Worum es geht

Catfishing bedeutet, sich online als jemand anderes auszugeben, um andere zu täuschen. Betroffene leben oft in einer Traumwelt, die sie nicht verlassen wollen. Die Täter nutzen gezielt Schwächen und Sehnsüchte aus. Online-Dating ist aufregend – aber auch riskant.

Die Illusion der perfekten Liebe

Online-Dating kann aufregend sein: Man schreibt mit jemandem, der charmant, aufmerksam und scheinbar perfekt ist. Doch manchmal steckt hinter dem Profilbild und den liebevollen Nachrichten kein echter Mensch, sondern ein sogenannter Catfish – jemand, der sich eine falsche Identität zugelegt hat. Die Gründe dafür sind vielfältig: Manche wollen Geld, andere Aufmerksamkeit, manche flüchten vor ihrem eigenen Leben und bauen sich online eine neue Realität. Was als harmloser Chat beginnt, entwickelt sich oft zu einer intensiven emotionalen Bindung, die auf Sand gebaut ist. Die Täter sind Meister darin, genau das zu geben, was ihr Gegenüber braucht – Bestätigung, Aufmerksamkeit, das Gefühl, gesehen zu werden. Sie studieren die Profile ihrer Opfer, passen ihre Geschichten an und erschaffen eine Persona, die wie maßgeschneidert wirkt.

Catfishing: Menschen erschaffen im Internet eine falsche Identität
Catfishing: Menschen erschaffen im Internet eine falsche Identität

Die Geschichte von Anna (52)

Es beginnt oft ganz unscheinbar. Anna, 52, frisch geschieden, meldet sich auf einer Dating-Plattform an. Sie ist neugierig, ein wenig unsicher, aber auch voller Hoffnung. Schon nach wenigen Tagen schreibt ihr „Michael“, ein angeblich erfolgreicher Ingenieur, der gerade auf einer Baustelle im Ausland arbeitet. Er ist charmant, aufmerksam, schreibt jeden Morgen „Guten Morgen, meine Schöne“ und jeden Abend „Träum süß“. Anna fühlt sich gesehen, gewollt, geliebt. Nach Jahren der Einsamkeit ist das wie ein warmer Regen. Sie erzählt ihrer besten Freundin von ihm, zeigt ihr die Nachrichten, schwärmt von seiner Sensibilität. Die Freundin ist skeptisch, aber Anna winkt ab – sie sei einfach zu vorsichtig, zu misstrauisch.

Doch bald häufen sich die Ausreden. Michael könne nicht telefonieren, weil die Leitung im Ausland so schlecht sei. Die Kamera seines Laptops sei kaputt. Ein Treffen sei geplant, aber dann kommt ein Unfall dazwischen. Schließlich bittet er um Geld – für ein Flugticket, für Medikamente, für ein angebliches Visum. Anna überweist, weil sie glaubt, dass es nur noch dieser eine Schritt ist, bis sie endlich zusammen sein können. Zwei Jahre lang hält sie an dieser Beziehung fest, ohne ihn je gesehen zu haben. Ihre Freundin zieht sich zurück, die Familie macht sich Sorgen, aber Anna verteidigt Michael vehement. Sie hat ihm mittlerweile mehrere Tausend Euro geschickt, hat ihren Urlaub nach seinen angeblichen Plänen ausgerichtet, hat nachts wach gelegen und auf seine Nachrichten gewartet.

Erst als ihr Sohn zufällig entdeckt, dass die Fotos von „Michael“ von einem spanischen Fitness-Model stammen, bricht Annas Welt zusammen. Sie konfrontiert ihn, und plötzlich ist er verschwunden – Profil gelöscht, Nummer nicht mehr erreichbar. Zurück bleibt eine Frau, die nicht nur Geld verloren hat, sondern auch ihr Vertrauen in die eigene Urteilskraft. Sie schämt sich so sehr, dass sie sich wochenlang nicht traut, ihrer Familie unter die Augen zu treten.

