Prognosen sind häufig sehr ungenau, insbesondere dann, wenn sie Aussagen über die Zukunft beinhalten.

Ein Abgesang auf das große Geschäft mit der Apokalypse

Es ist wieder so weit: Die Welt geht unter. Mal wieder. Schon wieder. Immer noch. Diesmal aber wirklich – das sagen jedenfalls dieselben Leute, die das auch letztes Jahr gesagt haben. Und vor fünf Jahren. Und zur Jahrtausendwende. Und im Mittelalter. Und bei jeder Sonnenfinsternis, jeden Neumond, jedes Mal, wenn ein Vulkan niest oder ein Gletscher hustet. Oder wenn Taylor Swift ein neues Album ankündigt.

Man könnte lachen – wenn es nicht so traurig wäre, wie viele Menschen sich freiwillig vor den Karren dieser Apokalypseunternehmer spannen lassen. Denn der moderne Weltuntergang ist keine göttliche Strafe mehr. Er ist ein Geschäftsmodell. Ein ideologisches Werbebanner. Ein Medienereignis. Eine Spendenkampagne. Eine Einladung zum kollektiven Nervenzusammenbruch mit Rabattcode. Inklusive Premium-Mitgliedschaft für den VIP-Untergang mit Champagner-Service auf der sinkenden Titanic.

Die Propheten der Panik – Ein alter Beruf mit Zukunft (und Netflix-Deal)

Schon in der Antike wusste man: Angst verkauft sich gut. Die Welt endet morgen? Schnell, spendet noch heute euer letztes Brot dem Tempel. Der Himmel fällt herab? Dann kauft jetzt diesen Schutzamulett-Rabattcode bei Prophet Paulus & Co. – mit 30 Tage Geld-zurück-Garantie (falls die Apokalypse verschoben wird).

Angst verkauft sich gut
Angst verkauft sich gut

Die Bibel? Eine einzige Netflix-Serie des Grauens, Staffel eins bis unendlich. Pest, Feuer, Zorn, Schwefel – und wehe, du glaubst nicht daran. Die Apokalypse-Propheten des 21. Jahrhunderts haben übrigens längst entdeckt, dass ein dramatischer TED-Talk mehr Reichweite generiert als tausend Sündenbock-Verbrennungen. „In 12 Minuten erkläre ich euch, warum ihr alle sterben werdet – aber vorher: Dieser Vortrag wird gesponsert von NordVPN.“

Wer es wagte, ruhig zu bleiben, wurde verbrannt – oder wenigstens gecancelt. Die Apokalypse als Waffe gegen den freien Gedanken: Wer keine Angst hat, ist verdächtig. Wer Statistiken zitiert, ist ein Leugner. Wer nach Belegen fragt, ein Komplize des Untergangs.

Im Mittelalter konnte man das Jüngste Gericht praktisch wöchentlich buchen – heute gibt es dafür Abo-Modelle. Die Kirche kassierte mit jeder Indulgenz, moderne Panik-Unternehmer kassieren mit jedem Klick, Like und Weiterleitung. Später kam dann Nostradamus, der mit seiner großartigen Gabe glänzte, alles so schwammig zu formulieren, dass seine „Prophezeiungen“ immer und nie zugleich stimmten – ein Talent, das heute jeder Verschwörungstheoretiker auf YouTube perfektioniert hat.

Jahr 2000: Wenn Computer sterben und Experten überleben

Erinnern wir uns an das goldene Zeitalter der Millenniumsparanoia: Y2K. Die Welt war digital geworden, und weil niemand in den 1970ern daran gedacht hatte, dass das Jahr auch einmal 2000 heißen könnte, sollte nun alles explodieren. Flugzeuge abstürzen, Atomkraftwerke durchdrehen, Kühlschränke anfangen zu evangelisieren.

Millenniumsparanoia: Y2K
Millenniumsparanoia: Y2K

Plötzlich krochen sie aus allen Löchern: Die IT-Experten des Weltuntergangs. Männer mittleren Alters mit Bärten und ernsten Gesichtern, die endlich ihre große Stunde gekommen sahen. „Ich habe schon 1987 vor diesem Problem gewarnt!“, riefen sie triumphierend und verkauften überteuerte Notfall-Software wie warme Semmeln. Ganze Beratungsfirmen lebten plötzlich wie Parasiten vom kollektiven Endzeitbangen, komplett mit PowerPoint-Präsentationen voller Balkendiagramme, die den nahenden Kollaps „wissenschaftlich“ belegten.

