsgeschichten sind Marketing, nicht Statistik. Auf jedes glückliche Paar kommen Hunderte frustrierte Singles, die immer noch swipen, hoffen, scheitern – und zahlen. Die Frage ist nicht, ob die Apps funktionieren können, sondern zu welchem Preis.

Die meisten Menschen auf Dating-Apps finden nicht, was sie suchen. Sie bleiben in der Schleife, im Swipen, im Warten. Und manchmal ist das Glück, das sie schließlich finden, trotz der App, nicht wegen ihr.

Willkommen in der profitabelsten Einsamkeit der Welt

Dating-Apps sind keine Liebeshelfer, sondern Geschäftsmodelle. Sie leben nicht von deinem Glück, sondern von deiner Hoffnung. Sie verdienen nicht an deiner Erfüllung, sondern an deiner Frustration.

Sie haben die Liebe zur Marktlogik gemacht, zum Konsumgut, zum Optimierungsprojekt. Sie haben uns trainiert, Menschen wie Produkte zu behandeln: bewerten, vergleichen, aussortieren. Sie haben uns abhängig gemacht von Dopamin-Kicks, von Likes, von der Illusion der Kontrolle. Und wir zahlen dafür – mit Geld, mit Zeit, mit unserer psychischen Gesundheit.

Die Apps haben verstanden, wie man aus menschlichen Bedürfnissen maximal Profit schlägt. Sie haben erkannt, dass Einsamkeit eine erneuerbare Ressource ist. Und sie haben ein System geschaffen, das diese Ressource perfekt ausschöpft.

Zum Mitnehmen

Aber die Liebe bleibt störrisch menschlich. Sie kommt nicht, wenn man sie filtert. Sie bleibt nicht, wenn man vergleicht. Sie verlangt, dass wir uns trauen – ganz ohne Wischen. Liebe entsteht nicht aus Datenanalyse, sondern aus Zufall, aus Mut, aus der Bereitschaft, sich auf jemanden einzulassen, der nicht alle Kriterien erfüllt.

Die Apps werden nicht verschwinden. Sie sind Teil unserer Realität geworden. Und so bleibt uns nur, bewusster mit ihnen umzugehen. Zu erkennen, was sie mit uns machen. Zu hinterfragen, was sie uns versprechen. Und vielleicht, hin und wieder, das Handy auszuschalten und zu schauen, was passiert, wenn wir dem Zufall wieder eine Chance geben.

Willkommen in der profitabelsten Einsamkeit der Welt. Dein Abo verlängert sich automatisch.

  • Inspiration: ‚Paar Ecellence‘,  in: Magazin ‚Der Stern‘ v. 25.102025, S. 80
  • Bilder: KI-generiert:   Microsoft Copilot
  • Dieser Artikel wurde unter Verwendung mehrerer redaktioneller KI-Werkzeuge erstellt.

Über den Autor:

Der Autor ist geprüfter psychologischer Berater (vfp), Heilpraktiker für Psychotherapie, hat ein postgraduiertes Studium in Psychologie zum Ph.D. (philosophy doctor) absolviert und erfolgreich an der Fortbildung zur Qualifikation ‚Psychosomatische Grundversorgung‘ der Landesärztekammer Hessen teilgenommen.

Er schreibt u.a. über die Übergänge zwischen Nähe und Autonomie, Bindung und Freiheit. Seine Texte verbinden psychologische Tiefe mit dem Blick auf den Menschen, der beides ist: verletzlich und fähig zur Wandlung.