Überblick
Was Joseph Goebbels als Herrschaftstechnik erfand – die emotionale Dauererregung durch Schlagzeilen, Ablenkung und Spektakel – lebt heute fort: in sozialen Medien, Schlagzeilenjournalismus und Trash-TV. Der Markt hat die Propaganda übernommen. Der Essay zeigt, wie sich Manipulation demokratisch tarnt – und warum Freiheit heute bedeutet, den eigenen Erregungspegel zu kontrollieren.
Wahrheit ist leise – und sie braucht Menschen, die still genug sind, um sie zu hören. Lesezeit: ca. 7 Minuten

Hintergrund
Was Joseph Goebbels einst als Werkzeug totalitärer Herrschaft erfand – die Dauererregung durch Schlagzeilen, Emotionen und Ablenkung – hat heute eine demokratische Maske. Nicht mehr der Staat, sondern der Markt hält die Massen in Bewegung. Trump, Trash-TV und soziale Medien wirken zusammen in einem System, das uns ständig informiert und gleichzeitig entmündigt. Zwischen den Schreien der Schlagzeilen und dem Dauerrauschen der Timeline droht der Sinn der Information verloren zu gehen. Der Historiker Götz Aly warnt: Die alten Muster sind zurück – subtiler, globaler, digital. Und wer nicht lernt, die Mechanismen der Erregung zu durchschauen, verliert die Freiheit, die er für selbstverständlich hält.
Worum es geht
Wir leben in einer Zeit, in der Information zur permanenten Erregung geworden ist. Was einst als demokratische Errungenschaft der Aufklärung galt – der freie Zugang zu Wissen, Meinung und Debatte – droht sich ins Gegenteil zu verkehren. Der Überfluss an Nachrichten, Bildern und Emotionen macht uns nicht klüger, sondern stumpfer.
Dieser Text will zeigen, wie alte Muster der Manipulation in neuer Gestalt zurückkehren: von Joseph Goebbels’ Propagandastrategien bis zu den Mechanismen unserer heutigen Mediengesellschaft. Und er fragt, wie wir den geistigen Raum der Freiheit verteidigen können – gegen den Lärm, der sie zu ersticken droht.
Massen und Mechanismen: Von Le Bon zu Goebbels
Bevor Joseph Goebbels seine Theorie der emotional gesteuerten Masse in die Praxis umsetzte, hatte sie Gustave Le Bon bereits seziert. In seinem Werk Psychologie des Foules (1895) entwarf Le Bon das Bild der Masse als eigenständiges, irrationales Wesen – ein „neuer Organismus“, in dem der Einzelne sein kritisches Denken verliert und sich einem kollektiven Affekt hingibt. Er beschrieb, wie Intelligenz sich in der Menge verflüchtigt, während Emotion, Nachahmung und Suggestion wachsen.
Goebbels übernahm diese Einsichten fast mechanisch. Er verstand, dass sich die Masse nicht durch Argumente, sondern durch Bilder, Symbole und Rituale lenken lässt. „Psychologie schlägt Logik“ – dieses unausgesprochene Prinzip zieht sich durch seine gesamte Kommunikationsstrategie. Wie Le Bon sah er in der Masse weniger ein denkendes Publikum als ein fühlendes Kollektiv, das Sehnsucht nach Einheit, Stärke und Bewegung verspürt.
Le Bons Gedanke, dass „die Masse denkt in Bildern“, wurde zum Grundsatz nationalsozialistischer Propaganda. Goebbels übersetzte ihn in eine moderne Ästhetik aus Spektakel und Emotion: Marschmusik, Fahnenmeer, Führerkult – Zeichen, die nicht erklären, sondern überwältigen sollten. Das Ziel war nicht Erkenntnis, sondern Erfahrung. Nicht Überzeugung, sondern Verschmelzung.
