Das ewige Spiel der Rollen – und wer heute die Regeln schreibt
Von Eva bis Instagram, von Lilith bis Catcalling: Dieser Essay wirft einen augenzwinkernden Blick auf die Geschichte der Weiblichkeit – und zeigt, wie Frauen sich zwischen Zuschreibung und Selbstentwurf immer wieder neu erfinden.
Überblick
Weiblichkeit ist keine natürliche Gegebenheit, sondern eine kulturelle Konstruktion, die sich im Spannungsfeld zwischen männlicher Zuschreibung und weiblicher Selbstgestaltung entfaltet. Der Essay zeichnet diese Dynamik von biblischen Mythen bis zur digitalen Gegenwart nach und zeigt, wie der männliche Blick historisch Frauen als Objekte der Betrachtung fixierte, während der weibliche Gegenblick sich als stille Revolution etablierte – heute mit dem Smartphone als demokratisierter Waffe des Zurückfilmens.
Drei archetypische Frauenfiguren spannen das Feld auf: Lilith, die Rebellin, die Gleichheit fordert und zur Dämonin wird; Eva, die Denkende, deren Griff nach Erkenntnis als Sündenfall gilt; und Maria, die Schweigende, deren unerreichbare Reinheit Frauen bis heute unter Druck setzt. Schönheit erweist sich dabei als Doppelwaffe – passiv bei Helena von Troja, die als Kriegsgrund ohne Handlungsmacht bleibt, aktiv bei Salome, die ihre Schönheit strategisch einsetzt und dafür als femme fatale dämonisiert wird.
Historisch haben sich Frauen von Hildegard von Bingen über Mary Wollstonecraft und Mary Shelley bis George Sand und Simone de Beauvoir immer Räume erkämpft, die ihnen verwehrt wurden. Epochal wandelte sich das Frauenbild radikal: von der Aufklärung, die Gleichheit versprach, aber Frauen ausschloss, über die kämpferischen Suffragetten des 19. Jahrhunderts und die moderne Frau der Weimarer Republik bis zum Rückfall in Nazi-Deutschland, den konservativen 1950ern und der radikalen zweiten Frauenbewegung der 1960er/70er Jahre. Heute existiert nicht mehr „die“ Frauenbewegung, sondern ein Pluralismus aus intersektionalem, queerem und globalem Feminismus.
In der digitalen Gegenwart kontrollieren Instagram-Filter und Beauty-Industrie weibliche Körper auf neue Weise, während Frauen zugleich als Regisseurinnen ihrer eigenen Bilder agieren – mit mehr Freiheit, aber auch mehr Druck zur Perfektion in allen Rollen zugleich. Catcalling zeigt sich als Echo alter Besitzansprüche, wird aber zunehmend strafbar und öffentlich angeprangert. Gleichzeitig trifft digitale Gewalt besonders sichtbare, laute Frauen härter als Männer. Die zentrale Paradoxie: Frauen haben heute mehr Gestaltungsmacht als je zuvor, müssen aber gleichzeitig als CEO, Mutter, Aktivistin und Influencerin perfekt funktionieren.
Weiblichkeit erweist sich somit als kontinuierlicher Aushandlungsprozess, keine statische Kategorie. Was sich verändert hat, ist weniger das Bild der Frau als ihre Haltung dazu: Frauen halten den Spiegel der Geschichte heute selbst in der Hand – und entscheiden zunehmend selbst, ob sie sich darin spiegeln wollen oder nicht.
Worum es geht
Die Geschichte der Weiblichkeit ist eine Geschichte von Blicken – von denen, die sie auf Frauen werfen, und von jenen, die Frauen auf sich selbst zurückwerfen. Zwischen diesen Blicken entsteht ein Feld aus Sehnsucht, Macht, Angst und Freiheit. Von der biblischen Eva bis zu den digitalen Influencerinnen von heute zieht sich dieselbe Spannung: der Mann, der sieht und begehrt, und die Frau, die entscheidet, ob sie Objekt bleibt oder Subjekt wird.
