Ein kleiner Essay über das große erotisch-sexuelle Ungleichgewicht

Worum es geht.

Man kennt ihn, diesen Moment, dieses berühmte leise Knirschen im Getriebe der Zweisamkeit: Er rollt sich – mal mehr, mal weniger dezent – zu ihr hinüber, streichelt ein bisschen, hebt vielleicht schon hoffnungsvoll die Decke, und sie? Sagt nichts. Oder sagt: „Nicht jetzt.“ Oder: „Ich bin müde.“ Oder – Klassiker – „Ich hab Kopfweh.“ Und schon liegt er wieder da. Enttäuscht. Verwirrt. Oder trotzig. Vielleicht schaltet er das Handy ein. Vielleicht zählt er innerlich nach, wie oft es jetzt schon passiert ist. Oder nicht passiert ist. Und ganz sicher fragt er sich irgendwann: Was läuft da eigentlich falsch?

Vorwort.

Willkommen im subtilen, aber weitverbreiteten Drama des erotisch-sexuellen Ungleichgewichts. Oder, einfacher gesagt: Er will, sie nicht. Nicht jetzt. Nicht so oft. Nicht mehr. Nicht auf Kommando. Nicht nach dem dritten Kind. Nicht, wenn er riecht wie ein nasser Hund, der zu viel Knoblauch gegessen hat. Und schon gar nicht, wenn sie sich emotional vernachlässigt fühlt. Es ist ein altes Thema, aber deshalb nicht weniger aktuell. Und auch nicht weniger kompliziert.

Die Biologie des Begehrens.

Denn nein, es liegt nicht nur an den Hormonen. Auch nicht nur am Zyklus, an den Kindern, am Alltagsstress oder am falschen Duschgel. Ebenso wenig liegt es nur an ihm, an seinen zu groben Händen, seiner Vorliebe für schnelle Lösungen oder seinem Unverständnis für die Magie der leisen Zwischentöne. Es liegt – wie so vieles – irgendwo dazwischen.

Fakt ist: Männer haben oft eine direktere Verbindung zwischen Lust und Körper. Sie sind bereit, verfügbar, interessiert – manchmal, so scheint es, fast immer. Frauen hingegen… sind anders verdrahtet. Ihre Lust ist ein scheues Reh. Oder ein misstrauischer Igel. Oder eine Opernsängerin, die sehr viel Vorlauf und ein perfektes akustisches Umfeld braucht. Kurz: Sie braucht Atmosphäre. Vertrauen. Entspannung. Und das alles bitte vorher. Nicht als Bonus nach dem dritten Stoß.

Aber hier wird es interessant: Was passiert eigentlich in seinem Kopf, wenn das dritte „Nicht jetzt“ in dieser Woche fällt? Er interpretiert es als persönliche Ablehnung. Als stille Kritik an seiner Attraktivität, seinem Können, seinem Wert als Partner. Dabei meint sie oft nur: „Ich bin noch nicht da angekommen.“ Doch wie soll er das wissen, wenn sie selbst es manchmal nicht weiß?

Die weibliche Lust ist wie ein kompliziertes Rezept – man braucht die richtigen Zutaten, die richtige Reihenfolge, das richtige Timing. Und manchmal stimmt einfach die Chemie im Labor nicht: zu viel Cortisol vom stressigen Tag, zu wenig Schlaf, zu viele Gedanken an die ungewaschene Wäsche. Sein Begehren dagegen funktioniert eher wie ein Lichtschalter: An oder aus. Simple as that.

Das Vorspiel zum Vorspiel.

Und hier kommt das Missverständnis ins Spiel: Er meint es vielleicht sogar gut. Massiert die Schultern. Räumt sogar die Spülmaschine aus. Aber tief drinnen ahnt sie: Das ist das Vorspiel-vom-Vorspiel. Der Preis für das, was gleich kommen soll. Und sobald sie das merkt, fühlt sie sich… benutzt? Berechnet? Überrumpelt? Jedenfalls nicht begehrt, sondern bearbeitet. Und schon schaltet ihr Körper auf Durchzug. Oder auf „bitte später“. Oder auf „bloß nicht heute wieder diskutieren.“

Diese instrumentelle Zärtlichkeit ist wie vergiftete Süßigkeiten – sie sieht aus wie ein Geschenk, schmeckt aber nach Kalkül. Sie spürt den Unterschied zwischen „Ich berühre dich, weil ich dich liebe“ und „Ich berühre dich, damit du später Ja sagst.“ Ihr Körper ist ein ziemlich guter Lügendetektor, und er streikt, sobald er Manipulation wittert.