Die neue Masse: Vernetzt und verführbar
Heute, im digitalen Zeitalter, wiederholt sich dieses Prinzip – nur in anderer Verpackung. Die Masse existiert nicht mehr auf dem Platz, sondern auf der Plattform. Ihre Dynamik folgt denselben psychologischen Gesetzen: das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, die Ansteckung durch Emotion, die spirituelle Leere, die durch „Likes“ und Empörung gefüllt wird. Der Social-Media-Feed ist die Leinwand einer neuen Massenpsychologie, die Le Bon intuitiv vorausgeahnt hätte.
Le Bon sah voraus, dass moderne Gesellschaften zunehmend in kollektive Erregungszustände geraten würden. Damals waren es Demonstrationen, Kriegsbegeisterung, religiöse Ekstase; heute sind es Hashtags, Shitstorms, virale Trends. In beiden Fällen entsteht das, was der französische Denker „seelische Einheit der Masse“ nannte – ein Zustand, in dem der Einzelne sich von der Menge tragen lässt und das Denken an sie delegiert.
Das Digitale potenziert diesen Effekt. Algorithmen fördern Affekte, nicht Argumente; sie bevorzugen das Emotionalisierende, weil es Engagement erzeugt. Die Netzgemeinde wird damit zum idealen Experimentierfeld für jene Mechanismen, die Goebbels einst im Radio und auf Großkundgebungen perfektionierte. Die Plattform ersetzt das Propagandaministerium, doch das Prinzip bleibt gleich: Erregung als Form sozialer Kontrolle.
Le Bon warnte, dass eine emotional aufgeheizte Masse formbar sei „wie Metall in der Schmiede“ – ein Material, das jede Gestalt annimmt, solange die Flamme heiß genug bleibt. Auch heute wirkt diese Hitze: Information wird zum Funken, Empörung zur Flamme, Viralität zum Lufthauch, der sie nährt. Das Resultat ist eine Demokratie im Modus des Dauerrauschens – von innen heraus destabilisiert, nicht durch Zensur, sondern durch Überforderung.
Vom Führer zur Feedbackschleife
Der fundamentale Unterschied zwischen Goebbels’ und der heutigen Erregungsökonomie liegt weniger in der Methode als in der Machtquelle. Le Bon sah in der „Führerfigur“ denjenigen, der die Masse durch Suggestion bündelt. Im Zeitalter sozialer Medien hat sich dieser Führer diffundiert: Er ist kein Mensch mehr, sondern ein System – eine algorithmische Feedbackschleife, die kollektive Emotion auswertet und verstärkt.
Das, was einst von der Bühne der Parteiversammlung herab orchestriert wurde, geschieht nun dezentral, automatisiert, unpersönlich. Der Algorithmus versteht, was Goebbels ahnte: dass Menschen sich weniger nach Information als nach Resonanz sehnen. So wird die digitale Öffentlichkeit zur Bühne, auf der Millionen Individuen unbewusst jene psychologischen Rollen spielen, die Le Bon beschrieb – erregt, empfänglich, formbar.

Leiser Widerstand
Wenn Le Bon Recht hatte, dass der Einzelne in der Masse seine Autonomie verliert, dann ist Aufklärung heute ein Akt der Selbstverlangsamung. Widerstand beginnt im Rückzug – im bewussten Bruch mit den Mechanismen kollektiver Erregung. Bildung heißt, den inneren Beobachter zurückzugewinnen; Medienkompetenz heißt, die eigenen Affekte zu belauschen, bevor man sie teilt.
Die entscheidende Lehre aus Le Bon und Goebbels lautet nicht, dass Propaganda immer siegt, sondern dass sie nur dort triumphiert, wo die Einzelnen sich selbst vergessen. Die Masse, schrieb Le Bon, „hat nur die Macht, die ihr die Individuen geben, die zu ihr fliehen“. Im digitalen Zeitalter gilt das mehr denn je.