Milliarden wurden „investiert“, nur um dann am 1. Januar 2000… nichts. Rein gar nichts. Keine Trümmer, keine Feuerbälle, nicht einmal ein überkochender Wasserkocher. Die Experten? Schulterzucken. „Sehen Sie? Unsere Maßnahmen haben gewirkt!“ Ein gigantischer Erfolg – für die Berater, Verkäufer, Redakteure und Apokalypsen-Hamsterkäufer. Die Wahrheit war profaner: Die meisten Systeme hätten auch ohne die teure Panik-Industrie problemlos funktioniert.

Der Klima-Kollaps, die Pandemie, der KI-Overlord – die neue Dreifaltigkeit der Endzeit

Natürlich haben wir auch heute unsere zeitgemäßen Weltuntergänge, alle mit eigenen Influencern, Merchandise und Patreon-Accounts. Der ökologische Totalschaden, bei dem die Menschheit wahlweise verbrennt, ertrinkt oder von militanten Veganern in Umerziehungslagern missioniert wird. Hier tummeln sich besonders gerne junge Menschen mit teuren Smartphones, die das Ende der Konsumgesellschaft predigen – direkt vor dem Apple Store.

Die Pandemie, deren mediale Nebenwirkungen schlimmer waren als das Virus selbst. Plötzlich waren alle Virologen – oder zumindest Hobby-Epidemiologen mit sehr starken Meinungen über Exponentialkurven, die sie vor 2020 für ein Shampoo gehalten hätten. Die einen verkauften uns den Weltuntergang durch Viren, die anderen durch Impfungen. Hauptsache, die Welt geht unter – die Details sind Verhandlungssache.

Und nicht zu vergessen: die künstliche Intelligenz, die – wenn man Elon Musk, Max Tegmark oder einem besonders gelangweilten Feuilletonisten glauben darf – spätestens übermorgen die Weltherrschaft übernimmt und unsere Haushaltsroboter in sadistische Sklaventreiber verwandelt. Diese KI-Apokalyptiker sind besonders charmant: Sie nutzen hochmoderne Technologie, um vor der Gefahr hochmoderner Technologie zu warnen. Ihre Bücher werden von Algorithmen beworben, ihre Vorträge von KI-Systemen transkribiert, und ihre Tweets von Bots verstärkt. Die Ironie ist so dick, man könnte sie mit einem Löffel essen.

Das Gemeinsame? Jeder dieser Weltuntergänge ist eine Steilvorlage für emotionale Erpressung. Kauf dieses Produkt, wähle jene Partei, folge diesem Influencer, glaube an jenes Dogma – sonst stirbt der Planet. Oder die Menschheit. Oder wenigstens deine moralische Unschuld. Die moderne Apokalypse kommt nicht mit Posaunen und Engeln, sondern mit Newsletter-Abonnements und Cookie-Bannern.

Die politische Apokalypse: „Wenn der/die gewinnt, ist alles vorbei!“ (Sponsored by Democracy™)

Politisch ist der Weltuntergang längst Alltag. Wahlkampf ohne Untergangsszenario? Undenkbar. Da wird nicht mehr gestritten, da wird geweint, geschrien, gewettert – vorzugsweise vor dramatischen Hintergründen und mit perfekt ausgeleuchteten Tränen. „Wenn die Rechten / Linken/ Grünen/ Kapitalisten/ Sozialisten / Zentrumspartei an die Macht kommen, ist alles verloren!“

Die Apokalypse als politische Rhetorik ist die Atombombe des Diskurses
Die Apokalypse als politische Rhetorik ist die Atombombe des Diskurses

Besonders lustig: Jede Seite behauptet gleichzeitig, sie sei die einzige, die die Demokratie retten kann – und zwar, indem man der anderen Seite das Reden verbietet. Die Apokalypse als politische Rhetorik ist die Atombombe des Diskurses: Sie löscht alles aus – Differenzierung, Argumente, Nachdenken, und nebenbei auch noch die letzten Reste gesunden Menschenverstands.

Die Politapokalyptiker haben übrigens eine besondere Begabung: Sie können aus jedem Wahlergebnis das Ende der Welt herauslesen. Gewinnt ihre Partei, dann nur knapp – der Untergang ist aufgeschoben, nicht aufgehoben. Verliert sie, dann war es das sowieso. Es ist wie Horoskope für Pessimisten.