Gleichzeitig sitzt er da und denkt: „Verdammt, ich gebe mir doch Mühe!“ Er hat das Geschirr gespült, die Kinder ins Bett gebracht, sogar gefragt, wie ihr Tag war. Warum reicht das nicht? Was soll er denn noch alles tun? Diese Frustration ist genauso berechtigt wie ihre – nur dass beide aneinander vorbeireden, ohne es zu merken.

Die Sprache der Ablehnung.

Man könnte jetzt sagen: Redet doch einfach darüber. Und ja, das wäre grundsätzlich eine gute Idee. Wenn man es nicht gerade im Bett tut. Oder kurz danach. Oder mit Vorwürfen garniert. Denn nichts trocknet die Libido gründlicher aus als ein Gespräch über Libido. Besonders wenn es in Tabellenform daherkommt oder das Vokabular an einen Strategie-Workshop erinnert: „Wie können wir unsere Intimitätszeiten wieder steigern?“ – Pardon, aber das ist kein Gespräch, das Lust macht.

Das Problem ist: Niemand hat ihnen beigebracht, wie man über Sex spricht, ohne dass es sich anfühlt wie eine Betriebsversammlung oder eine Therapiesitzung. Er sagt: „Wir haben schon ewig nicht mehr…“ und sie hört den Vorwurf. Sie sagt: „Du verstehst nicht, dass ich Zeit brauche“ und er hört: „Du machst alles falsch.“ Beide haben recht. Beide verstehen nichts.

Die meisten Paare entwickeln über die Jahre eine Art Geheimsprache der sexuellen Ablehnung. Ein müdes Lächeln. Ein strategisch platziertes Gähnen. Das frühe Einschlafen. Das späte Aufbleiben. Die plötzliche Beschäftigung mit dem Handy. Alles, nur nicht das ehrliche: „Ich hätte Lust, aber du müsstest mir zeigen, dass du mich als ganze Person willst, nicht nur als verfügbaren Körper.“

Die Tyrannei der Spontaneität.

Besonders perfide ist die gesellschaftliche Erwartung der spontanen Lust. Sex soll bitte schön natürlich entstehen, ungeplant, leidenschaftlich – wie in den ersten Monaten der Verliebtheit. Doch wer mit Kindern, Job und Haushalt jongliert, bei dem entsteht gar nichts mehr spontan. Außer vielleicht schlechte Laune.

Sie plant ihren Tag bis zur letzten Minute durch: Kinder wecken, anziehen, Brotdosen schmieren, zur Kita fahren, arbeiten, einkaufen, Abendessen kochen, Hausaufgaben betreuen, vorlesen, ins Bett bringen. Und dann, um 22 Uhr, soll sie plötzlich zur wilden Verführerin mutieren? Das ist, als würde man einen Marathon laufen und anschließend noch schnell ein Ballett aufführen.

Er dagegen kann oft tatsächlich abschalten. Fünf Minuten Berührung, und sein System fährt von „Alltag“ auf „Intimität“ um. Für sie ist das wie der Versuch, einen Computer ohne Übergangszeit von Word direkt in ein Videospiel zu wechseln – das System braucht Zeit zum Herunterfahren und Neustart.

Die Last der emotionalen Arbeit.

Was er oft nicht sieht: Sie trägt meist die Hauptlast der emotionalen Hausarbeit. Sie ist die Familienmanagerin, die dafür sorgt, dass alle glücklich und versorgt sind – außer sich selbst. Sie erinnert sich an Geburtstage, organisiert Arzttermine, weiß, welches Kind welche Schuhgröße hat und wann der nächste Elternabend ist. Abends ist ihr Kopf voller To-Do-Listen, Sorgen und Verantwortung.

„Aber ich helfe doch“, sagt er dann. Helfen. Als wäre es ihr Laden, in dem er gelegentlich aushilft. Dabei geht es nicht ums Helfen, sondern ums Mittragen. Um die Übernahme echter Verantwortung, nicht nur das Ausführen delegierter Aufgaben. Wenn sie nicht mehr die Familienmanagerin sein muss, hat ihr Kopf wieder Platz für andere Gedanken. Auch für lustvolle.

Wenn die Rollen sich umkehren.

Vielleicht, ganz vielleicht, könnte man sich auch einmal trauen, das ganze Konzept von „Er will – Sie nicht“ umzudrehen. Denn es gibt sie durchaus: die Abende (und auch die Vormittage), an denen sie sich wünscht, dass er sie wirklich sieht – mit allem, was sie gerade ist – und nicht nur auf den Schalter „Sex“ drückt. Oder die Momente, in denen sie bereit wäre, ja sogar sehnsüchtig wartet, aber er sich zurückzieht, aus Angst vor einer Abfuhr oder aus Gewohnheit oder aus Überforderung. Doch das sind andere Geschichten. Oder eigentlich dieselbe, nur aus einer anderen Perspektive.