Dieser Text will keine „Theorie des Weiblichen“ aufstellen, sondern zeigen, wie sich Weiblichkeit durch die Jahrhunderte entfaltet hat – zwischen den Rollen, die man ihr zuwies, und den Wegen, die sie sich selbst bahnte. Es ist eine Geschichte voller Brüche und Kontinuitäten, voller Widersprüche und Widerständigkeit. Und ja, manchmal auch voller Ironie – denn wer die Geschichte der Weiblichkeit ernst nimmt, muss über ihre Absurditäten auch mal schmunzeln können.
Die Macht der Blicke – und wer zurückschaut
Weiblichkeit ist ein Spiel der Blicke. Männer blicken – und Frauen werden angeblickt. So weit, so klassisch. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Frauen blicken zurück. Und in diesem Gegenschauen liegt eine stille Revolution.
Der männliche Blick will fixieren, definieren, kontrollieren. In der Kunstgeschichte manifestiert sich das in tausend Akten: Die liegende Venus, die schlafende Nymphe, die sich kämmende Schönheit – immer für den Betrachter arrangiert, immer verfügbar im Rahmen. Der Kunsthistoriker John Berger brachte es auf den Punkt: „Männer handeln, Frauen erscheinen.“ Der Mann ist Subjekt seiner Taten, die Frau Objekt der Betrachtung. Selbst wenn sie allein im Bild ist, ist da immer ein impliziter Zuschauer – und der ist männlich gedacht.
Der weibliche Blick dagegen will verstehen, gestalten, entkommen. Er ist der Blick, der nicht nur zurückschaut, sondern der das Sehen selbst in Frage stellt. Zwischen diesen Blicken entsteht ein Feld aus Sehnsucht und Macht, aus Angst und Freiheit. Es zieht sich durch die gesamte Kulturgeschichte – von der biblischen Eva bis zur Influencerin mit Ringlicht und Follower-Zahlen.
Und während früher der Blick des Mannes als gottgegeben galt, wird heute gern zurückgefilmt – mit Kommentar, Hashtag und ironischem Augenrollen. Das Smartphone ist zur Waffe geworden, mit der Frauen den Spieß umdrehen: Wer heute eine Frau auf der Straße belästigt, findet sich womöglich Stunden später auf TikTok wieder, zur Schau gestellt und kommentiert. Der Blick ist demokratisiert worden – und damit auch seine Macht.

Lilith, Eva und Maria – Drei Frauen, drei Welten
Die jüdische Mythologie kennt eine Frau, die in der Bibel kaum vorkommt, aber in der Kulturgeschichte nachhallt: Lilith, die erste Frau Adams. Sie wurde aus demselben Lehm geschaffen wie er, nicht aus seiner Rippe – also gleichwertig, nicht nachgeordnet. Doch genau das wird ihr zum Verhängnis. Als Adam verlangt, dass sie sich ihm beim Geschlechtsverkehr unterordnet, weigert sie sich. „Warum soll ich unten liegen? Ich bin dir gleich.“ Lilith spricht den Namen Gottes aus – eine verbotene, mächtige Tat – und fliegt davon. Sie wird zur Dämonin erklärt, zur Kindermörderin, zur Verführerin. Ihre Rebellion wird bestraft, indem man sie aus der Erzählung tilgt und zur Schreckgestalt umformt.

Eva bleibt. Sie ist das zweite Modell, geschaffen aus Adams Rippe – also abhängig, nachgeordnet, ergänzend. Aber Eva greift zur Frucht. Nicht aus Gier, sondern aus Neugier. Die Schlange verspricht ihr Erkenntnis, und Eva will wissen. Ihr Griff ist ein Akt der Erkenntnis, ein Aufbruch ins Denken, ins Bewusstsein. Jahrhundertelang wurde ihr das als Sünde ausgelegt – als Ungehorsam, als Hochmut, als Schwäche. Doch aus feministischer Perspektive ist Eva die erste Philosophin: Sie stellt Fragen, sie zweifelt, sie handelt. Dass diese Handlung als „Sündenfall“ gilt, sagt mehr über die Angst vor weiblicher Autonomie als über Eva selbst.

