Worum es geht
Der Text erklärt, wie christlicher Existenzialismus bei der Suche nach Sinn, Selbstwerdung und innerem Halt helfen kann – mit Gedanken von Kierkegaard, Tillich und Barth, verbunden mit alltäglichen Erfahrungen und therapeutischen Anwendungen.
Stell dir vor, du stehst mitten im Leben, mit all seinen Fragen, Unsicherheiten und Hoffnungen – genau darum geht’s im christlichen Existenzialismus. Es ist eine Sichtweise, die sich mit dem beschäftigt, was ein Mensch wirklich fühlt und erlebt, wenn er über sich selbst, seine Freiheit, seine Ängste und über Gott nachdenkt. Anders als der atheistische Existenzialismus – zum Beispiel bei Sartre, der sagt: „Der Mensch ist allein und muss sich alles selbst schaffen“ – glaubt der christliche Existenzialismus, dass der Mensch zwar frei ist, aber auch von Gott begleitet wird.
Was Kierkegaard uns sagen will
Ein kluger Mann namens Søren Kierkegaard aus Dänemark hat diese Gedanken aufgeschrieben. Er meinte: Jeder Mensch ist einzigartig und kann sich nicht einfach in eine Schublade stecken lassen. Gesellschaftliche Erwartungen, Rollen oder religiöse Gewohnheiten reichen nicht aus. Wir müssen selbst herausfinden, wer wir sind – in Beziehung zu Gott. Dabei begegnet uns Angst, aber nicht als Schwäche, sondern als Zeichen unserer Freiheit. Denn wer viele Möglichkeiten hat, kann sich verlieren, aber auch wirklich werden. Kierkegaard nennt das den „Sprung des Glaubens“ – sich auf Gott verlassen, auch wenn man keinen Beweis hat und gerade in schwierigen Zeiten.
Menschsein zwischen Gegensätzen
Für Kierkegaard ist der Mensch ein Wesen, das Gegensätze in sich trägt: zum Beispiel Leben und Tod, Möglichkeit und Notwendigkeit. Dieses innere Spannungsfeld ist herausfordernd, aber auch wertvoll. Angst entsteht, wenn man merkt, dass alles offen ist – dass man viel tun könnte, aber nicht weiß, was richtig ist. Diese Angst ist wie ein Schwindelgefühl vor der eigenen Freiheit.
Freiheit mit oder ohne Gott?
Sartre, ein anderer Denker, sieht das anders. Für ihn ist der Mensch völlig allein, muss alles selbst entscheiden – und ist für alles verantwortlich. Das klingt stark, aber auch hart: keine Hilfe, kein Halt, keine Vergebung. Kierkegaard sieht ebenfalls, dass der Mensch Verantwortung trägt, aber er glaubt, dass Gott ihn auffängt, wenn er sich verliert. Glauben heißt also nicht, sich zurückzuziehen, sondern im Zweifel auf Gott zu vertrauen – nicht weil man perfekt ist, sondern weil man es eben nicht ist.
Drei Lebensweisen
Kierkegaard beschreibt drei Arten, wie man leben kann: Die erste ist das „ästhetische“ Leben – hier geht’s um Spaß, Abwechslung und darum, Langeweile zu vermeiden. Doch das hält nicht lange, irgendwann fühlt man sich leer. Die zweite ist das „ethische“ Leben – man übernimmt Verantwortung, folgt Regeln und versucht, gut zu sein. Aber selbst da kommt man irgendwann an seine Grenzen. Die dritte Lebensweise ist das „religiöse“ Leben – hier vertraut man sich Gott an und erkennt, dass man nicht alles allein schaffen muss. Und gerade dadurch wird man wirklich frei.
Beispiele aus dem echten Leben
All diese Gedanken klingen erstmal theoretisch, aber sie zeigen sich in ganz normalen Situationen. Denk an einen Jugendlichen nach der Schule – alle Wege stehen offen, aber keine Richtung fühlt sich richtig an. Oder an eine Mutter, die zwischen Job, Kindern und Erwartungen kaum noch weiß, wer sie selbst ist. Das ist die Angst, von der Kierkegaard spricht: die Angst vor dem Ungewissen, vor den eigenen Möglichkeiten.
Verzweiflung entsteht, wenn man sich selbst verliert – zum Beispiel ein Mann, der immer gearbeitet hat, plötzlich aber keine Stelle mehr findet und denkt, er sei nichts wert. Oder eine junge Frau, die sich nur noch danach richtet, wie andere sie sehen – im Internet oder im Freundeskreis – und sich selbst kaum noch spürt. Diese Verzweiflung ist nicht laut, sondern oft still: man wird müde, zynisch, flieht vor sich selbst.