Warum wir den Weltuntergang so lieben (und warum er uns liebt)

Warum funktioniert das alles so gut? Warum springen Menschen immer wieder auf diese toxischen Karussells der Angst? Warum bezahlen sie sogar noch Eintritt dafür?

Weil der Weltuntergang einfach ist. Er braucht keine Lösung, nur Schuldige. Er bietet keine Hoffnung, aber Richtung: Da vorne ist der Abgrund. Geht bitte alle in Formation! Er ist das ultimative Clickbait: „Du wirst nicht glauben, wie die Welt untergeht (Nummer 7 wird dich schockieren)!“

Und ganz nebenbei gibt er dem eigenen Leben eine theatralische Größe. Wer in einem untergehenden Zeitalter lebt, kann sich wichtig fühlen – auch ohne je etwas Relevantes getan zu haben. Endlich sind wir die Hauptfiguren in unserem eigenen Katastrophenfilm! Endlich haben unsere belanglosen Existenzen kosmische Bedeutung! Wir sind nicht nur Kassierer, Buchhalter oder Influencer – wir sind die letzten Zeugen der Menschheit!

Die Apokalypse ist auch die perfekte Ausrede für persönliches Versagen. Warum sollte man sparen, wenn die Welt untergeht? Warum Karriere machen, wenn alles sinnlos ist? Warum Verantwortung übernehmen, wenn sowieso alles zu spät ist? Die Endzeit ist der ultimative Freibrief für Faulheit, verpackt als moralische Überlegenheit.

Die Apokalypse-Industrie: Ein Wirtschaftszweig mit Zukunft

Vergessen wir nicht die wahren Gewinner: die Apokalypse-Industrie. Ein Wirtschaftszweig, der niemals Verluste macht, weil er niemals liefern muss. Weltuntergangsbücher werden Bestseller, Panik-Podcasts toppen die Charts, Survival-Kurse sind ausgebucht. Es gibt sogar Weltuntergangs-Dating-Apps – „Finde deine Seelenverwandte vor dem Ende aller Zeiten!“

Die Schönheit dieses Geschäftsmodells liegt in seiner Unbeweisbarkeit. Tritt die Apokalypse ein, sind alle tot – keine Beschwerden. Tritt sie nicht ein, dann nur dank der teuren Präventionsmaßnahmen. Es ist wie eine Versicherung gegen Drachenangriffe: Solange keine Drachen kommen, funktioniert sie perfekt.

Die Welt geht nicht unter. Aber der Verstand schon.

Wir werden nicht von Viren, Vulkanausbrüchen oder Veggie-Burgern vernichtet. Wir gehen zugrunde an der ewigen Angstlust, die wir uns selbst einreden lassen – von Populisten, Predigern, Propheten und PR-Strategen, die alle das gleiche Talent haben: Sie können aus einem Regenschauer eine Sintflut machen und dafür auch noch Applaus bekommen.

Die moderne Gesellschaft hat das Kunststück fertiggebracht, gleichzeitig in der sichersten Epoche der Menschheitsgeschichte zu leben und trotzdem jeden Tag den Weltuntergang zu erwarten. Wir haben Lebenserwartungen erreicht, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten, und verbringen unsere Zeit damit, uns vor Dingen zu fürchten, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,000000001% eintreten könnten.

Es wäre also an der Zeit, das Ende des Weltuntergangs zu fordern. Nicht die Apokalypse ist unser Problem – sondern ihr ständiger Vorverkauf, komplett mit Frühbucher-Rabatten und All-Inclusive-Panik-Paketen.

Die wahre Katastrophe ist nicht, dass die Welt untergeht. Die wahre Katastrophe ist, dass so viele Menschen glauben, sie würden etwas verpassen, wenn sie nicht dabei wären.

Und wem das jetzt zu zynisch war: Keine Sorge. Spätestens nächste Woche kommt der nächste Untergang. Diesmal aber wirklich. Versprochen.

Nüchternheit, Humor, Logik und eine gesunde Portion Skepsis helfen gegenüber allen, die behaupten, die Zukunft zu kennen. Sie passen aber nicht zu den aktuellen Panik-Trends.

Sollte die Welt tatsächlich untergehen, während Sie diesen Text lesen, möchte sich der Autor hiermit aufrichtig entschuldigen. Inspiration, Quellenangaben und Erstellungstools sind in diesem Fall ohne Bedeutung.