Und dann Maria. Sie ist die Antwort auf Eva – aber eine Antwort, die mit Schweigen erkauft wird. Sie ist rein, weil sie nicht begehrt. Sie ist heilig, weil sie leidet. Sie ist Mutter, aber keine Frau. Das Paradox der Jungfrauengeburt macht sie unerreichbar, zu einem Ideal, das keine lebende Frau je erfüllen kann. Maria ist die ultimative Projektion: Sie verkörpert alles, was Männer von Frauen wollen – Reinheit, Demut, bedingungslose Liebe – und nichts, was Frauen für sich selbst wollen könnten. Ihr Ja zur Verkündigung ist das leiseste Ja der Weltgeschichte – und es hallt bis heute nach in all den Erwartungen, die Frauen erfüllen sollen, ohne je nach ihrer Meinung gefragt worden zu sein.
Zwischen diesen drei Frauen spannt sich ein Panorama der Möglichkeiten: Rebellion, Erkenntnis, Hingabe. Lilith ist die Frau, die geht. Eva ist die Frau, die denkt. Maria ist die Frau, die bleibt – und schweigt. Wer heute noch glaubt, das Frauenbild sei ein statisches Ideal, hat wohl Lilith nie gegoogelt. Und wer es doch getan hat, weiß: Die gefährlichste Frau ist immer die, die aus der Erzählung gestrichen wurde.
Schönheit als Falle – und als Waffe
Helena von Troja ist schön. So schön, dass Männer Kriege führen. Tausend Schiffe stechen in See, weil Paris sie nach Troia entführt – oder weil sie mit ihm geflohen ist, je nachdem, wer erzählt. Doch in beiden Versionen bleibt sie dasselbe: ein Objekt. Ein Preis, kein Spieler. Ihre Schönheit ist Besitz, nicht Macht. Sie ist die Ursache des Krieges, aber nicht seine Akteurin. Männer entscheiden, Männer kämpfen, Männer sterben – und Helena wird zur Chiffre für all das, was Schönheit anrichten kann, wenn Männer sie begehren.
In der Kunst wird dieses Motiv endlos wiederholt: Frauen als stille Ikonen, als Venus auf der Muschel, als Mona Lisa mit geheimnisvollem Lächeln. Botticellis Venus steht nackt und makellos da, von Winden umweht – aber sie ist passiv, sie empfängt den Blick, statt ihn zu erwidern. Leonardo da Vincis Mona Lisa lächelt, und die Welt rätselt seit Jahrhunderten, was das Lächeln bedeutet. Doch niemand fragt, warum das überhaupt eine Frage ist. Das Lächeln ist geheimnisvoll, weil wir gewohnt sind, dass Frauen uns ihr Inneres zeigen, sich erklären, gefällig sind. Ein Lächeln, das nichts preisgibt, wird zur Provokation.
Und wehe, sie lächelt nicht – dann ist sie gleich „zickig“, „bitter“, „unnahbar“. Der öffentliche Raum ist voll von Männern, die Frauen auffordern zu lächeln, als sei das ihre Pflicht. Das Lächeln wird zur emotionalen Arbeit, die Frauen leisten müssen, um als sympathisch zu gelten. Schönheit ist nie nur Schönheit – sie ist immer auch Erwartung, Forderung, Kontrolle.
Doch dann kommt Salome. Sie tanzt. Und dieser Tanz ist kein passives Darbieten, sondern eine Verhandlung. König Herodes begehrt sie – die Stieftochter, die Unmündige. Sie nutzt sein Begehren. Sie tanzt, und im Gegenzug fordert sie den Kopf Johannes des Täufers auf einem Silbertablett. Ihre Schönheit ist nicht passiv, sondern aktiv. Sie ist Waffe, Währung, Macht. Salome bekommt, was sie will – und genau dafür wird sie bestraft. In der Kunst wird sie zur femme fatale, zur gefährlichen Verführerin, zur Dämonin. Oscar Wilde schreibt ihr ein Drama, Richard Strauss eine Oper – und beide Male ist sie faszinierend und furchtbar zugleich.