Genau das ist Catfishing: Menschen erschaffen im Internet eine falsche Identität, um andere zu täuschen. Dr. Phil hat die typischen Muster der Täter die „Bösen Acht“ genannt – Lügen über Krankheiten, technische Probleme, berufliche Ausreden, dramatische Familiengeschichten, finanzielle Notlagen, falsche Fotos, verschobene Treffen und übertriebene Liebesbekundungen.                                                                                                                       

Auf der anderen Seite stehen die „Süßen Sechzehn“ – Eigenschaften der Opfer: Einsamkeit, Sehnsucht nach Liebe, geringes Selbstwertgefühl, Angst vor dem Alleinsein, Hoffnung auf Rettung aus dem Alltag, mangelnde Erfahrung mit Online-Dating, der Wunsch an das Gute zu glauben und die Bereitschaft, über Unstimmigkeiten hinwegzusehen.

Im Gehirn der Betroffenen passiert dabei etwas sehr Menschliches: Jede Nachricht löst Glücksgefühle aus, Dopamin wird ausgeschüttet, man fühlt sich gebraucht. Viele spüren tief im Inneren, dass etwas nicht stimmt, aber sie wollen den Traum nicht verlieren. „Living in a dream and frightened to face reality“ – in einer Traumwelt leben und Angst haben, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Manche halten über Jahre an einer Beziehung fest, akzeptieren Ausreden wie „Ich bin im Ausland“ oder „Meine Kamera ist kaputt“ und geben sich mit virtueller Nähe zufrieden, manchmal sogar mit erotischen Chats oder intimen Gesprächen. Sie teilen ihre tiefsten Ängste, Sehnsüchte und Träume mit jemandem, der in Wirklichkeit ein Fremder ist – oder mehrere Fremde, die sich eine Tastatur teilen.

Die Mechanismen der Manipulation

Die Täter sind oft psychologisch geschickt. Sie nutzen eine Technik namens „Love Bombing“ – sie überschütten ihre Opfer zu Beginn mit Aufmerksamkeit, Komplimenten und Zuneigung. Das erzeugt eine intensive emotionale Bindung in kürzester Zeit. Dann wechseln sie zu einem Muster aus Nähe und Distanz: Sie sind mal sehr präsent, dann plötzlich schwer erreichbar. Diese Unberechenbarkeit hält die Opfer in einem Zustand der Anspannung und macht sie noch abhängiger von den positiven Momenten. Es ist eine Form der intermittierenden Verstärkung, die aus der Verhaltenspsychologie bekannt ist – sie bindet Menschen stärker als konstante Belohnung.

Die Täter spiegeln auch gezielt die Wünsche und Werte ihrer Opfer. Wenn jemand schreibt, dass Familie wichtig ist, wird der Catfish plötzlich zum fürsorglichen Familienmenschen. Wenn jemand Abenteuerlust erwähnt, erfindet der Täter spannende Reisegeschichten. Diese Technik nennt man „Mirroring“, und sie schafft eine Illusion tiefer Übereinstimmung, die in Wirklichkeit nur eine geschickte Manipulation ist.

Zudem schaffen die Täter oft künstliche Dringlichkeit und Drama. Es gibt immer eine Krise, die gelöst werden muss, immer einen Grund, warum gerade jetzt Unterstützung nötig ist. Das hält die Opfer in einem emotionalen Ausnahmezustand, in dem rationales Denken schwerfällt. Die ständigen Krisen schweißen scheinbar zusammen – man fühlt sich als Team, als würde man gemeinsam Schwierigkeiten überwinden, obwohl man in Wirklichkeit in einem einseitigen Drama gefangen ist.

Die Täter sind organisiert

Die organisierten Gruppen, wie die berüchtigten Nigerian Boys, „nigerianischen Jungs“,  und ihre Nachfolger, arbeiten erschreckend professionell. Sie haben Handbücher mit Skripten für verschiedene Situationen, Datenbanken mit gestohlenen Fotos und sogar Schulungen für neue Mitglieder. Sie tauschen sich in geschlossenen Foren aus, teilen erfolgreiche Strategien und warnen sich gegenseitig vor misstrauischen Opfern oder Strafverfolgungsbehörden. Manche dieser Gruppen haben sich auf bestimmte Zielgruppen spezialisiert – ältere Frauen, geschiedene Männer, Menschen mit Behinderungen. Sie wissen genau, welche Knöpfe sie drücken müssen.