Die Erfindung der Dauererregung
Joseph Goebbels war kein gewöhnlicher Propagandist. Er war ein Psychologe der Macht, ein Meister im Spiel mit Emotionen. Nicht Argumente, sondern Affekte steuern die öffentliche Meinung – Angst, Wut, Stolz, Hoffnung. Goebbels nutzte diese Dynamik systematisch: eine Flut von Schlagzeilen, Meldungen, Halbwahrheiten, Gerüchten. Ziel war nicht Überzeugung, sondern Überwältigung.
„Erregung bis zur Ermüdung“ – so könnte man seine Methode zusammenfassen. Die Menschen sollten in einem Zustand permanenter emotionaler Aufladung gehalten werden, unfähig, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Wenn alles laut ist, verliert selbst das Wahre seine Stimme.
Goebbels’ Propaganda verband politische Agitation mit Unterhaltung. Kino, Sport, Rundfunk – sie alle dienten der kollektiven Gefühlssteuerung. Politik sollte sich anfühlen wie ein Spektakel, aufregend, erhebend, gemeinschaftsstiftend. Wer sich zugleich amüsiert und empört, verliert den inneren Abstand.
Das digitale Echo
Heute geschieht Ähnliches – nur ohne Propagandaministerium. Die Aufmerksamkeitsökonomie erzeugt Erregung nicht aus Ideologie, sondern aus Marktlogik. Alles, was Klicks bringt, wird verstärkt; alles, was Nachdenklichkeit verlangt, verschwindet.
Die sozialen Medien multiplizieren Affekte, bis aus Kommunikation Kollision wird. Die modernen Propagandisten heißen nicht mehr Goebbels, sondern Algorithmus. Sie entscheiden, was sichtbar wird – und was nicht. Empörung ist der Treibstoff, Aufmerksamkeit die Währung, Wahrheit der Kollateralschaden.
Auch der Journalismus steht unter Druck. Wer informieren will, muss mithalten im Wettrennen der Schlagzeilen. Aus Nachrichten werden Impulse, aus Analyse Alarm. Die Folge ist eine Gesellschaft, die alles weiß und doch nichts versteht.
Der warnende Blick von Götz Aly
Der Historiker Götz Aly mahnt, die Propagandamechanismen des 20. Jahrhunderts nicht als abgeschlossene Vergangenheit zu betrachten. Goebbels, so Aly, war kein Monster, sondern ein Meister der menschlichen Schwächen. Seine Strategien beruhten auf psychologischen Konstanten: der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, der Lust an der Empörung, der Faszination des Einfachen.
Aly warnt davor, dass diese Muster heute demokratisch verpackt zurückkehren – nicht als Diktatur, sondern als freiwillige Selbstmanipulation. Wenn Medien nur noch Gefühle bedienen, wenn Politik sich als Event inszeniert, wenn Journalismus zur Reizproduktion verkommt, dann leben wir in einem System, das frei wirkt, aber unbewusst denselben Mechanismen folgt.
Trash-TV: Die triviale Schule der Gefühlssteuerung
Ein besonders sichtbares Beispiel für diese Entwicklung findet sich im deutschen Privatfernsehen. Formate wie Der Bachelor, Love Island, Sommerhaus der Stars oder Dschungelcamp präsentieren sich als harmlose Unterhaltung – tatsächlich sind sie Laboratorien emotionaler Steuerung.
Sie operieren mit denselben psychologischen Mustern, die einst Goebbels perfektionierte: Überreizung, Vereinfachung, Wiederholung, Inszenierung von Konflikten. Im Zentrum steht das künstliche Drama: Menschen werden gegeneinander gestellt, ihre Emotionen gezielt provoziert, ihre Verletzlichkeit medial ausgeschlachtet.
Das Publikum erlebt eine Mischung aus Scham und Schadenfreude – und verlernt dabei, zwischen echter Emotion und dramaturgischer Simulation zu unterscheiden. Diese Dauerstimulation hat Folgen. Sie erzeugt eine kulturelle Grundstimmung aus Ironie, Zynismus und emotionaler Müdigkeit. Was bleibt, ist die Gewohnheit, alles nur noch als Spektakel wahrzunehmen – auch Politik, auch Leid, auch Wahrheit. Das Trash-TV ist damit nicht bloß ein Spiegel des Zeitgeistes, sondern ein stiller Erzieher. Es trainiert den Reflex, auf alles sofort zu reagieren, aber auf nichts mehr wirklich zu antworten.