Die femme fatale ist das dunkle Gegenbild zur passiven Schönheit: Mata Hari, die Spionin. Carmen, die Zigeunerin. Cleopatra, die Königin. Sie alle nutzen ihre Attraktivität strategisch – und sie alle enden schlecht. Die Botschaft ist klar: Schönheit ist erlaubt, solange sie dient. Sobald sie herrscht, wird sie zur Bedrohung.
Und wer heute glaubt, das sei alles nur Geschichte, sollte mal einen Blick in die Kommentarspalten unter einem Selfie werfen. „Zu viel Make-up“, „Zu sexy“, „Zu brav“, „Zu künstlich“, „Zu natürlich“ – egal, was eine Frau tut, es gibt immer eine Meinung dazu. Schönheit ist eine Falle, die sich nie ganz öffnen lässt. Aber sie ist auch eine Waffe – eine, die Frauen heute zunehmend in die eigene Hand nehmen.

Der Wille zur Gestaltung – Frauen schreiben Geschichte
Weiblichkeit ist nicht nur das, was Männer in Frauen sehen. Sie ist auch das, was Frauen aus sich machen – gegen alle Widerstände, gegen alle Zuschreibungen. Die Geschichte ist voll von Frauen, die sich Raum genommen haben, wo ihnen keiner zugestanden wurde.

Hildegard von Bingen (1098–1179) schreibt, komponiert, heilt – und tut all das in einer Zeit, in der Frauen kaum öffentlich sprechen dürfen. Sie ist Äbtissin, Mystikerin, Naturforscherin. Ihre Visionen legitimiert sie als göttliche Eingebungen – ein kluger Schachzug, denn was Gott sagt, kann kein Mann anzweifeln. So schreibt sie medizinische Werke, theologische Traktate, komponiert geistliche Gesänge. Ihr Gestaltungswille ist leise, aber mächtig. Sie nimmt sich die Sprache der Männer – Latein, Theologie, Wissenschaft – und macht sie zu ihrer eigenen.
Dann, Jahrhunderte später, wird Mary Wollstonecraft (1759–1797) lauter. Sie fordert Rechte, Gleichheit, Bildung. Ihr Text „A Vindication of the Rights of Woman“ (1792) ist eine Kampfschrift: Frauen sind nicht von Natur aus minderwertig, sondern von der Gesellschaft kleingehalten. Bildung ist der Schlüssel zur Freiheit. Ihre Ideen sind radikal – und sie lebt radikal. Sie hat uneheliche Beziehungen, sie reist allein, sie schreibt unter ihrem eigenen Namen. Ihr Leben ist unkonventionell, ihr Tod tragisch – sie stirbt nach der Geburt ihrer Tochter Mary. Doch diese Tochter wird selbst zur Ikone.
Mary Shelley (1797–1851) schreibt mit 18 Jahren „Frankenstein“ – einen Roman, in dem ein Mann Leben erschafft, ohne Frau, ohne Geburt. Victor Frankenstein übernimmt die göttliche, die weibliche Rolle – und scheitert katastrophal. Das Monster, das er erschafft, wird zum Symbol für alles, was passiert, wenn Männer glauben, sie könnten ohne Frauen, ohne Natur, ohne Verantwortung Leben hervorbringen. Mary Shelley lässt einen Mann die ultimative Hybris begehen – und es ist eine Frau, die diese Geschichte erzählt. Bis heute wird „Frankenstein“ oft als Werk eines Mannes vermutet. Als ob nur Männer über Schöpfung nachdenken könnten.
George Sand (1804–1876) trägt Männerkleidung, raucht Zigarren, schreibt unter männlichem Pseudonym – und wird zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Sie hat Affären mit Chopin und anderen Künstlern, sie lebt frei, sie verdient ihr eigenes Geld. Ihr männlicher Name ist nicht nur Tarnung, sondern auch Strategie: Er ermöglicht ihr, ernst genommen zu werden. Doch zugleich zeigt er die Absurdität des Systems: Eine Frau muss sich als Mann ausgeben, um als Künstlerin akzeptiert zu werden.