Andere Täter sind Einzelne, die selbst in einer Krise stecken, die online ein Drama inszenieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Manche entwickeln sogar echte Gefühle für ihre Opfer, obwohl alles auf einer Lüge basiert. Sie erzählen später, dass sie nicht wussten, wie sie aus der Situation herauskommen sollten, dass die Lüge immer größer wurde und sie irgendwann selbst gefangen waren. Einige bereuen ihr Handeln zutiefst, andere sehen sich als Opfer der Umstände. Doch egal, welche Motive dahinterstecken – das Ergebnis ist immer dasselbe: Menschen werden verletzt, betrogen und ihrer Würde beraubt. Auch auf der Seite der Täter gibt es also Drama, Einsamkeit und Verstrickungen – aber das entschuldigt nicht, dass sie andere Menschen verletzen.

Wenn Träume zerplatzen

Für die Opfer bedeutet es am Ende oft „shattered dreams“ – zerplatzte Träume. Eine Fantasie wurde für Fakten gehalten, und die Enttäuschung ist tief. Manche verlieren nicht nur Geld, sondern auch ihr Vertrauen in andere Menschen. Sie fragen sich: Habe ich das nicht gespürt? Wollte ich es nicht sehen? Die Antwort ist oft: Ja, irgendwo wussten sie es. Aber sie wollten aus ihrem Traum nicht geweckt werden. Diese Erkenntnis kann lähmend sein. Man gibt sich selbst die Schuld, fühlt sich als Versager, als Schwächling, als jemand, der es nicht verdient hat, geliebt zu werden.

Doch diese Selbstverurteilung ist nicht gerechtfertigt. Catfishing-Täter sind Experten in dem, was sie tun. Sie nutzen grundlegende menschliche Bedürfnisse aus – den Wunsch nach Verbindung, nach Bedeutung, nach Liebe. Das macht ihre Opfer nicht schwach, sondern menschlich. Es ist keine Schande, geliebt werden zu wollen. Es ist keine Dummheit, an das Gute in Menschen zu glauben. Die Scham sollte bei denen liegen, die diese Bedürfnisse missbrauchen, nicht bei denen, die sie haben.

Sechs Warnzeichen, Red Flags, rote Flaggen, die man kennen sollte

Wer sich im Internet auf Partnersuche begibt, sollte ein paar Dinge im Hinterkopf behalten. Ein erstes Warnsignal ist, wenn das Gegenüber immer wieder Ausreden findet, warum ein Treffen nicht klappt – sei es eine angebliche Krankheit, ein Unfall oder beruflicher Stress. Nach ein oder zwei Absagen ist das noch verständlich, aber wenn es zum Muster wird, sollte man hellhörig werden.

Ebenso auffällig ist, wenn Videotelefonate oder auch nur ein einfaches Telefonat ständig vermieden werden, oft mit der Begründung, die Kamera sei kaputt oder die Leitung zu schlecht. In Zeiten von Smartphones und stabilen Internetverbindungen gibt es kaum noch triftige Gründe, warum ein Videoanruf über Monate hinweg nicht möglich sein sollte.

Misstrauisch sollte man auch werden, wenn das Profil zu perfekt wirkt, mit makellosen Fotos und einer Biografie, die wie aus einem Roman klingt. Echte Menschen haben Ecken und Kanten, durchschnittliche Fotos und normale Lebensgeschichten. Wenn jemand aussieht wie ein Model und lebt wie ein Filmheld, stimmt meistens etwas nicht.