Glauben heißt in diesem Zusammenhang nicht, blind zu vertrauen, sondern mutig zu hoffen. Eine alleinerziehende Mutter, die jeden Morgen aufsteht, obwohl sie nicht weiß, wie sie die Woche übersteht, lebt diesen Glauben. Ein Jugendlicher, der endlich so lebt, wie er ist, auch wenn andere ihn komisch finden, zeigt diesen Sprung. Es geht darum, die Unsicherheit anzunehmen und darauf zu vertrauen, dass es etwas gibt, das hält – auch wenn man selbst gerade nicht weiß, was.
Verzweiflung – mehr als ein schlechter Tag
Kierkegaard sagt: Verzweiflung ist nicht nur ein Moment, in dem man traurig oder überfordert ist. Sie gehört zum Menschsein dazu. Sie entsteht, wenn man nicht der sein will, der man ist – oder wenn man das Gefühl hat, man kann es gar nicht sein. Diese Verzweiflung kann sich ganz unterschiedlich zeigen: Manche kämpfen verbissen gegen alles, weil sie meinen, sie müssten sich selbst behaupten. Andere wollen sich überhaupt nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern vor allem davonlaufen. Und manche merken gar nicht, dass sie verzweifelt sind – was besonders gefährlich ist, weil sie dann nichts verändern. Kierkegaard glaubt: Man kann sich selbst nicht aus der Verzweiflung ziehen, aber man kann sich Gott anvertrauen – und darin einen neuen Halt finden.
Wenn Therapie mehr ist als Reden
In der Psychotherapie begegnet man oft Menschen, die ähnliche Krisen erleben. Da ist zum Beispiel ein junger Mann, der ständig Panikattacken hat und sich in seinen Gedanken verliert. Statt nur Tabletten zu bekommen, fragt die Therapeutin: „Was traust du dich nicht zu entscheiden?“ – und plötzlich geht’s nicht mehr nur um Symptome, sondern um sein Leben. Er wagt einen kleinen Schritt – vielleicht kündigt er oder startet etwas Neues – und merkt: Seine Angst wird weniger, sein Mut größer.
Oder eine Lehrerin, ausgebrannt und traurig, fühlt sich im Job sinnlos. Sie soll jeden Tag drei Momente aufschreiben, in denen sie sich lebendig gefühlt hat. Klingt simpel, wirkt aber: Sie entdeckt wieder, was ihr gut tut. Eine junge Mutter, die sich im Spagat zwischen Kindern, Arbeit und Erwartungen verliert, findet neue Kraft, als sie beginnt, eigene Werte zu formulieren – fern von dem, was andere erwarten. Kleine Pausen beim Essen oder bewusstes Atmen helfen ihr, bei sich selbst anzukommen.
Selbst das große Thema „Tod“ wird in der Therapie nicht ausgeklammert. Ein älterer Mann hat große Angst davor zu sterben. Aber die Therapeutin hilft ihm, sein ganzes Leben anzuschauen – mit allen Höhen und Tiefen – und mit Gott ins Gespräch zu kommen. Er merkt: Sein Leben hat Bestand, auch wenn es endlich ist. Aus der Angst wird Hoffnung.
Existenzielle Therapie – Philosophie zum Anfassen
Existenzielle Therapie bedeutet: Es geht nicht um Tipps und Tricks, sondern um das, was uns wirklich bewegt – Freiheit, Sinn, Angst, Tod. Therapeuten sind keine Besserwisser, sondern Begleiter. Sie helfen dabei, dass der Mensch sich selbst wieder findet. Symptome wie Angst oder Depression sind dann nicht nur „Störungen“, sondern Hinweise darauf, dass etwas fehlt – vielleicht eine Entscheidung, vielleicht ein bisher ungelebter Teil des eigenen Lebens.
Was uns wirklich trägt
Paul Tillich hat gefragt: Was bleibt, wenn alles im Leben wackelt? Er meint: Gott ist nicht irgendein Bild im Himmel, sondern das, was uns innerlich trägt – gerade dann, wenn wir das Gefühl haben, nichts wert zu sein. Wenn jemand nach einer Trennung denkt, er sei ein Versager, oder wenn ein Jugendlicher nach zig Absagen glaubt, er habe kein Talent – dann geht’s nicht um Erfolg, sondern darum, zu sagen: „Ich bin trotzdem da, ich lebe trotzdem.“ Das nennt Tillich den „Mut zum Sein“.
Karl Barth sieht das ähnlich, aber noch radikaler. Er sagt: Der Mensch kann sich gar nicht selbst retten – und genau darin liegt die Hoffnung. Gott gibt uns nicht auf, egal, wie tief wir gefallen sind. Ein Jugendlicher im Gefängnis, der zum ersten Mal in der Bibel liest, dass Gott auch die Verlorenen sucht – erlebt, was Barth meint. Oder eine Frau, die durch ihre Sucht alles verloren hat und trotzdem spürt: Es ist nicht zu spät. Gottes Liebe kommt nicht, weil man etwas leistet – sie ist einfach da.