Im 20. Jahrhundert wird Simone de Beauvoir (1908–1986) zur Stimme einer Generation. „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“ – dieser Satz aus „Das andere Geschlecht“ (1949) ist bis heute radikal. Weiblichkeit ist keine Natur, sondern eine Konstruktion. Frauen sind das „Andere“ – definiert im Gegensatz zum Mann, der als Norm gilt. Beauvoir analysiert Mythen, Literatur, Geschichte und zeigt: Überall wird die Frau als das Abweichende, das Ergänzende, das Zweitrangige dargestellt. Ihr Buch wird zum Manifest der zweiten Frauenbewegung. Und obwohl sie selbst in einer komplizierten, nicht immer gleichberechtigten Beziehung mit Jean-Paul Sartre lebt, gibt sie Millionen Frauen die Sprache, um ihre eigene Unfreiheit zu benennen.
Jede dieser Frauen nimmt sich Raum – gegen die Regeln, gegen die Erwartungen, gegen die Zuschreibungen. Und nein, sie haben dabei nicht immer gelächelt. Sie haben gekämpft, geschrieben, provoziert. Sie haben die Sprache der Macht gelernt und gegen ihre Erfinder gewendet.
Von der Aufklärung zur Moderne – Wie sich die Bilder wandeln
Zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert verschiebt sich das Bild der Frau radikal – und widersprüchlich. Die Aufklärung verspricht Vernunft und Gleichheit, schließt Frauen aber systematisch aus. Rousseau, der Prophet der Freiheit, schreibt in „Emile“, dass Frauen zur Gefälligkeit erzogen werden sollen. Kant, der Denker der Autonomie, hält Frauen für unfähig zu abstraktem Denken. Die großen Ideale der Moderne – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sind explizit männlich.
Doch im 19. Jahrhundert beginnt sich etwas zu verschieben. Die Frauenbewegung formiert sich: Suffragetten kämpfen für das Wahlrecht, Arbeiterinnen für bessere Bedingungen, Bildungsbürgerinnen für Universitätszugang. In England werfen Suffragetten Steine, zünden Briefkästen an, lassen sich verhaften und treten in Hungerstreiks. Emily Davison stirbt 1913, als sie sich beim Pferderennen vor das Pferd des Königs wirft – ein Akt des Protests, der zeigt, wie verzweifelt der Kampf ist. In Deutschland gründen Clara Zetkin und andere den „Internationalen Frauentag“. Frauen organisieren sich, sie vernetzen sich, sie werden hörbar.
Die Weimarer Republik bringt eine neue Frau hervor: die Angestellte, die Raucherin, die Bubikopf-Trägerin. Sie arbeitet, sie geht ins Kino, sie lebt in der Stadt. Sie ist modern, mobil, unabhängig. Doch diese Freiheit ist brüchig. Mit dem Nationalsozialismus wird die Frau wieder auf „Kinder, Küche, Kirche“ reduziert. Der weibliche Körper wird zum Gebärapparat für den Volkskörper. Frauen, die nicht ins Bild passen – Jüdinnen, Sinti und Roma, Kommunistinnen, Lesben, Behinderte – werden verfolgt, ermordet, ausgelöscht.
Nach 1945 wird das Frauenbild erneut konservativ. Die 1950er Jahre zelebrieren die Hausfrau: gepflegt, lächelnd, mit Schürze und Kuchen. Die Werbung zeigt strahlende Frauen, die sich über Waschmaschinen freuen. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Betty Friedan schreibt 1963 „The Feminine Mystique“ und benennt „das Problem ohne Namen“: die Unzufriedenheit der Vorstadthausfrau, die alles hat – und sich trotzdem leer fühlt.