Die neue Desinformation
Die heutige Desinformation ist weniger eine Lüge als eine Überforderung. Sie will gar nicht überzeugen – sie will verwirren. Jeder Fakt wird sofort relativiert, jede Wahrheit sofort unter Verdacht gestellt.
Das Ergebnis ist kein Glaube an Falsches, sondern der Verlust des Glaubens an irgendetwas. So entsteht ein Zustand kollektiver Gleichgültigkeit: Die Menschen fühlen sich informiert, aber sie handeln nicht mehr. Wahrheit verdunstet im Nebel der Meinungen.
Wege aus dem Rauschen
Die Antwort auf diese Entwicklung liegt nicht in Kontrolle, sondern in Bewusstsein. Aufklärung ist heute keine Frage des Wissens mehr, sondern des inneren Gleichgewichts. Wir müssen lernen, den Mechanismus der Erregung zu durchschauen – und ihn nicht reflexartig zu bedienen.
Medienkompetenz bedeutet nicht, alles zu glauben oder alles zu misstrauen, sondern unterscheiden zu können. Und Journalismus muss wieder den Mut finden, das Tempo zu drosseln: lieber genau als schnell, lieber komplex als bequem.
Auch die Plattformen tragen Verantwortung. Sie sind längst keine neutralen Bühnen mehr, sondern mächtige Akteure der Meinungsbildung. Wenn sie Empörung systematisch belohnen, tragen sie zur Erosion der öffentlichen Vernunft bei.
Zum Mitnehmen
Die Methoden der Manipulation haben sich verändert, ihre Psychologie nicht. Goebbels’ „Erregung bis zur Ermüdung“ lebt in der Logik unserer Aufmerksamkeitskultur fort – in sozialen Medien, Schlagzeilenjournalismus und Trash-TV. Der Unterschied: Heute wählen wir sie freiwillig.
Wer frei bleiben will, muss lernen, den eigenen Erregungspegel zu regulieren. Freiheit beginnt mit der Fähigkeit, auszuhalten, dass die Wahrheit manchmal leise spricht.
Die Demokratie wird nicht durch zu wenig Information gefährdet, sondern durch zu viel davon – wenn sie ihren Sinn verliert. Zwischen Goebbels’ orchestrierter Propaganda und der algorithmisch erzeugten Dauererregung unserer Zeit liegt kein Abgrund, sondern eine Entwicklung. Sie zu erkennen, ist der erste Schritt, sie zu durchbrechen.
Vielleicht beginnt Aufklärung heute nicht mehr mit großen Ideen, sondern mit kleinen Akten der Verweigerung: dem Ausschalten, dem Schweigen, dem bewussten Nicht-Mitmachen. Wer das Rauschen erkennt, hat schon einen Schritt aus ihm herausgetan. Wahrheit ist leise – und sie braucht Menschen, die still genug sind, um sie zu hören.
- Inspiration: morgendliche Gespräche mit H Bilder: Wikipedia
- Dieser Artikel wurde unter Verwendung mehrerer redaktioneller KI-Werkzeuge erstellt.
Über den Autor:
Der Autor ist geprüfter psychologischer Berater (vfp), Heilpraktiker für Psychotherapie, hat ein postgraduiertes Studium in Psychologie zum Ph.D. (philosophy doctor) absolviert und erfolgreich an der Fortbildung zur Qualifikation ‚Psychosomatische Grundversorgung‘ der Landesärztekammer Hessen teilgenommen.
Er schreibt u.a. über die Übergänge zwischen Nähe und Autonomie, Bindung und Freiheit. Seine Texte verbinden psychologische Tiefe mit dem Blick auf den Menschen, der beides ist: verletzlich und fähig zur Wandlung.