Zwischen Lebensfragen und Glaubensantworten
Paul Tillich stellt sich die Frage: Was hilft dem Menschen, wenn er mit Dingen wie Angst, Schuld oder der Suche nach Sinn kämpft? Für ihn sind diese Probleme keine bloßen Gefühle, sondern Ausdruck einer tieferen Lage – der Mensch steht zwischen Leben und Nichtleben. Tillich meint, es gibt verschiedene Arten von Angst: die Angst vor dem Schicksal oder Tod, die Angst davor, dass alles sinnlos erscheint, und die Angst vor eigener Schuld oder dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Seine Antwort auf diese Ängste ist der Glaube – nicht als blindes Vertrauen, sondern als Mut, trotzdem weiterzumachen. Mut, sich selbst anzunehmen, Sinn zu suchen und zu glauben, dass man vergeben werden kann, auch wenn man Fehler gemacht hat.
Die große Kluft – und eine Brücke
Karl Barth sieht eine riesige Entfernung zwischen Mensch und Gott. Der Mensch wurde dafür geschaffen, mit Gott in Verbindung zu stehen – aber durch seine Schuld hat er sich von Gott entfernt. Und diese Trennung kann man nicht selbst reparieren. Für Barth kann das nur Gott selbst tun – durch Jesus Christus. Wenn man das akzeptiert, muss man sich nicht länger selbst beweisen. Man darf einfach da sein, nicht durch Leistung, sondern durch Gnade. Und das verändert das Leben: Man wird frei, neu anzufangen und Verantwortung zu übernehmen – nicht aus Zwang, sondern aus Dankbarkeit.
Gott wird Mensch – eine Hoffnung für alle
Ein großer Unterschied zwischen dem christlichen und dem atheistischen Existenzialismus ist folgender: Während Sartre sagt, dass der Mensch völlig allein ist, glaubt der christliche Existenzialismus, dass Gott selbst Mensch geworden ist. Das bedeutet: Gott kennt unsere Ängste, unsere Leiden, unsere Zweifel – weil er sie selbst erlebt hat, in Jesus. Die Auferstehung ist nicht das Ende von allem Menschlichen, sondern die Hoffnung, dass das Leben einen tieferen Sinn hat und in Gott vollendet wird.
Tiefe statt Flucht – die mystische Erfahrung
Im christlichen Existenzialismus gibt es auch eine mystische Seite – das heißt: Manche Menschen erfahren Gott nicht durch Worte, sondern durch eine innere Tiefe. Das ist keine Flucht aus dem Alltag, sondern eher ein neues Hineingehen in die Welt. Wer solch eine Erfahrung macht, spürt seine Begrenztheit, aber auch, dass da mehr ist. Menschen wie Simone Weil oder Dietrich Bonhoeffer haben gezeigt: Wer Gott innerlich begegnet, kann auch den Leidenden beistehen – mit echter Liebe, nicht nur mit Worten.
Was fehlt – und was bleibt
Natürlich wurde der christliche Existenzialismus auch kritisiert. Manche sagen: Er schaut zu sehr auf den Einzelnen und zu wenig auf soziale Probleme. Andere meinen, er sei zu kompliziert oder nicht logisch genug. Aber seine Hauptidee bleibt wertvoll: Der Mensch ist mehr als seine Rolle im Job oder in der Gesellschaft. Man muss nicht alles ändern im Außen – das Entscheidende passiert oft innen.
Warum das heute wieder wichtig ist
In einer Welt, die ständig schneller wird, wo man sich optimieren und online präsentieren soll, wirkt dieser Glaubensansatz wie ein Ruhepol. Viele Menschen fühlen sich innerlich leer, obwohl sie äußerlich viel tun. Der christliche Existenzialismus fragt: Was ist wirklich wichtig? Was bleibt, wenn der Erfolg ausbleibt, wenn man allein ist oder krank wird? Und er hilft, mit schweren Themen wie Depression oder Angst einen Weg zu finden – nicht durch einfache Antworten, sondern durch ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst.
Tillich und Barth sind beide davon überzeugt: Der Glaube ist keine Schönwetterlösung, sondern etwas, das im Ernstfall trägt. Man muss sich nicht selbst erfinden, aber man darf sich selbst entdecken – in einem Gott, der dich schon kennt. Das ist keine Theorie, sondern etwas, das dir helfen kann, wirklich zu leben.
Zum Mitnehmen: Ehrlich leben heißt: sich selbst begegnen, Entscheidungen wagen, und darin Vertrauen aufbauen – nicht perfekt, sondern getragen.
- Inspiration: Lektüre von: Alois Prinz: Das Leben der Simone de Beauvoir. Insel Verlag, 2022.
- Redaktionelle Bearbeitung: KI-unterstützt: Copilot, Gemini, ChatGPT.