Die 1960er und 70er Jahre bringen die zweite Frauenbewegung: laut, wütend, radikal. Frauen fordern nicht nur Gleichberechtigung, sondern Befreiung. Sie kämpfen für das Recht auf Abtreibung, auf sexuelle Selbstbestimmung, auf gleichen Lohn. „Das Private ist politisch“ wird zum Slogan – und zeigt, dass Macht nicht nur im Parlament sitzt, sondern auch im Schlafzimmer, in der Küche, im Körper. Alice Schwarzer gründet „Emma“, Frauen gehen auf die Straße, sie gründen Frauenhäuser, sie schreiben, filmen, malen.
Und heute? Heute gibt es nicht mehr „die“ Frauenbewegung, sondern viele: intersektionalen Feminismus, queeren Feminismus, Popfeminismus, Öko-Feminismus. Die Kämpfe sind komplexer geworden, weil die Fragen komplexer sind. Wie kann Feminismus antirassistisch sein? Wie inklusiv? Wie global? Zwischen Instagram-Feminismus und radikaler Gesellschaftskritik entsteht ein Spannungsfeld, das produktiv und anstrengend zugleich ist.
Weiblichkeit heute – zwischen Selfie und Selbstentwurf
Heute ist Weiblichkeit ein Projekt. Ein Instagram-Profil. Ein Podcast. Ein Business. Die männliche Begierde ist noch da – in Algorithmen, in Werbekampagnen, in Schönheitsidealen. Studien zeigen, dass Instagram-Filter die Gesichter von Frauen systematisch „femininer“ machen: größere Augen, kleinere Nasen, vollere Lippen. Die App entscheidet, was schön ist – und Millionen Frauen passen sich an. Die Beauty-Industrie macht Milliarden mit Produkten, die Unsicherheit schüren und dann Lösungen verkaufen: Anti-Aging, Cellulite-Creme, Wimpernserum. Der männliche Blick ist ins Digitale gewandert – und hat sich dort perfektioniert.
Aber er ist nicht mehr allein. Frauen gestalten ihre Bilder selbst. Sie inszenieren sich, sie widersprechen, sie provozieren. Die Influencerin ist nicht nur Objekt, sondern auch Regisseurin. Sie entscheidet, welcher Ausschnitt zu sehen ist, welcher Filter drüberliegt, welche Story sie erzählt. Sie kann sich hyperfeminin geben oder androgynen, sie kann politisch sein oder eskapistisch. Die Kontrolle über das eigene Bild ist größer geworden – aber auch der Druck, immer „on“ zu sein, immer optimiert, immer verfügbar.
Zwischen Feminismus und Popkultur entsteht eine neue Form von Weiblichkeit: widersprüchlich, laut, ironisch, verletzlich. Cardi B rappt über Sex und Geld – und wird dafür gefeiert und verdammt zugleich. Phoebe Waller-Bridge schreibt mit „Fleabag“ eine Serie über eine Frau, die egoistisch, verletzlich, sexuell und witzig ist – und durchbricht dabei alle Erwartungen an „sympathische“ Frauenfiguren. Chimamanda Ngozi Adichie schreibt über Feminismus und Rassismus, über Nigeria und den Westen, und zeigt, dass Feminismus global und lokal zugleich sein muss.
Die Frau von heute ist nicht mehr nur Muse oder Mutter – sie ist Autorin ihres eigenen Mythos. Und manchmal auch Regisseurin, Cutterin und Social-Media-Managerin in Personalunion. Sie ist CEO und Influencerin, Aktivistin und Entertainerin. Sie kann alles sein – und genau darin liegt die neue Falle: der Zwang zur Perfektion in allen Rollen zugleich.