Spätestens dann, wenn Geld ins Spiel kommt – sei es für ein Flugticket, ein Visum oder eine medizinische Notlage – sollte man konsequent auf Abstand gehen, denn echte Liebe kostet kein Geld. Niemand, der ernsthaft an einer Beziehung interessiert ist, würde sein Gegenüber in eine finanzielle Zwangslage bringen. Und niemand, der wirklich in Not ist, würde von jemandem Geld verlangen, den er noch nie persönlich getroffen hat.

Auch übertriebene Liebesbekundungen nach sehr kurzer Zeit sind ein Hinweis darauf, dass hier jemand Gefühle schneller aufbaut, als es im echten Leben möglich wäre. Sätze wie „Du bist die Liebe meines Lebens“ nach einer Woche Chatten oder „Ich kann nicht ohne dich leben“ nach zwei Wochen sind keine romantischen Gesten, sondern Manipulationstechniken.

Und schließlich gilt: Wer sich selbst immer wieder dabei ertappt, dass er Ausreden des anderen schönredet, sollte innehalten und sich fragen, ob er nicht gerade dabei ist, eine Fantasie für Realität zu halten. Wenn man mehr Zeit damit verbringt, die Ungereimtheiten zu erklären, als die Beziehung zu genießen, läuft etwas grundlegend falsch.

Hoffnung und Heilung

Catfishing ist kein Randphänomen, sondern ein Spiegel menschlicher Sehnsüchte. Die Opfer sind keine Dummen, sondern Menschen, die lieben wollen. Die Täter sind nicht immer nur geldgierig, aber sie handeln verantwortungslos. Wichtig ist, Warnzeichen zu erkennen, sich nicht zu schämen, wenn man betroffen ist, und den Mut zu haben, die Wahrheit zuzulassen. Denn nur so kann man aus der Illusion aussteigen – und echte Nähe finden.

Es gibt ein Leben nach Catfishing. Viele Betroffene finden Wege, das Erlebte zu integrieren und gestärkt daraus hervorzugehen. Sie lernen, ihre Grenzen besser zu wahren, ihre Intuition wieder zu schätzen und echte Verbindungen von illusorischen zu unterscheiden. Manche engagieren sich in Aufklärungsarbeit, teilen ihre Geschichten, um andere zu warnen. Andere nutzen die Erfahrung als Anstoß für persönliches Wachstum und Selbstreflexion. Die Narben bleiben, aber sie müssen nicht das ganze Leben bestimmen.

Und manchmal ist der erste Schritt raus aus dem Traum der mutigste von allen. Es braucht Kraft, sich der Realität zu stellen, die Illusion loszulassen und zu akzeptieren, dass die Beziehung, in die man so viel investiert hat, nie echt war. Aber genau dieser Schritt ist auch der Anfang von Heilung. Er öffnet die Tür zu echten Beziehungen, zu ehrlicher Nähe, zu einem Leben, das nicht auf Lügen gebaut ist. Und am Ende ist genau das, was wir alle verdienen – gesehen zu werden, wie wir wirklich sind, und geliebt zu werden, nicht trotz, sondern mit unseren Unvollkommenheiten.

  • Inspiration:  YouTube: ‚To Catch A Catfish‘:  in: An Online Dating Predator Exposed/ Full Episode/Dr. Phil, v. 4.10.2024.
  • Bild: KI-generiert: ChatGPT
  • Dieser Artikel wurde unter Verwendung mehrerer redaktioneller KI-Werkzeuge erstellt.
  • Lesezeit ca. 7 Minuten

Über den Autor:

Der Autor ist geprüfter psychologischer Berater (vfp), Heilpraktiker für Psychotherapie, hat ein postgraduiertes Studium in Psychologie zum Ph.D. (philosophy doctor) absolviert und erfolgreich an der Fortbildung zur Qualifikation ‚Psychosomatische Grundversorgung‘ der Landesärztekammer Hessen teilgenommen.

Er schreibt u.a. über die Übergänge zwischen Nähe und Autonomie, Bindung und Freiheit. Seine Texte verbinden psychologische Tiefe mit dem Blick auf den Menschen, der beides ist: verletzlich und fähig zur Wandlung.