Ein Essay mit Viktor Frankl als innerem Wegweiser
Ich habe lange geglaubt, ich sei leicht. Anpassungsfähig. Pflichterfüllt. Stark. Man konnte sich auf mich verlassen – ich mich aber nicht. Ich war zuverlässig, hilfsbereit, unauffällig. Doch in stillen Momenten hörte ich etwas anderes: Ein leises Ziehen in der Brust, das sich nicht beruhigen ließ. Eine Art inneres Gewicht, das keinen Namen hatte, aber eine spürbare Schwere.

Ich funktionierte, aber ich lebte nicht. Ich hatte mein eigenes Inneres an den Rand gedrängt. Als ich irgendwann in der Therapie sagte: „Ich glaube, ich bin mein eigenes schweres Gepäck. Und ohne es bin ich nicht ich“, war mir noch nicht klar, wie wahr dieser Satz war. Erst das Wiederholen, das Hineinfühlen, das Aushalten und Durchdringen ließ mich begreifen: Dieses Gepäck bin nicht nur ich – es ist mein Werden. Es ist meine Geschichte, meine Angst, meine Fähigkeit zu tragen, zu erinnern, zu hoffen. Und es ist mein Auftrag.

Im Anfang war die Stille
Die ersten Stunden in der Therapie waren tastend. Meine Therapeutin stellte mir keine großen Fragen. Sie war einfach da. Präsenz als erstes Angebot. Sie fragte mich einmal, wie es sich anfühlt, hier zu sein. Ich antwortete, dass ich mich fremd fühlte. Daraufhin schlug sie vor, mein jüngeres Selbst auf einem imaginären leeren Stuhl Platz nehmen zu lassen. Ich wusste nicht, wie das gehen sollte. Doch dann kam ein Bild: Ein kleines Mädchen, das neben dem Telefon sitzt, wartet, schweigt, nichts sagt, sich nichts traut. Ich sah sie – mich – und zum ersten Mal sprach ich zu ihr: „Ich weiß, du bist da. Es tut mir leid, dass ich dich so lange nicht gehört habe.“ Es war ein Wendepunkt. Kein dramatischer. Nur ein zarter Beginn.

Die Wut, die ich nicht spüren durfte.
Wenig später hatte ich einen Traum. Ich rannte durch ein brennendes Haus und kam am Ende an einen zerbrochenen Spiegel. Meine Therapeutin lud mich ein, in die Bilder zu gehen – nicht analytisch, sondern poetisch, archetypisch. Das Haus war mein Inneres. Das Feuer war kein Feind. Es reinigte. Der Spiegel, der zerbrach, war das falsche Bild, das ich von mir getragen hatte. In einer Imagination kehrte ich in eine Kindheitsszene zurück, in der ich meine Wut schluckte. Diesmal durfte ich sie fühlen. Ich sagte dem Schatten meines Vaters: „Ich war wütend. Und ich hatte recht damit.“ Und ich spürte, wie sehr mir dieser Satz gefehlt hatte.
Frankls leiser Kompass
Als die ersten Brüche sichtbar wurden, kam die Leere. Ich fragte: Wozu? Wofür das alles? Ich wusste nicht, worauf hin ich lebte. Meine Therapeutin, vertraut mit Frankls existenzanalytischem Ansatz, stellte keine Lösungen bereit. Sie fragte, wie ich auf das Leben antworten wolle. Nicht warum ich litt – sondern wie ich im Leiden aufrecht bleiben konnte. Ich begann, jeden Abend kleine Spuren von Sinn zu suchen. Nicht groß, nicht tief. Nur wahr. Ein Lächeln meines Sohnes. Der Moment, in dem ich „Nein“ sagte, ohne mich zu rechtfertigen. Frankl sagte, der Mensch sei nicht frei von Bedingungen, aber frei zur Stellungnahme. Ich begann, meine Geschichte nicht mehr als Belastung zu lesen, sondern als Aufgabe. Das Gepäck blieb. Aber es wurde tragbar, weil ich mir sagte: Ich trage es, weil ich darf. Nicht nur, weil ich muss.

Die alten Plätze in der Familie
In einer systemischen Aufstellung stellte ich meine Familie im Raum auf. Mein Vater stand weit weg. Meine Mutter war übergroß, ich klein dazwischen. Und plötzlich wurde sichtbar: Ich trug etwas, das nicht zu mir gehörte. Ich stand auf einem Platz, der nicht meiner war. Ich war das emotionale Ersatzrad meiner Mutter. Die Therapeutin sprach es aus: „Geben Sie zurück, was nicht Ihres ist – in Achtung, aber mit Klarheit.“ Ich drehte mich in der Imagination zu meiner Mutter und sagte: „Ich bin dein Kind, nicht dein Trost. Ich gebe dir deine Angst zurück.“ Es war keine Loslösung in Kälte. Es war ein Abschied in Würde.

Die Angst vor Nähe
Ich sprach oft von meinem Mann. Von seiner Stille. Von meinem Versuch, Nähe zu erarbeiten, als sei sie eine Belohnung. In einer Bindungsanalyse wurde mir klar: Ich war daran gewöhnt, dass Liebe verdient werden muss. Dass sie ein Produkt ist – nicht ein Zustand. Die Therapeutin ließ mich in einer Imagination erfahren, wie es sich anfühlt, gehalten zu werden, ohne zu leisten. Ich weinte danach wie ein Kind. Und zum ersten Mal verstand ich den Unterschied zwischen Bedürftigkeit und Würde.
Die Rückkehr zu mir
Ich begann wieder zu schreiben. Kleine Texte. Unfertige Sätze. Gedichte, die nicht gut sein mussten. Ich ging spazieren, nicht um Kalorien zu verbrennen, sondern um wieder einen Takt zu spüren. Ich hörte Musik, die mir nicht „gefallen“ musste. Ich las Rilke. Und Viktor Frankl. Und ich spürte: Es ist nicht meine Aufgabe, leicht zu werden. Es ist meine Aufgabe, tragfähig zu sein.

Und jetzt?
Ich bin noch immer ich. Ich bin nicht geheilt, aber heiler. Nicht frei, aber freier. Ich trage noch immer mein Gepäck. Aber ich weiß jetzt: Es ist nicht mein Feind. Es ist meine Geschichte. Ich bin es. Und ich bin es wert, getragen zu werden.
Denn: Du bist dein eigenes schweres Gepäck.
Und ohne es – bist du nicht du.
- Inspiration: Lektüre Katrin Zeug und Andreas Lebert: ‚Kopf Hoch. Ein Gespräch mit dem Menschenfreund Guido Maria Kretschmer‘, in: Zeit Wissen, Nr. 04 Juli / August 2025, S. 30 ff.
- Texterstellung:KI-unterstützt. ChatGPT, Copilot, Claude ai.
- Bilder: KI-generiert: Copilot.