Doch während Frauen heute ihre Bilder selbst gestalten, bleibt ein alter Reflex bestehen: der ungefragte männliche Blick, der Besitz beansprucht. Catcalling – das Rufen, Pfeifen, Kommentieren auf offener Straße – ist keine harmlose Floskel, sondern ein Echo jener Geschichte, in der Frauen als öffentliches Gut betrachtet wurden. Es ist der Versuch, die Kontrolle über den weiblichen Körper durch Sprache zurückzuerobern, ihn zu markieren, zu bewerten, zu beanspruchen. Der Ruf auf der Straße sagt: „Du gehörst nicht dir selbst, du gehörst meinem Blick.“
Doch die Reaktionen darauf zeigen, wie sehr sich das Verhältnis verschoben hat: Frauen filmen, posten, widersprechen. In Brüssel, Paris und New York gibt es Kampagnen gegen Catcalling, in Belgien und den Niederlanden ist es strafbar. Der Spieß dreht sich. Was früher als Kompliment galt, wird heute als Grenzüberscherung erkannt. Und in dieser Erkenntnis liegt ein Akt der Selbstermächtigung – ein modernes „Nein“, das nicht nur gehört, sondern auch gesehen wird. Und manchmal sogar viral geht.
Die digitale Öffentlichkeit ist ein zweischneidiges Schwert: Sie gibt Frauen eine Stimme – aber auch eine Angriffsfläche. Hass im Netz, Doxxing, Shitstorms treffen Frauen härter als Männer. Und sie treffen vor allem die, die laut sind, die widersprechen, die Raum einnehmen. Die Journalistin wird bedroht. Die Politikerin wird beleidigt. Die Aktivistin wird gestalkt. Der öffentliche Raum – ob analog oder digital – ist für Frauen noch immer kein sicherer Ort.
Zum Mitnehmen
Weiblichkeit ist kein Naturgesetz. Sie ist eine Erzählung – geschrieben in tausend Stimmen, gebrochen in tausend Spiegeln. Was einst als Sünde galt, kann heute Selbstbestimmung sein. Was früher Begierde weckte, kann heute Gestaltung bedeuten. Von Lilith, die geht, über Eva, die denkt, bis zu Maria, die schweigt – jede Epoche entwirft ihre Frauen neu. Und jede Frau entwirft sich selbst neu, zwischen den Bildern, die man ihr zuschreibt, und den Wegen, die sie sich bahnt.
Vielleicht liegt die größte Veränderung nicht in den Bildern, sondern in der Haltung: Frauen betrachten den Spiegel der Geschichte nicht mehr nur – sie halten ihn in der Hand. Und manchmal werfen sie ihn einfach weg, um sich selbst neu zu zeichnen. Ohne Rahmen, ohne Filter, ohne Erlaubnis.
Und wer weiß – vielleicht malen sie dabei auch gleich den Rahmen um. Oder sie hängen das Bild einfach ab und ersetzen es durch ein Video. Mit Ton, Kommentar und einem sehr bewussten „Gefällt mir nicht mehr“.
- Inspiration: Lektüre: Volker Milch: ‚Herrin des Lichts’, Theaterkritik von ‚La Traviata‘, in: Main-Spitze v. 4.11.2025, S. 8.
- Dieser Artikel wurde unter Verwendung mehrerer redaktioneller KI-Werkzeuge erstellt.
- Bild 1: https://marvinslibrary.de/philosophy/lilith/
- Bild 2: http://www.bibelarchiv-vegelahn.de/Bibel-Bilder/Paradies/Zuercher-1531-04.jpg
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- Bild 4: https://gruenes-licht.blogspot.com/2011/02/hildegard-von-bingen.html
- Bild 5: https://ar.inspiredpencil.com/pictures-2023/simone-de-beauvoir-portrait
Über den Autor:
Der Autor ist geprüfter psychologischer Berater (vfp), Heilpraktiker für Psychotherapie, hat ein postgraduiertes Studium in Psychologie zum Ph.D. (philosophy doctor) absolviert und erfolgreich an der Fortbildung zur Qualifikation ‚Psychosomatische Grundversorgung‘ der Landesärztekammer Hessen teilgenommen.
Er schreibt u.a. über die Übergänge zwischen Nähe und Autonomie, Bindung und Freiheit. Seine Texte verbinden psychologische Tiefe mit dem Blick auf den Menschen, der beides ist: verletzlich und fähig zur Wandlung.