Manchmal will sie, und er kann nicht. Ist müde vom Tag, gestresst vom Job, blockiert von der eigenen Versagensangst. Dann sitzt er da mit seinem vermeintlich simplen männlichen Begehren und merkt: So simpel ist es gar nicht. Auch er braucht manchmal das richtige Setting, die richtige Stimmung, das Gefühl, gewollt und geschätzt zu werden – nicht nur als Problemlöser und Versorger.

Das ist der Moment, in dem beide merken: Es geht gar nicht um Häufigkeit oder Technik. Es geht darum, sich als ganzer Mensch gesehen und begehrt zu fühlen. Nicht als Funktionsträger, nicht als Mittel zum Zweck, sondern als die Person, die man wirklich ist – mit allen Macken, Müdigkeiten und Sehnsüchten.

Die Kunst des Wartens.

Was, wenn das Problem gar nicht das Ungleichgewicht ist, sondern der Umgang damit? Was, wenn die ständige Diskussion darüber, wer wie oft will oder nicht will, das eigentliche Problem ist? Manchmal entsteht Spannung nicht durch Synchronität, sondern durch Differenz. Manchmal ist das Warten selbst ein erotischer Akt.

In einer Welt der sofortigen Verfügbarkeit – Amazon Prime für alles und jedes – ist sexuelles Begehren vielleicht eines der letzten Dinge, die sich nicht on demand bestellen lassen. Und das ist auch gut so. Denn was wäre Lust ohne Sehnsucht? Was wäre Begehren ohne das Element der Ungewissheit?

Die japanische Ästhetik kennt das Konzept des „Ma“ – den bedeutungsvollen Zwischenraum, die Pause, die dem Gesagten erst seinen Wert verleiht. Vielleicht braucht auch die Erotik ihr Ma. Die Momente des Nicht-Könnens, des Wartens, des sich langsam wieder Annäherns. Nicht als Problem, sondern als Rhythmus.

Die kleinen Rebellionen.

Am Ende ist jede erfüllte Beziehung ein kleiner Akt der Rebellion – gegen die Erwartungen, die Normen, die vermeintlichen Wahrheiten über das, was „normal“ ist. Normal ist, dass sich Menschen in ihrem Begehren unterscheiden. Normal ist, dass Lust mal da ist und mal nicht. Normal ist, dass man sich manchmal fremd ist, auch nach Jahren der Gemeinsamkeit.

Was nicht normal sein muss: dass man sich dafür schämt. Dass man es als persönliches Versagen deutet. Dass man glaubt, andere Paare hätten das alles besser im Griff. (Spoiler: haben sie nicht.)

Die Rebellion liegt darin, das Ungleichgewicht anzunehmen, ohne es gleich reparieren zu müssen. Darin, neugierig zu bleiben auf den anderen, auch wenn er oder sie gerade nicht verfügbar ist. Darin, Intimität nicht nur als körperlichen Akt zu verstehen, sondern als das, was zwischen Menschen entsteht, wenn sie einander wirklich wahrnehmen.

Das Ende der Optimierung.

Am Ende bleibt: Ja, das Ungleichgewicht existiert. Mal bei ihm, mal bei ihr, mal abwechselnd. Es ist unbequem, frustrierend, verletzend. Aber es ist auch ein ganz natürlicher Teil des Miteinanders – besonders dann, wenn es ehrlich wird. Wer lernt, die Spannung auszuhalten, anstatt sie sofort als Scheitern zu deuten, entdeckt vielleicht: Manchmal entsteht gerade aus der Differenz eine neue Nähe. Und mit etwas Geduld, Mut und einem kleinen Augenzwinkern sogar wieder ein echtes Begehren.

Zum Mitnehmen.

Vielleicht ist die wichtigste Erkenntnis diese: Liebe ist nicht die Abwesenheit von Problemen, sondern die Bereitschaft, gemeinsam mit ihnen zu leben. Und manchmal bedeutet das, einfach nebeneinander zu liegen, ohne dass etwas passieren muss. Ohne Druck, ohne Vorwurf, ohne die leise Hoffnung, dass sich heute doch noch was tut. Einfach da zu sein. Für sich und für den anderen.

Nur bitte ohne Druck. Und ohne Vorwurf. Und ganz sicher nicht mit den Worten: „Aber es ist doch schon eine Woche her.“

Sondern vielleicht mit: „Ich bin da, wenn du da bist. Und bis dahin bin ich auch da.“

  • Inspiration: Gespräch mit X. am 22.7.2025
  • Texterstellung KI-unterstützt. ChatGPT, Claude ai, Copilot, DeepSeek.